ivona jelčić: aufbruch und abbruch
Für Todesanzeigen ist in Tirol bekanntlich ein anderes Medium zuständig, posthume Würdigungen erscheinen aber gelegentlich auch auf diesen Seiten – mitunter beziehen sie sich sogar auf einzelne Gebäude. Vor einigen Jahren war hier etwa ein schöner Nachruf auf Josef Lackners Grottenbad Flora zu lesen, auf das im Herbst 2018, während des noch laufenden Unterschutzstellungsverfahrens, „zufällig“ ein Baum gefallen war, woraufhin ein ebenfalls „zufällig“ bereitstehen-der Bagger eilig den Rest erledigte. Von dem 1969 – 70 errichteten Architekturjuwel der Tiroler Nachkriegsmoderne blieb nur ein Schutthaufen übrig.
Der dreiste Akt der Zerstörung sorgte damals für allgemeine Empörung und gilt – zumindest inoffiziell – als Anlassfall für eine nun in Innsbruck und Umgebung durchgeführte Bestandsaufnahme von Bauten aus der Zeit nach 1945 und insbesondere ab den 1960er-Jahren. Um dieses architektonische Erbe war es nämlich auch schon vor 2018 alles andere als gut bestellt, denn viele signifikante Bauten waren längst – im Stillen – verschwunden oder wurden unsensibel zu Tode saniert. Im amtlichen Denkmalschutz stehen sie oft auf den hintersten Rängen langer To-Do-Listen, sie gelten außerdem als schwierige Patienten, was ihre Sanierung und vor allem die Energiebilanz betrifft. Und während die Fach-welt ihren experimentellen Geist und ihre Raumprogramme rühmt, erfreuen sie sich in der Öffentlichkeit nicht sonderlich großer Beliebtheit und es gibt wenig Bewusstsein für ihre Qualitäten. Anders gesagt: Die Nachkriegsmoderne ist bedroht, ein Umstand, dem man auch schon in anderen Bundesländern mit regionalen Forschungsprojekten entgegenzuwirken versucht hat. In Tirol gilt die von Landeskonservatorat, Tiroler Kunstkataster, Stadtplanung Innsbruck und dem universitären Archiv für Bau.Kunst.Geschichte durchgeführte Erfassung und Inventarisierung von rund 400 Bauten seit Ende 2023 als abgeschlossen und hat auch einen Dringlichkeitskatalog hervorgebracht. Dass der Abschluss des Projekts erneut vom Abriss eines Lackner-Gebäudes begleitet wird, dieses Mal in Rum – und mit gültigem Abbruchbescheid –, ist die weniger erfreuliche Nachricht.
Hiermit also zur Todesanzeige: Das 1966 – 68 errichtete Einfamilienhaus Rossa musste im April diesen Jahres einem Neubauprojekt weichen. Es hatte zusammen mit dem benachbarten Haus Schlegel (1966 – 67) ein kleines Ensemble gebildet, freilich auf die sehr eigenwillige, nicht im Mindesten an Wiederholung, sondern am Kontrapunktischen und an erfinderischen Sprüngen interessierte Lackner’sche Art. Die hätte man am Beispiel des Haus Rossa zumindest noch fotografisch dokumentieren wollen. Mangels Einwilligung ist es aber nicht einmal mehr dazu gekommen.
Text: Ivona Jelčić, aus aut: info 2/24