ivona jelčić: adieu, allee
Der Eingangsbereich ist die Visitenkarte jeder Wohnung, heißt es. Ähnliches sollte auch für eine Stadteinfahrt gelten. Manche erinnern sich vielleicht noch an das schöne, fast italienisch anmutende Innsbrucker Entrée im Schatten großer Bäume: Wer von Süden kommend in die Stadt hineinfuhr, wurde früher einmal von einer Kastanienallee empfangen, die die Brennerstraße in Wilten gesäumt hat. Heute ist davon so gut wie nichts mehr übrig, stadteinwärts auf der rechten Seite ist der letzte Baum im Juli 2021 verschwunden, auch linkerhand steht vom ursprünglichen Bestand nur noch ein kümmerlicher Rest.
Eine ganze Allee wird gefällt und kein einziger Baum nachgepflanzt? Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass es in Innsbruck schon wegen weit weniger massiven Kahlschlägen heftige Proteste gegeben hat. Dass neuerdings sogar hiesige Populisten eifrig darum bemüht sind, politisches Kapital aus „Baummörder“-Parolen zu schlagen. Und dass Bäume als die großen Klimaretter in der Not gelten.
Doch auch ganz abgesehen davon muss man sich fragen, warum die Gestaltung oder vielmehr die Verunstaltung einer ehemals attraktiven Stadteinfahrt politisch niemanden zu jucken scheint – und zwar schon seit Jahrzehnten. Im vorliegenden Fall ist der Kahlschlag nämlich nicht über Nacht, sondern schleichend passiert. Er blieb aber nicht undokumentiert, was meinem Kolumnen-Nachbarn auf diesen Seiten, Rainer Köberl, zu verdanken ist. Mit der abgebildeten Skizze und der Frage, warum man die Allee so vor die Hunde gehen lasse, hat er sich bereits vor 20 (!) Jahren an die Stadtpolitik gewandt und seither quer durch die wechseln den politischen Zuständigkeiten und Couleurs immer wieder nachgehakt.
Aus den daraus entstandenen Korrespondenzen wiehert der Amtsschimmel, die Allee ist unterdessen ganz verschwunden, nachgepflanzt wurde nicht mehr, weil der Standort eben schwierig sei, wie es aus dem zuständigen städtischen Amt für Grünanlagen heißt: der beschränkte Wurzelbereich, Salz, Öl, Reifenabrieb und andere Umweltbelastungen hätten die bestehenden Bäume geschädigt und Neupflanzungen wenig sinnvoll gemacht. Das klingt nachvollziehbar, bedeutet aber keineswegs, dass die Entwicklung hin zum trostlosen Status Quo alternativlos war. Wir sprechen wie gesagt von einem Diskussionszeitraum von zwanzig Jahren, den man bei entsprechendem politischem Willen auch nutzen hätte können, um eine „baumfreundlichere“ Situation zu schaffen und so zumindest einen Teil der bestehenden Allee zu erhalten, oder neue Bäume zu pflanzen. Nichts von beidem ist bisher geschehen. Auch mit dem Argument, dass die Brennerstraße eine Landesstraße und damit das Land Tirol zuständig sei.
2010 hieß es von Seiten der Stadt, man sei bemüht, in Zusammenarbeit mit dem Land „eine Lösung zu finden“, mehr als ein Jahrzehnt später ist man immer noch bemüht, in anderen Worten also keinen Schritt weiter gekommen. „Am sinnvollsten“ erscheine aus Sicht der Stadt jedenfalls „in einer ersten Etappe eine durchgehende Baumreihe westseitig und eine durchgehende Gehwegverbindung ostseitig“ zu gestalten, lässt die nunmehr zuständige grüne Stadträtin wissen. Die „zweite langfristige Etappe“, sprich Allee, bringt dann vielleicht in ein paar Jahrzehnten das Christkind.
Text: Ivona Jelčić, aus aut: info 1/22