farbenhäuser und lichtgewächse
eröffnungEine Ausstellung rund um drei Protagonisten aus einem Kreis visionärer Künstler und Architekten: den Künstler Wenzel Hablik, den Schriftsteller Paul Scheerbart und den Architekten Bruno Taut.
weiterlesen …hablik scheerbart taut
ausstellungEine Ausstellung von thecrystalweb° in Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst und aut. architektur und tirol. Inhaltliches Konzept: Sandra Manhartseder, Rainer Hawlik. inspired by swarovski
„Ist es denn nötig, daß die Endziele der Entwicklungsprozesse uns ganz klar wie Kristallsäulen vor Augen stehen? Ist es nicht genug, daß wir immer noch ein unbestimmtes Vergnügen daran finden, uns weiterzuentwickeln? Hätte die Entwicklung noch irgendeinen Reiz, wenn wir über die Endziele des ganzen Weltbestrebens völlig im klaren wären? Ist nicht gerade die stete Entwicklungsfähigkeit die Krone der Lebenskraft und Lebenslust?“ (Paul Scheerbart)
Farbenhäuser und Lichtgewächse werden nicht gebaut, sie wachsen. Sie versetzen den Grund in Bewegung und bauen auf das Licht, das alles zum Strahlen und Funkeln bringt. Sie sind Geschöpfe der Glasarchitektur. Ihre Wurzeln gehen auf die Gewächshauskultur zurück, und sie haben ihre Väter in einem Kreis visionärer Künstler und Architekten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Gläserne und Kristalline in den Mittelpunkt ihres Diskurses stellten. In der historischen Umbruchsituation rund um den Ersten Weltkrieg sollte aus dem Baumaterial Glas eine neue – bessere – Welt entstehen. Eine bunte, leuchtende, kristalline und funkelnde Glasarchitektur wurde in expressionistischer Rhetorik heraufbeschworen und zum Sinnbild einer neuen, spirituellen Ära.
Die Ausstellung umkreist drei Protagonisten dieser Zeit. Der Schriftsteller Paul Scheerbart schildert in seinen Romanen, Gedichten und Prosatexten ganz aus Kristallen und Diamanten zusammengesetzte oder der Kristallwelt nachgebildete Architekturen. Der Künstler Wenzel Hablik malt und zeichnet – beeinflusst von Scheerbarts Dichtungen – Bilder kristalliner Architektur. Der Architekt Bruno Taut baut 1914 ein Glashaus auf der Kölner Werkbundausstellung – einen Werbepavillon für die deutsche Glasindustrie und gleichzeitig die Umsetzung der Vision eines lichtdurchströmten Farbraums, verziert mit Aphorismen Scheerbarts, dessen berühmtestes Werk „Glasarchitektur“ im gleichen Jahr veröffentlicht wurde und Bruno Taut gewidmet ist. 1919 initiiert Taut den geheimen Briefwechsel die „Gläserne Kette“ und widmet ihn dem bereits verstorbenen Paul Scheerbart. In Texten und Zeichnungen tauschen sich hier bis 1920 u. a. Walter Gropius, Hans Scharoun, Wassili Luckhardt, Hermann Finsterlin und Wenzel Hablik über Visionen für eine Architektur der Zukunft aus. Im Zentrum steht der Imperativ einer erlösenden Glasarchitektur, die eine gesellschaftliche Veränderung, eine Vergeistigung des Menschen vom Individuellen zum Gemeinsamen anstrebt und sich den Kristall als bevorzugtes Sinnbild für diese Erneuerung aneignet. „Die utopische Architektur – ausführbar durch das Material Glas und erhaben durch das Symbol Kristall – ist der symbolische Ausdruck der erstrebten Zukunft“ (Wenzel Hablik).
