cornelius kolig: meine heimat ist mein körper
ausstellungZeichnungen und Objekte des Künstlers Cornelius Kolig aus seinem in Vorderberg (Kärnten) geschaffenen „Paradies“.
weiterlesen …ein text zu cornelius koligs "paradies", erschienen in aut: info nr. 1/2011
Kein Paradies ist von dieser Welt, es liegt immer jenseits davon, auch wenn es in sie eingebettet ist. Als Begriff vom persischen Wort pairi-daeza abgeleitet, bezeichnete es ursprünglich ummauerte Prachtgärten, die in der wüsten Landschaft für Könige und andere auserwählte Personen angelegt wurden. Es waren besondere Orte, deren Bedeutung durch die Setzung einer Grenze und reglementierte Zugangsbestimmungen definiert wurde. In der christlichen Vorstellungswelt wurde das Paradies ins Jenseits transformiert, indem es sowohl an den Anfang der Menschwerdung gestellt als auch ans Ende jeder menschlichen Geschichte gemalt wurde. Mit der Erbschuld von Adam und Eva behaftet, öffnete in diesem abendländischen System erst der Tod Jesu dem Menschen das Fenster zu einer als Paradies bezeichneten ewigen Heimstätte. Diesen Vorstellungen, im profanen wie im metaphysischen Sinn, eignet eine gewisse Hermetik der Örtlichkeit und ein Moment der Idylle. Die Bezeichnung „Paradies“ konnotiert immer einen außerhalb des weltlichen Kontextes angesiedelten Ort und evoziert unterschiedliche (Sinn-) Bilder. Als Garten definiert, sollte in dieser Zone das Prinzip Eintracht und Harmonie zwischen Mensch und Natur herrschen.
Mit der Geschichte des Begriffs, den verschiedenen Bedeutungsebenen und der Möglichkeit, diese historischen Konzeptionen als Projektionsfläche für seine künstlerischen Arbeiten zu verwenden, setzt sich der Künstler Cornelius Kolig in seiner Anlage in Vorderberg im Gailtal auseinander. Die bekannten architektonischen Typologien der in der Welt gebauten bzw. der vorgestellten Paradiese transformiert er in eine neue Form und macht sie damit produktiv. Seit 1979 baut er in der Nähe seines Elternhauses – eingebettet in ein dörfliches Umfeld mit vorwiegend landwirtschaftlicher Struktur – an einem Raum für seine Gedankenwelt, der als Ort der künstlerischen Ordnung von Zeichen und als Gegenentwurf zur „realen“ Ordnung der Dinge fungiert und letztendlich nie fertiggestellt sein wird. Es ist ein Lebensprojekt, das einem ständigen Veränderungsprozess unterliegt, von Kolig laufend umcodiert wird und immer komplexere Formen annimmt.
Die Konsequenz dieser egozentrischen Existenzäußerung, dieser manischen Energetik, ist die Verwandlung einer inneren Welt in einen sichtbaren Mikrokosmos, der keine Korrektur von außen zulässt. Die innere Logik dieser Obsession bzw. dieser Anlage ist total, weil in sich geschlossen, andererseits aber für jeden frei zugänglich, der sich auf dieses Reich der Zeichen und der Sinne, auf diese Kunstmaschine einlassen will. Angesichts des äußeren Erscheinungsbildes, das vor allem durch den Einsatz unveredelter Materialien (Holz, Hohlblocksteine, Aluminium, Beton) bestimmt ist, hat man zwar den Eindruck, vor einem ungewöhnlichen Nutzbau zu stehen, doch für welchen Zweck dieser errichtet wurde, erschließt sich erst nach Eintritt in das System des Paradieses, in das man nur rational und emotional vordringen kann.
Das Ensemble basiert auf einem basilikalen Grundriss mit zwei Türmen, kapellenartigen Zubauten und einer Gruppe anderer Gebäude, die innerhalb des Gedankensystems von Kolig mit besonderen Bedeutungen, teilweise mit Zitaten aus der christlichen Ikonografie besetzt sind. Umschlossen wird das Paradies von einer Mauer und einem kleinen Hain, die als Filter bzw. Grenze zwischen Außen- und Innenwelt fungieren. Herzstück der Anlage ist ein atriumartiger Hof, der eine Vielzahl an Blumen, Sträuchern und Kletterpflanzen beherbergt, die in ihren verschiedenen Farben, den unterschiedlichen Blütenfolgen und Düften, je nach Jahres- und Tageszeit fein aufeinander abgestimmt sind. Diese in sich völlig abgeschlossene Zone ist der Stille, den nur innerhalb ihrer Mauern existierenden Geräuschen und Düften gewidmet, wie die Natur im Paradies generell von Kolig gezähmt und zu einem Konzept arrangiert wird. Sie darf zwar wuchern und kriechen, unterliegt aber immer einer ästhetischen und gedanklichen Ordnung. Abseits dieser Inszenierung stößt man im Paradies auf Klanginstallationen und eine Reihe von unterschiedlichen Geräten, die sich der menschlichen Natur, im speziellen allen Ausscheidungsvorgängen und -produkten widmen.
