Die vielfältigen Arbeiten und Aktivitäten des Designers Ruedi Baur verfolgen im Ansatz ein ähnliches Ziel. Er versucht Orte der eindimensionalen Logik der Rationalität und dem System der globalen Normierung zu entreißen, indem er ihnen eine spezifische, aus dem jeweiligen Kontext entwickelte visuelle Sprache zur Verfügung stellt. Eine Sprache, die das Erkennen, das Informieren und das Orientieren erleichtert, die es ermöglicht, einen Ort in seiner Komplexität zu erfassen, ihn darüber hinaus atmosphärisch aufwertet und den Nutzer auf sinnlicher Ebene anspricht.
Im Zentrum von Ruedi Baurs gestalterischer Arbeit steht die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Raum und Kommunikation, sei diese bildlicher oder textlicher Natur. In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, dass die konkrete Aufgabenstellung, die Werke von Susanna Fritscher im Rahmen einer Publikation zu vermitteln, zu einem ersten, intensiven Austausch mit der Künstlerin führte. Denn wie kann man deren kaum sichtbare, sensible Rauminstallationen in Katalogform reproduzieren? „Das statische Einzelbild vermag es nicht, die einzigartigen Raum-Zeit-Licht-Erfahrungen wiederzugeben, die die Installationen von Susanna Fritscher ausmachen. Ihre flüchtigen Arbeiten entziehen sich der Bildhaftigkeit und damit auch der Abbildbarkeit. Ihre Werke sind in erster Linie über die Bewegung des Körpers und des Blicks im Raum erfahrbar. Ein sinnliches Erlebnis, das auf Basis von einzelnen Bildern nicht reproduzierbar ist“, schreibt Ruedi Baur in einem Katalog der Künstlerin.
Auch Ruedi Baurs eigene Arbeiten sind oft schwer bildlich festzumachen, da er beispielsweise ein Corporate-Design nicht als Festschreiben von starren Gestaltungsrichtlinien versteht, sondern als offenes, kontextbezogenes System. Er entwickelt „visuelle Sprachsysteme“, mit Hilfe derer sich ein Unternehmen oder ein Ort ausdrücken, gleichsam zur Sprache kommen kann. Seine Arbeit versteht er als Kampf gegen die Vereinfachung, gegen die Dekontextualisierung und das „Lallen“ einer austauschbar gewordenen globalen Moderne und gleichzeitig als Kampf für die Wiedereroberung der Orte in ihrer poetischen Dimension.
In dieser Auseinandersetzung mit dem Raum und seiner „Sensibilisierung“ treffen sich die Künstlerin und der Designer. Konkret arbeiteten sie an mehreren Projekten gestalterisch und inhaltlich zusammen, aktuell etwa im Zusammenhang mit dem Neubau des Flughafenterminals in Wien. Ruedi Baur versucht dort, das globale Universum von Piktogrammen und klassischen Flughafenbeschriftungen durch subtile Eingriffe zu kontextualisieren und die besondere Atmosphäre der Stadt Wien einzufangen. Er entwickelt eine an die Leichtigkeit des Fliegens erinnernde visuelle Sprache, indem er sowohl die Welt der Zeichen als auch die Informationsträger selbst entmaterialisiert. Parallel dazu thematisiert Susanna Fritscher mit ähnlichen Strategien im Flughafengebäude die Übergänge von Transparenz zur Transluzenz und schafft Lichträume, die eine „unsichtbare Sichtbarkeit“ in sich tragen.
In der Ausstellung im aut wird dieser räumliche Dialog bis an die Grenze getrieben. Susanna Fritscher und Ruedi Baur teilen sich die Räumlichkeiten nicht auf, sondern bespielen jeweils im Viertelstundenrhythmus alle Räume des aut. Die einzelnen Interventionen, deren Grundlage und Ausgangspunkt der Raum, das Licht, der Ton und die Sprache sind, reagieren sowohl auf den konkreten Ausstellungsort, als auch auf die Arbeit der/des Anderen und ziehen sich nach fünfzehn Minuten wieder zurück. Der Titel „Überschattung“ ist Programm, denn die Ausstellung thematisiert die Präsenz und Absenz der/des Einen im Kontext der Installation der/des Anderen.
