ivona jelcic: europameister
In Bayern haben vor kurzem 1,7 Millionen Menschen das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ unterschrieben. Es ging darin um Biodiversität und nicht zuletzt um den Erhalt von natürlichen Lebensräumen, sprich: um Widerstand gegen den Flächenfraß. „Bayern hat eine neue Ökobewegung: Plötzlich setzen sich SUV-Fahrer für die Bienen ein“, schrieb Die Zeit mit Seitenhieb auf eine Wohlstandsgesellschaft, die ihr Herz für die Natur entdeckt. Trotz aller Ambivalenzen ist der Erfolg des Referendums bemerkenswert, zumal Deutschland bei weitem nicht der Europameister im Zubetonieren ist. Diesen Titel kann Österreich für sich beanspruchen, denn täglich werden im Land 12,9 Hektar Boden versiegelt. Das entspricht in etwa 20 Fußballfeldern und ist ein Vielfaches der EU-Zielvorgabe von maximal 2,5 Hektar täglich.
Tirol baut eifrig mit: Die Angaben schwanken zwischen täglich verbauten Flächen in der Größe von ein bis zwei Fußballfeldern – macht in Summe bis zu 700 im Jahr. Bleibt der Bodenverbrauch weiterhin so intensiv, wäre das Inntal bis 2050 komplett zugebaut. Zu diesem Schluss kam eine 2018 veröffentlichte Studie des Umweltbundesamtes zum Bodenverbrauch in Österreich. Dass die Versiegelung von Naturräumen fatale Folgen hat, ist längst bekannt: Erwärmung des lokalen Klimas, steigende Hochwassergefahr und ein breites Artensterben, weil Lebensräume für Pflanzen und Tiere verloren gehen.
Tirol hat mit nur 12 Prozent der Gesamtfläche den geringsten dauerhaft besiedelbaren Raum in Österreich. Und gleichzeitig im Bundesländervergleich die höchste Verkaufsflächendichte pro Einwohner. Fragt sich, ob die Tiroler die fleißigsten Konsumenten sind oder ob man hierzulande nur besonders großzügig bei der Schaffung von Konsumflächen ist. Die Regale müssen jedenfalls auch befüllt werden: Entlang der Bahn- und Autobahntrasse von Innsbruck Richtung Stams reihen sich die Logistikzentren großer Lebensmittelketten aneinander. Man sieht ausladende Flachbauten,
um diese herum große Park- und Ladeflächen. Sie spiegeln in etwa das wider, was – in kleinerem Maßstab – auf den Endkunden wartet: Zumeist an Ortsränder gebaute Supermärkte, die ihrerseits mit großzügigen Parkflächen aufwarten. Dass sich dank des Tiroler Platzhirsches im Lebensmittelhandel eine architektonische Qualität etabliert hat, ist unbestritten. Kein Vergleich zu den banalen Schachteln der Gewerbegebiete, die rund um viele Ortschaften auf die grüne Wiese geklotzt wurden, um Kommunalsteuern in die Gemeindekassen zu spülen. Auch das ist das Ergebnis einer Raumplanung, die vorwiegend in den Gemeindestuben auf Einzelinteressen basierend und nicht übergeordnet im Landhaus angesiedelt ist. Änderung nicht in Sicht.
Immerhin sollen in Zukunft die Autoabstellwüsten in Tirol eingedämmt werden, indem man Handelsbetriebe per Gesetz dazu verpflichten will, Tiefgaragen oder Parkdecks zu bauen. Auch Mehrfachnutzungen, zum Beispiel durch auf Supermärkte gebaute Wohnungen, sind neuerdings im Gespräch. Das alles kommt allerdings reichlich spät, besonders in einer Region wie Tirol, die weitaus mehr an Bodenknappheit leidet als Bayern. Auch dort ist es freilich nicht nur um Lebensraum für Bienen gegangen.
Es gibt in Tirol übrigens rund 300 Fußballplätze. Man stelle sich vor, sie würden innerhalb eines Jahres allesamt zubetoniert.
Text: Ivona Jelcic, erschienen in aut: info 3/2019