ivona jelčić: big mac am lesedeck
Vor knapp einem Jahr hat die neue Stadtbibliothek Innsbruck ihre Pforten geöffnet, und es sieht ganz so aus, als erfülle sie viele jener Funktionen, die man der idealen Bibliothek des 21. Jahrhunderts gerne zuschreibt. Bibliotheken sollen heute mehr als Bücheraufbewahrungsorte sein, sie sind Begegnungszonen mit sozialem und integrativem Anspruch, eine Erweiterung des öffentlichen Raums, Wohnzimmer für alle, noch dazu möbliert wie aus dem Schöner-Wohnen-Katalog.
Wenn man so über die Bibliothek als öffentlichen Raum nachdenkt, passt es gut, dass der Veranstaltungsraum über der Stadtbibliothek auch für Ausstellungen und Diskussionen über Stadtplanung genutzt wird. Über die gelebte politische Praxis von Stadtentwicklung lernt man aber auch eine Etage höher einiges: Von dem als „Lesedeck“ und/oder „Kulturplateau“ bezeichneten Dach der Bibliothek aus fällt der Blick auf Teile des Frachtenbahnhofs. Im Architekturführer Innsbruck (Haymon, 2017) steht über das von LAAC geplante Pema II Gebäude, in dessen Sockel sich die Stadtbibliothek befindet, geschrieben: „Das Projekt soll zum Identifikationspunkt des neugeplanten Stadtteils am Frachtenbahnhof werden, wobei die beiden Türme (Anm.: gemeint ist auch Pema I in der Brunecker Straße) das ‚Eingangstor‘ zum Stadtzentrum bilden sollen“. Wir erinnern uns: 2017 ist eine massive Polit-Kampagne für die Bewerbung Tirols um die Austragung der Olympischen Winterspiele 2026 übers Land gerollt. Das dritte Olympische Dorf mit rund 400 Wohnungen, hieß es damals, solle auf dem Areal des Frachtenbahnhofs errichtet werden. Allerdings war auch schon 2017 höchst fraglich, ob die ÖBB als Eigentümerin mit dem Argument Olympia leichter dazu zu bringen sein würden, das Areal abzutreten.
Am Ende hat die Tiroler Bevölkerung Olympia bekanntlich eine Absage erteilt. Und die ÖBB ließen 2018 wissen, dass sie den Frachtenbahnhof unter anderem für ein Sicherheitszentrum für den Brenner Basistunnel benötigen. Ende der Geschichte? Wie es derzeit aussieht, ja.
Bleibt die Frage, warum im Windschatten politisch propagierter Großveranstaltungen plötzlich ungeahnte Energien für die Schaffung von leistbarem Wohnraum frei werden, nicht aber ohne sie. Und warum die geplante Nutzung eines mitten in der Stadt gelegenen Areals für den BBT offenbar als sakrosankt gilt, zumal man es ja nicht etwa mit einem privaten Eigentümer zu tun hat, sondern
mit einem Unternehmen, das zu hundert Prozent im Besitz der Republik, also von uns allen, steht.
Das „Lesedeck“ der Stadtbibliothek, über dem sich der Pema-Wohnturm erhebt, ist kein schlechter Ort, um über solche Dinge nachzudenken. Auch weil hier die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft in zum Teil recht kurios wirkenden Konstruktionen aufeinandertreffen. Das Dach der Bibliothek war nicht Gegenstand des Deals zwischen Stadt und Pema, wurde also nicht angekauft und ist weiterhin im Besitz des Immobilienunternehmens. Ebenso jener geschwungene Gebäudeteil, der die Dachfläche nach Norden hin begrenzt und ursprünglich für einen Gastronomiebetrieb vorgesehen war. Er steht bis heute leer. Bei einer kolportierten Pacht von Euro 14.000,– pro Monat wundert das eher wenig. Innsbrucker Gastronomen hört man schon spötteln, dass „da oben höchstens ein McDonald‘s“ einziehen werde. Das hieße dann womöglich: Big Mac statt Lesedeck.