ruedi baur
geb. 1956 in Paris; Designer; lebt zur Zeit zwischen Zürich und Paris; gründet 1983 ein erstes Atelier in Lyon, 1989 das interdisziplinäre Netzwerke „Intégral Concept“ mit Schwerpunkten Grafikdesign, Architektur, Szenografie, urbanes Design, und Produktdesign und seine Ateliers „Intégral Ruedi Baur“, Paris und Zürich; 1989 – 96 Koordination des Fachbereichs Raum und Information an der École des Beaux-Arts in Lyon; 1995 – 2004 Professor für System Design an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig; 2004 Gründung des Forschungsinstituts „Design2context“ an der Zürcher Hochschule der Künste, das er bis 2011 zusammen mit Vera Baur-Kockot und Clemens Bellut leitet; 2011 Gründung des Instituts Civic-city; seit 2007 Professor für Grafik Design an der École des Arts Décoratifs (Ensad) Paris
einzelausstellungen (Auswahl)
2007 „Juste avant la transformation“, Design Biennale, St. Etienne; 2006 „Dépliage dépliement“, Musée de l’Impri-merie und Galerie Roger Tator, Lyon; „Ruedi Baur“, Zero One Design Center, Seoul; 2003 – 05 „Quotidien visuel“, Galerie Anatome, Paris; Kisd, Köln; Mudac, Lausanne; Uqam, Montreal; 1999 „U. Eur. + CH ou other nationalities“, La chaufferie, Straßburg; 1998 „Pixel compressions“, Central Academy of Arts and Design, Peking; 1995 „Meine Augen schmerzen“, Museum für Kunst und Gewer-be, Hamburg; 1994 „Processes in Process“, Design Horizonte, Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main; „Ruedi Baur, Intégral“, Ddd Gallery, Osaka und Ggg Gallery, Tokio; 1991 „? !“, Institut für Neue Technische Form, Darmstadt (gem. mit Pippo Lionni); 1989 „Ruedi Baur, conception sur papier“, Maison du Livre, de l’Image et du Son, Villeurbanne (F)
publikationen (Auswahl)
2011 „101 mots du design graphique“ (archibooks); 2010 „Ruedi Baur, Intégral – Antizipieren, Hinterfragen, Orientieren, Irritieren, Übersetzen, Einschreiben, Unterscheiden“ (Lars Müller Publishers); 2008 und 2009 „Desorientierung/ Orientierung“ 1 & 2, mit dem Institut Design2context (Lars Müller Publishers); 2005 „Das Gesetz und seine visuelle Konsequenz“, (Lars Müller Publishers); „Ruedi Baur, identité de lieux“ (Éditions Pyramid); 2004 Odeurs de ville“, mit Isabel Naegele (Lars Müller Publishers); 2002 „ruedi baur…, intégral… and partners“ (Lars Müller Publishers); 1998 „Constructions“; 1998 „Architecture et graphisme“ (Lars Müller Publishers); 1997 „Ausstellungsdesign“ (Lars Müller Publishers); 1995 „0, me, and 1“ (Observatoire Éditions); 1994 „Ruedi Baur, Intégral Concept“; 1993 „La nouvelle Typographie“ (Cndp Éditions); 1991 „?/!“; 1988 „Art contemporain Lyon“ (éditions Lit)
aktuelle projekte (Auswahl)
Orientierungssysteme u. a. für den Flughafen Wien, die Messe Frankfurt, die Stadt Metz, die Universität Concordia in Montréal, das Inselspital Bern, das Kinderspital Basel und die Universitäts-Spitäler Lausanne; Erscheinungsbilder u. a. für das Museum Rodin in Paris, das Landesmuseum Zürich und die Elbphilharmonie in Hamburg; Mobiliar und Urban Grafik Design der Stadt Chaumont sowie des Quartier des spectacles in Montréal
"Überschattung" – Eine Ausstellung mit freundlicher Unterstützung von pixel Beschriftungen, sto GmbH sowie Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung
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