Die Ausstellung „Farbenhäuser und Lichtgewächse“ zeigt Momentaufnahmen dieses menschheitlichen Revitalisierungsprojekts und wirft die Frage auf, was Bauen im Geiste Habliks, Scheerbarts und Tauts heißt: nicht Architektur im Sinn von Funktionserfüllung, sondern Bauen als ein natürliches Schaffen; kein finales System, sondern der bewegte Bau, die dynamische Architektur, wachsend, prozesshaft, wie die Natur. „Farbenhäuser und Lichtgewächse“ beschränkt sich folglich nicht auf den historischen Blick, sondern entwickelt die Ideen von Hablik, Scheerbart und Taut weiter. Ausgehend von Bruno Tauts Glashaus, das vom Architekten Arno Ebner und dem Designer Alexander Gufler im Maßstab 1: 20 rekonstruiert wurde, werden Exponate und Schaustücke von Wenzel Hablik, Paul Scheerbart und Bruno Taut gezeigt und ihr Beziehungsgeflecht nachgezeichnet. Die multimediale Installation „nowhere“ von friend~ship (Sylvia Eckermann, Gerald Nestler, Oliver Irschitz) entführt den Besucher in die Gedankenwelt der Protagonisten der „Gläsernen Kette“. Habliks Zyklus „Schaffende Kräfte“, Tauts „Alpine Architektur“ und Textfragmente aus Scheerbarts „Glasarchitektur“ können interaktiv im freien Flug durch eine virtuelle Collage entdeckt werden. Inspiriert durch Habliks Salon in seinem Haus in Itzehoe gestaltet Rainer Mutsch eine Möbelgruppe, die den Begriff „Wohnlandschaft“ neu interpretiert: fragmentierte, kantige Felsen-Kristalle, die ihre Funktion und ergonomische Bestimmung als Möbel erst bei genauerem Betrachten preisgeben. In einem der Möbel läuft ein Kurzfilm, in dem Wenzel Habliks Tochter Suse Klingenberg über ihren Vater und dessen Visionen spricht. Durch Filterung und Transformierung von vorhandenem Bild- und Videomaterial – zum Teil aus Wenzel Habliks Werk – generiert der Filmemacher Herwig Kopp Visionen der Formenwandlung unterlegt mit utopischer Musik: Ein digitales „Kristallmassaker“, gewidmet Harald Szeemanns Engagement für die erneute Rezeption der utopischen Kunst Habliks.
wenzel hablik
1881 – 1934
geb. 1881 in Brix (Böhmen, heute Tschechien)
1902 – 1905 Studium der Malerei an der Wiener Kunstgewerbeschule
1905 – 1907 Studium an der Prager Akademie
ab 1908 lebt und arbeitet er in Itzehoe (D) als Maler, Graphiker und Kunsthandwerker
ab 1916 Mitglied im Deutschen Werkbund
1919 – 1920 Mitglied des Briefwechsels „Gläserne Kette“
zahlreiche Ölgemälde, Zeichnungen und Graphikzyklen u. a. auch zum Thema einer kristallinen Architektur („Schaffende Kräfte“, 1909); daneben kunsthandwerkliche Arbeiten wie Tapeten, Wandbehänge, Holz-, Keramik- und Metallarbeiten
1934 gestorben in Itzehoe
paul scheerbart
1863 – 1915
geb. 1863 in Danzig (Preußen, heute Polen)
Studium der Philosophie und Kunstgeschichte
ab 1887 lebt und arbeitet er als Schriftsteller in Berlin
1892 Mitbegründer des „Verlag deutscher Phantasten“
1893 „Ja ... was ... möchten wir nicht Alles. Ein Wunderfabelbuch“
1902 „Die große Revolution. Ein Mondroman“
1909 „Kater-Poesie. Gedichte“
1913 „Lesabéndio. Ein Asteroiden-Roman“
1914 „Glasarchitektur“
1915 gestorben in Berlin
bruno taut
1880 – 1938
geb. 1880 in Königsberg (Preußen, heute Rußland)
1897 – 1902 Studium der Architektur an der Königsberger Baugewerbeschule 1904 – 1908 bei Theodor Fischer in Stuttgart
ab 1908 Architekt in Berlin
1910 Mitglied im Deutschen Werkbund
1913 – 1914 erstes städtebauliches Projekt „Gartenstadt Falkenberg“
1914 „Glashaus“ als Pavillon der Deutschen Glasindustrie auf der Werkbundausstellung in Köln
1917 – 1919 Bildzyklen „Die Stadtkrone“, „Alpine Architektur“ und „Auflösung der Städte“
1919 Initiator des „Arbeitsrat für Kunst“ und des Briefwechsels „Gläserne Kette“
1921 – 1923 Stadtbaurat in Magdeburg
1924 – 1932 beratender Architekt der gemeinnützigen Berliner Wohnungsbaugesellschaft GEHAG (u. a. 1925 – 1927 „Hufeisensiedlung“, Britz
1926 – 1932 Großsiedlung „Onkel Toms Hütte“)
1930 – 32 Professor für Siedlungs- und Wohnungswesen an der Technischen Hochschule Charlottenburg
1932 beratender Architekt der Moskauer Stadtverwaltung
1933 Flucht in die Schweiz und Emigration nach Japan, später in die Türkei;
ab 1936 Leiter der Architekturabteilung an der Akademie der schönen Künste in Istanbul und Leiter der Bauabteilung im Unterrichtsministerium in Ankara
1938 gestorben in Istanbul
Eine Ausstellung rund um drei Protagonisten aus einem Kreis visionärer Künstler und Architekten: den Künstler Wenzel Hablik, den Schriftsteller Paul Scheerbart und den Architekten Bruno Taut.
weiterlesen …Die Ausgabe 2/06 der Programmzeitschrift aut: info mit Hintergrundinformationen zur Ausstellung „Farbenhäuser und Lichtgewächse“ und zum Programm des aut zwischen März und April 2006.
weiterlesen …