wernerburtscher: aufforderung zum experiment – diskussion fürs milieu
ein aut: feuilleton, erschienen in aut: info, nr. 3/2006
Es wird viel gebaut in der Stadt und es steht viel leer in der Stadt. Es wird viel gebaut in der Stadt, aber wo sind die spannenden Häuser, in denen wirklich Neues entsteht? Müssten die beiden Ansätze (spannend und neu) nicht forciert Hand in Hand gehen, um die Stadt toller zu machen – und noch ein Schritt weiter: um das Umfeld differenzierter zu machen. Ist das Wohnbürogeschäftsgebäude schon das Maximum an urbaner Mixtur in einem Haus? Hat die reine Funktionserfüllung mit schickem Kleid das spezifisch urbane Milieu schon überlebt?
wettbewerbe
Eine Forderung für Wettbewerbe könnte sein: primär weg von gemäßen Volumen und Oberflächen, hin zum konzeptionellen Denken an Milieus und Mischung verschiedenster, sich ergänzender Inhalte, die eine Umgebung, ein Bezirk, verträgt und braucht. Die Wettbewerbe bewusst nicht an der Grundstücksgrenze enden lassen, sondern sie über das Einsatzmodell hinaus denken, um die Wirkung des Neuen auch in die Umgebung fließen zu lassen (analog zur Infrastruktur und dem Charme eines Hauses, die beide nicht an der Grenze enden). Ausgehend vom Wettbewerb – neue Gedanken für ein „Grätzel“: Braucht jeder Wohnbau einen Spielplatz oder besser mehrere Wohnbauten zusammen einen großen Park? Braucht jeder Wohnbau eine separate Zufahrt zur Tiefgarage oder könnte man diese Infrastruktur nicht gesamthafter planen
und somit neue Freiräume schaffen? Kinderhorte, Jugendräume, Bäume, … sind bessere Teile für eine Stadt, wenn sie übergreifend und zusammenhängend gedacht und begriffen werden.
wohnbau
Eine Forderung für den Wohnbau könnte sein, dass die maximale architektonische Idee gefordert wird, um das Neue als Experiment und zeitgemäßes Bauen im 1:1 Modell zu sehen. Nur einen Versuch, der im Ansatz und der Umsetzung an das Experiment in Mulhouse (Ausstellung aut Frühjahr 2005), oder die Siedlung der Sargfabrik in Wien (BKK2), oder an Jean Nouvels Nimausus 1 oder 2 erinnert, (die Wunschliste ist beliebig fortzusetzen und individuell zu korrigieren) müsste man in der Stadt, am Land ansetzen, um ein Umdenken zu erleben, im „Echtraum“ zu diskutieren. Etwas anderes zu sehen als 35-, 55-, 75-, 95-m2 Wohnungen, etwas anderes zu sehen als 1- bis 5-Zimmerwohnungen, etwas anderes zu sehen als Raumhöhe zweifünfzig. Zuviel verlangt für das 21. Jahrhundert?
städte und orte
Eine Forderung ist die Aufforderung zum Experiment und zur Stadtkorrektur. Die Stadt, die Orte verändern sich laufend. Das ist eine Tatsache. Diese Tatsache aber aktiv zu nutzen, um die Stadt zu verändern, wäre eine große Möglichkeit für neue Architektur und somit für das ganze Geflecht von soziologischen, gebauten, psychologischen und physischen Strukturen und Milieus. Mehr Temporäres schaffen und es ein wenig länger stehen lassen, wenn es geliebt wird. Bewusst neue Milieus schaffen, um weg zu kommen von genehmen Volumen und definierten, nicht hinterfragten Vorgaben und „eh schon klaren“ Inhalten. Das Milieu, das gedacht, erträumt und gebaut wird, könnte der Zugang für eine Weiterentwicklung der Architektur sein. Verschiedene Menschen = verschiedene Milieus = unterschiedliche Architekturansätze – oder sind alle gleich? Das gebaute Experiment als Anfang für den geforderten und notwendigen nächsten Schritt. Wer macht ihn als erstes?
wernerburtscher
geb. 1972; Studium an der Technischen Fakultät der Universität Innsbruck; seit 2004 Architekt ohne Befugnis und Kritiker in Innsbruck; seit 2004 Lehrauftrag am Institut für Experimentelle Architektur.Hochbau; Mitglied der Gruppe columbosnext_Architektur; dzt. Mitarbeiter im Büro Erich Gutmorgeth
bauten und projekte (Auswahl)
b 1998 – 2000 Einfamilienhaus Hahn, Schruns; 1999 Kapelle Altersheim, Völs am Schlern, gem. mit Paul Senoner
p 2001 Erweiterung Stadtkirche Hl. Kreuz, Bludenz, gem. mit Walter Prenner; 2001 – 03 Cinéma en plein air, Domplatz Innsbruck; 2004 Lichtspieltheater Wien I.; 2006 Erweiterung Ars Electronica Center, gem. mit columbosnext_ Architektur und Arch. Renz
aut: feuilleton
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