die geschichte: vom architekturforum tirol zum aut
Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des 1993 gegründeten Architekturforum Tirol.
weiterlesen …manuskript der rede anlässlich des 20-jahr-jubiläums von aut
Rede von Arno Ritter zu "20 Jahre aut" am 18. 10. 2014 im aut
Was und wen feiern wir heute, nachdem keine einzelne Person auf den Namen des aut getauft ist bzw. diesen Namen repräsentiert? Wenn man es genau nimmt, feiern wir eine Idee, eine kollektive Kraft sowie eine soziale und gesellschaftspolitische Haltung, die 1994 erstmals beim Vortrag von Friedrich Achleitner sichtbar wurde und bis heute wirksam ist und andauert. Als 1993 eine Gruppe von engagierten Personen, die sich für eine strukturelle Veränderung der Architektursituation in Tirol und für eine qualifizierte Diskussion darüber einsetzte, antrat, um den Verein „Architekturforum Tirol“ zu gründen, war jene breit aufgestellte Biografie, auf die wir heute zurückblicken können, weder absehbar noch wirklich eindeutig programmiert.
2002 formulierte ich in einem Vortrag, den ich im verflixten siebenten Jahr im damaligen Architekturforum Tirol hielt, folgende Einschätzung: „das faszinierende und gleichzeitig schwierige für mich am anfang war, dass das forum fast keine geschichte hatte, wir also keinem vorgeprägten bild nacheifern mussten. die offenheit der gründungsintention und der beteiligten personen ließ experimente und fehler zu, ausstellungen wurden einfach gemacht und vortragende rotzfrech eingeladen. auch wenn nur sieben besucher den ausführungen folgten, die diaprojektoren klemmten und manche fotos oder pläne an der wand schief hingen, ging die kollektive energie und das vielleicht übersteigerte selbstvertrauen nie wirklich verloren. wir machten einfach weiter, weil die idee und wir noch jung waren, nicht anders konnten und es vor allem den anderen – wo auch immer sie waren – zeigen wollten. die unperfekten, improvisierten, persönlichen und subjektiven momente prägten sicher am anfang die tätigkeit. das kind konnte wachsen und sich austoben, den hauch anarchischer gefühle atmen und die natürlichen phasen der reifung durchmachen. mit dieser energie und pragmatischen konsequenz wurde das forum, meiner ansicht nach politisch, nicht deshalb, weil es primär politische ziele verfolgte und diese offensiv formulierte, sondern aus der tatsache heraus, das die widerständige energie des kollektivs spürbar wurde. und dies nicht nur durch die veranstaltungen und ausstellungen, sondern vor allem durch die tätigkeit der vielen architektinnen, die ganz unterschiedliche bauwerke gegen so manche widerstände realisierten. denn ohne die tatsache, dass qualitätvolle architektur entstand und sichtbar wurde, dass darüber geredet und berichtet werden konnte, ohne diese rahmenbedingungen wäre das forum nicht entwicklungsfähig gewesen.“
Das kleine Kollektiv definierte subkutan in der Gründungsphase ein widerständiges Moment, einen gesellschaftspolitischen und strukturellen Anspruch, der ganz wesentlich für die weitere Geschichte des Vereins, des Programms wie des öffentlichen Auftritts war und ist. Denn „hintergründig“ ging es „uns“ nie ausschließlich um reine Ästhetik, nicht nur um Ausstellungen und Vorträge, sondern grundsätzlich darum das kollektive Bewusstsein dafür zu sensibilisieren, dass durch die anspruchsvolle Gestaltung unserer Umwelt die Lebensqualität der Menschen verbessert wird. Durch Veranstaltungen und Ausstellungen, aber vor allem durch den Aufbau einer breiten Gesprächskultur über Architektur und damit eines sozialen Netzwerkes sollten inhaltliche Impulse für die architekturinterne, öffentliche und im besonderen für die „politische“ Diskussion über Fragen der Gestaltung unseres Lebensraumes angeboten werden.