Was sich auf den ersten oberflächlichen und in der Fotografie festgehaltenen Blick als Ort der Ruhe und Eintracht präsentiert, erweist sich in der Benutzung als Raum der Irritation, als gefährlicher Garten für die Sinne, als Labyrinth für die Gefühle und als Instrument zur Analyse bzw. zur Aufhebung des menschlichen Körpers. Der Sinn der Anlage erschließt sich nur im aktiven Gebrauch der darin enthaltenen Bedeutungen und aufgestellten Kunstwerke. In ihrem Gestus zwar bestimmt, nimmt sich die Architektur gleichzeitig wieder zurück, um Freiraum für die Entfaltung einer dahinterliegenden Idee zu schaffen. Mit dem Überschreiten der Grenze zum Paradies und der notwendigen Offenheit gegenüber seiner Systematik wird man selbst Teil einer Kunstwelt, die einen durch ihre Stringenz in seiner individuellen Verfasstheit relativiert und in Schwebe hält.
Die Anlage ist sowohl Bedeutungsträger als auch Hülle für die Installationen und künstlerischen Inszenierungen von Kolig, die alle um die Themen Körper, Sexualität, Tod und das Verhältnis von Mensch zur Natur kreisen. Während im mythologischen Paradies der Körper aufgehoben wird und der Geist zur Ruhe kommt, wird der Körper von Kolig als Mechanismus begriffen und seine Gefühlswelten mit Hilfe von maschinellen Versuchsanordnungen und Installationen in ihrer Banalität wie auch in ihrer feinen Strukturiertheit analysiert, in seine Einzelelemente isoliert und offen gelegt.
Das Paradies von Kolig ist ein Forschungslabor des Humanen, in letzter Konsequenz aber ein Ort der Grenzerfahrung, da eigene Grenzen und allgemeine kulturelle Konventionen überschritten bzw. herausgefordert werden. Man verlässt das Paradies nicht geläutert, sondern verstört, findet keine beruhigenden Antworten oder Harmonien, sondern wird immer wieder mit irritierenden Momenten konfrontiert, in deren Mittelpunkt der Mensch in seiner komplexen Erscheinung steht. In diesem Sinne folgt die Dramaturgie der Anlage nicht vordergründig einer architektonischen Idee, sondern unterliegt ganz dem künstlerischen Prinzip von Kolig, das ein spezifisches Verhältnis zur Welt widerspiegelt.
„Durch die Zusammenschau und den symphonischen Zusammenklang aller Teile des ,Paradieses‘ sollte immer schon ein höherer Grad an Komplexität und Intensität erreicht werden, als durch die vom Kunstbetrieb in der Regel geforderte Portionierung künstlerischer Konzepte zu warenverkehrstauglichen Einzelwerken möglich ist. (...) Das ,Paradies‘ isoliert das gesampelte sinnliche Erleben und ist zugleich sein Verstärker. Dies geschieht in kritischer Distanz zum eigenen künstlerischen Handeln und im Bewusstsein des Ausgeliefertseins an die biologischen Voraussetzungen, an die automatisch und unbewusst ablaufenden Prozesse unseres Tuns und anthropozentrisch geprägten Urteilens. Aus Sternenstaub gemacht, sehen wir uns als Teil eines rätselhaften und unbeteiligten Universums, das im schönsten, aber wohl unwahrscheinlichsten Fall in uns sich seiner selbst bewusst wird, was einer Remythisierung unserer Existenzdeutung gleichkäme. Durch die wiederholte Benützung der hier versammelten Arbeiten durch dieselben oder durch wechselnde Personen in stets unterschiedlicher Art und Weise, sollen immer wieder neue Varianten von Anwendungsergebnissen den alten hinzugefügt werden. Das ‚Paradies’ gibt seiner Nutzung lediglich die Rahmenbedingungen vor. Die Delegierung der in der Reihe ‚An den Klon‘ dokumentierten Entwürfe mit schriftlichen Bauanleitungen für bisher unrealisierte Ideen an zukünftige, mir im ‚Paradies’ nachfolgende Kunstarbeiter soll zusätzlich eine ständige Wandlung und Erweiterung der Bestände und des Erscheinungsbildes des ‚Paradieses’ nach sich ziehen.“ (Cornelius Kolig)
Zeichnungen und Objekte des Künstlers Cornelius Kolig aus seinem in Vorderberg (Kärnten) geschaffenen „Paradies“.
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