Von Anfang an war die Motivation ein Widerspruch gegen den bewusstlosen Zeitgeist, gegen Ideologien der Eindeutigkeit, gegen das Argument des „So war es und so ist es“ und auch gegen die damals vorherrschende öffentliche wie politische Wahrnehmung von Architektur. Langsam entwickelte sich aus dieser emotionalen Nährflüssigkeit eine Biografie des Ausstellens und Vorstellens, des Agitierens und Argumentierens. Ganz wichtig war dabei immer der konstruktive Dialog und die Wahl der Sprache, denn von Beginn an ging es uns eigentlich um Vermittlung und Kommunikation, um den Austausch von Meinungen, um Disputation, sei es in unserem Programm, in den internen Diskussionen und öffentlichen Veranstaltungen oder im Dialog mit der Politik. Ein wesentlicher Bestandteil des Gencodes vom aut ist seine soziale Netzwerkfunktion und der breit aufgestellte Vermittlungsanspruch, der dazu führte, dass zwar Architektur immer im inhaltlichen Fokus stand, aber auch Kunst und Design, die Philosophie und die Theorie, die Landschaft und die Ingenieurbaukunst, der Film und die Fotografie, die Grafik und das Buch sowie die ästhetische Bildung von Kindern und Jugendlichen fixer Bestandteil der Tätigkeit vom aut wurden. Letztlich ging es – bewusst oder unbewusst – sowohl um den steten Aufbau einer niveauvollen Diskussion über Gestaltungsfragen als auch um die Forderung nach einer qualitätsorientierten Baukultur.
Eine nachhaltige Konsequenz unserer Biografie als Kommunikationsplattform und „Wärmstube“ für ArchitektInnen ergab sich, als sich 1998 eine Gruppe von ArchitektInnen im Architekturforum formierte, um bei der anstehenden Wahl der Tiroler Kammer der ArchitektInnen und IngenieurkonsulentInnen als neue Liste anzutreten. Das Wahlergebnis war eindeutig und führte dazu, dass Vertreter des Architekturforum Tirol entscheidende Positionen innerhalb der Kammerstruktur übernahmen. Ab diesem Moment war gemeinsam mit der Kammer und der ZV ein öffentlicher Auftritt möglich, der eine Stimme und drei Unterschriften hatte. Aus dieser kollektiven Kraft entstand auch eine offene und produktive Gesprächskultur mit VertreterInnen der Stadt Innsbruck und des Landes Tirol, aber auch mit den Medien, die wesentlich für die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und für die Wahrnehmung von architektonischen Themen sind. Denn ohne die kontinuierliche und breitenwirksame Berichterstattung im Rundfunk und in den Printmedien und ohne den emphatisch gespannten Dialog mit den politisch Verantwortlichen, hätten wir mit unserem Programm und unserer kritischen Haltung keinen produktiven Widerhall gefunden.
Ein wesentlicher Schritt in unserer Biografie war sicher die Übersiedelung ins Adambräu, einer Ikone der klassischen Moderne mit einer einmaligen Raumstruktur, die neue Möglichkeiten des Veranstaltens und Ausstellens eröffnete und Fragen dazu herausforderte. Im Dialog mit den Architekten, Grafikern und Künstlern, mit denen ich die Ausstellungen entwickelte, wurde mir bewusst, dass es bei Architekturausstellungen um das Vermitteln von Abwesendem geht. Denn gehen sie in eine Kunstausstellung sehen sie das, worum es geht, nämlich Kunst. Besuchen sie aber eine Architekturausstellung, werden sie vorwiegend mit Materialien der Produktion von Architektur, wie Plänen, Modellen oder Skizzen konfrontiert oder mit Artefakten, die für die Dokumentation der Bauten produziert wurden, wie Fotos, Texte und Filme. Aber das Wesentliche, nämlich der reale Raum und die gebaute Architektur sind abwesend. Dazu kommt, dass Architektur ein synästhetisches Phänomen ist, das mit allen Sinnen erfahren wird. Vom Auge, über die Nase und das Ohr bis zur Haut wird Raum wahrgenommen. Daher entwickelten sich die Ausstellungen zu eigens gedachten Architekturprojekten, die synästhetische konzipiert, das direkt vermitteln sollten, worum es in der Arbeit der Ausstellenden geht. Am radikalsten wurde dieser Ansatz sicher in Venedig umgesetzt, eine einmalige Außenstelle des aut, wo wir grundsätzliche Fragen zur Raumproduktion und zum menschlichen Körper als Bestandteil des technologischen Denkens thematisierten und jenseits der architekturspezifischen Vermittlungsstrategien präsentierten.
In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig zu erwähnen, dass mittlerweile sowohl die Architektur in Tirol wie auch die Arbeit des aut über die Landesgrenzen hinaus Strahl- und Anziehungskraft entwickelt hat und sowohl in den internationalen Medien rezipiert wird wie Besucher anzieht, die von der Qualität und dem Niveau angetan sind. Gleichzeitig haben sich die Lebensbedingungen für die Entwicklung von Architektur aber nicht der externen Anerkennung folgend, wesentlich verbessert. Dazu kommt noch, dass die Flut an Normen und Vorschriften das freie Denken und Handeln der Architekten verhindert und letztlich zu pragmatischen Lösungen führt, die zwar normgerecht sind, aber keine architektonische Seele mehr haben dürfen. Konnten Architekten vor einigen Jahren noch von einem zweiten oder dritten Platz bei einem Wettbewerb sowohl die internen wie externen Kosten abdecken und ein wenig Geld zum Leben verdienen, sind heute solche Verfahren meistens Verlustbringer für die Büros. Denn einerseits sind die Anforderungen höher geworden, andererseits die Preisgelder nicht im gleichen Maße gestiegen. Nehmen wir zum Beispiel den Wettbewerb für das Haus der Musik, an dem fast 130 Büros aus allen Herrgottsländern teilnahmen. Rechnet man bei so einem komplexen Projekt – konservativ bewertet – durchschnittlich 400 Arbeitsstunden pro Büro, die in den Entwicklung und Ausarbeitung der Idee wie der Pläne flossen, so haben alle Teilnehmer über 3,6 Millionen Euro in den Findungsprozess der öffentlichen Hand für das beste Projekt investiert, bei einem Preisgeld von 136.000 Euro – das sich 8 Büros teilen dürfen – und Nettoherstellungskosten von 25 Millionen Euro. Die Ironie der Geschichte liegt aber darin, dass die öffentliche Hand im doppelten Sinne von dem Verfahren profitiert, denn einerseits konnte sie aus dem Potenzial von 126 kreativen Lösungen ein Projekt auswählen, andererseits nahm der Staat wie die Kommunen indirekt von diesem Wettbewerb fast 1,2 Millionen Euro ein, da die Büros für die in die Ausarbeitung der Beiträge gebundene Arbeitszeit und die externen Kosten, Steuern und Abgaben entrichten müssen.
Dahinter steckt ein fundamentales Problem, nämlich die Frage nach der Bedeutung von Kreativität und der ökonomischen Bewertung von dieser. In unserem neoliberal getränkten Denksystem wird Kultur und die kreative Leistung der Architektinnen als weicher Faktor angesehen und tendenziell unterbewertet. Dieser Logik folgend wird die Bildung auch zur Ausbildung umcodiert, in der Literatur, Kunst und Ästhetik keine Bedeutung mehr hat, Kultur als Quotenfaktor bewertet und Architektur als reines Investment angesehen oder zu einem Brand degradiert. Gleichzeitig wird die Kunst zur Aktie und von denen gekauft, die davor aus marktwirtschaftlichen und zweckrationalen Gründen für die Abschaffung der Fächer wie Kunst und Literatur argumentiert haben. Doch das Leben an sich, die Kultur im speziellen und die Architektur im Besonderen sind im eigentlichen Sinn eine Leistung der reinen Verschwendung und haben – für mich zumindest – damit einen derart hohen Stellenwert, der nicht durch Zahlen oder unter rein ökonomischen Prämissen zu bemessen ist.
Vor kurzem habe ich in einen Artikel des Ökonomen Stephan Schulmeister folgenden Satz gelesen: „Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften verändern ökonomische Theorien ihr Objekt, die wirtschaftliche Realität, und damit die Verteilung von Einkommen, Vermögen, Macht.“ Ergänzt man die ökonomische um den Begriff der politischen Theorie, so besteht die Hoffnung, dass die derzeitigen Rahmenbedingungen und Bewertungskriterien geändert werden können. Denn definiere ich die Erde zur Scheibe, dreht sich die Welt immer noch im Kreis, ändert sich aber der Ansatz und die Bewertungskriterien im ökonomischen wie auch im politischen Denken, so hat dieser unmittelbare Auswirkungen auf das soziale Leben, die Gesellschaftsstruktur und die Bedeutung der Kreativität.
Über 1.000 Veranstaltungen haben in den vergangenen 20 Jahren stattgefunden, dabei wurden viele Architekturprojekte gezeigt, zahllose Konzepte vermittelt, unzählige Stunden geredet und zugehört. Manchmal wurde auch öffentlich oder intern gestritten oder es wurden offene Briefe verfasst. Aus diesem steten Dialog heraus hat sich etwas entwickelt, das letztendlich Hoffnung macht: Der Anspruch und das Niveau innerhalb der kollektiven Gesprächskultur über Architektur und Gestaltungsfragen ist heute um einiges höher als vor zwanzig Jahren. Das ist eine gewisse Leistung, gerade in Hinblick auf die Motivation, die zur Gründung des aut führte.
Die Zukunft kennt aber kein Pardon, nicht einmal mit ihrer und unserer Geschichte. Denn alles geborene vergeht und die Frage stellt sich am heutigen Tag, was passieren muss bzw. was wir machen sollten, damit das aut aufgelöst werden kann, weil seine Intention und sein gesellschaftspolitischer Ansatz im kollektiven wie politischen Bewusstsein aufgegangen ist.
In diesem Sinne möchte ich zum Schluss einige wenige Szenarien skizzieren, die dazu führen könnten, dass die Tätigkeit des aut sinnlos wird:
Das Thema der Gestaltung unserer Umwelt hat eine solche Relevanz erreicht, dass alle Bevölkerungs- und Altersschichten alltäglich Qualität einfordern und abfragen. Damit wäre jenes Niveau der kollektiven Baukultur erreicht, damit sich die Architektur endlich neuen Gedanken widmen und wieder fliegen lernen könnte.
Die kreative Leistung der Architekten, Künstler und Kulturschaffenden hat im öffentlichen Bewusstsein den Stellenwert von anderen Berufsgruppen erreicht, um damit von ihrer Arbeit und ihrem Engagement entsprechend leben zu können. Damit wäre jener Fluchtpunkt der Kultur erreicht, der die so genannten weichen Faktoren gleich bewerten würde, wie marktwirtschaftliche Argumente. Die Ökonomie der Verschwendung hat das neoliberale Denken im Sinne der Architektur und Kultur abgelöst.
Gesetze, Normen und Vorschriften werden im Sinne des Gemeinwohls und zur Hebung der Lebensqualität erlassen und bilden nicht ökonomisch unterfütterte Lobbyinteressen ab. Damit tragen sie zur Steigerung der Qualität der Architektur und des Lebensraumes bei. Die Architekten können sich endlich wieder auf ihr Metier, die Gestaltung, konzentrieren und nicht nur normgerechte Gebäude, sondern Räume mit Seele errichten.
Die Wettbewerbs- und Baukultur hat jenes Niveau erreicht, dass im Sinne der Nachhaltigkeit eines Gebäudes nicht bei der Planung und der Ausführungsqualität gespart wird, da sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass gute Architektur sowohl einen Mehrwert für die Gesellschaft bringt, wie das Architektenhonorar in Relation zu den Lebenszyklenkosten eines Gebäudes marginal ist. Denn gute Planung und Bauqualität spart langfristig Kosten.
Mit der fiktiven Auflösung des aut ergäbe sich noch ein Mehrwert, denn im Kulturbudget des Bundes, des Landes und der Stadt würden Gelder frei werden, um damit neue Initiativen und Ideen unterstützen zu können....
Ich möchte allen Personen danken, die das Architekturforum Tirol gegründet und die Idee über die Jahre getragen haben, allen jenen die mir vertraut haben, mit denen ich zusammenarbeiten und von denen ich lernen konnte. Ich danke allen PolitikerInnen, die uns unterstützt haben und mit unsere Kritik umgehen konnten, allen ArchitektInnen für ihr Engagement und ihr Kommen zu Veranstaltungen, allen Vorstandsmitgliedern und MitarbeiterInnen, die unsere Geschichte mitgetragen und geprägt haben und allen Sponsoren, die maßgeblich unserem Weg finanziell unterstützt haben.
Zu guter letzt danke ich meinen aktuellen MitstreiterInnen im aut, Marina Treichl, Cam nhi Quach, Hans Jörg Griesser und im Bezug auf die Ausstellung besonders Claudia Wedekind, die in knapp drei Monaten die Inhalte recherchiert und die Präsentation mit mir konzipiert und gestaltet hat.
Und eine Person möchte ich noch zum Schluss erwähnen: Monika Abendstein, die bis vor kurzem Mitarbeiterin des aut war und mit der wir aktuell ein Projekt auf die Beine stellen, dass – meiner Meinung nach – für die zukünftige Entwicklung des Landes wichtig ist. Im kommenden Jahr werden wir im Rapoldipark die Idee des bilding räumlich umsetzen, eine Schule und Werkstatt für Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 19 Jahre, in der sie kostenlos in Malerei, Bildhauerei, Design, Architektur, Film und neue Medien unterrichtet werden. Um den Bau zivilgesellschaftlich zu finanzieren, möchte ich heute den Abend nutzen und sie um Unterstützung bitten, damit wir in 20 Jahren wieder zusammenkommen können, um diese Idee feiern zu können ...
Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des 1993 gegründeten Architekturforum Tirol.
weiterlesen …Ein Einblick in die 20-jährige Geschichte des aut. architektur und tirol bzw. des Architekturforum Tirol mit Daten und Fakten, Überraschungen und „Schätzen“.
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