ivona jelcic: innsbruck ist nicht kopenhagen
Weil es bei den gerade geschlagenen Gemeinderatswahlen in Innsbruck zumindest am Rande Thema war: ein kritischer Nachtrag zur vermeintlich goldenen Zukunft der Fahrradstadt Innsbruck. Der vermutlich kürzeste Radweg der Stadt liegt auf einer ihrer wichtigsten und meist befahrenen Achsen, nämlich jener über den Bahnhof. Zugegebenermaßen handelt es sich eigentlich nicht um einen Radweg, sondern bloß um eine Abbiegespur, die an der Kreuzung Südtiroler Platz /Salurner Straße offenbar vom Himmel gefallen ist. Denn es ist weit und breit kein Radweg-Anfang und kein Ende auszumachen, nur eine auf den Asphalt gepinselte Aufforderung zum waghalsigen Manöver nach links. Quer über unübersichtliche Ein- und Ausfahrtsschneisen für Busse, Straßenbahnen und Taxis, führt es todesmutige Radler direkt vor das Bahnhofsgebäude – also zum Knotenpunkt des öffentlichen Verkehrs. So weit muss man aber erst einmal kommen: Auf sage und schreibe keiner einzigen der Hauptverkehrsachsen, die von Westen in Richtung Hauptbahnhof führen, gibt es eine Fahrradspur, nicht einmal von der mit einem Radweg ausgestatteten Museumstraße, denn wer von dieser über die Brunecker Straße Richtung Bahnhof weiterradeln will, muss in den Autoverkehr einfädeln – vermutlich, weil man sich diesem nicht einmal einen halben Meter abzuzwacken getraut hat.
Die (Nicht)Anbindung des Radverkehrs an den Innsbrucker Hauptbahnhof ist die asphaltierte Antithese zu stadtplanerischen Zukunfts-, eigentlich längst zu Gegenwartskonzepten, wie sie etwa der dänische Architekt und Stadtplaner Jan Gehl skizziert, der im Herbst vergangenen Jahres im aut zu Gast war. „Jede verkehrspolitisch gewollte Einladung zum Radfahren muss den Zweiradverkehr in das gesamte städtische Verkehrsnetz integrieren“, heißt es in seinem Buch „Städte für Menschen“. Just in diesem Innsbrucker Wahlkampffrühling verbreitete auch der VCÖ einmal mehr das Postulat: „Fahrrad und Öffis sind eine ideale Kombination. Umso wichtiger ist es, dass Bahnhöfe und Haltestellen gut mit dem Rad erreichbar sind“. Aber das ist dort, wo die Förderung des innerstädtischen Fahrradverkehrs nicht nur graue Theorie bleibt, ohnehin längst common sense.
In Innsbruck lag der verkehrstechnische Fokus Anfang der 2000er Jahre, als der neue Hauptbahnhof mitsamt dem Vorplatz geplant wurden, offensichtlich anderswo. Vielleicht auf den Konflikten zwischen Bikern und Bergwanderern auf den Forststraßen? Inzwischen sollte aber die Erkenntnis, dass Radeln nicht nur eine Frage der alpinen Freizeitgesellschaft ist, auch ins Tal gesickert sein,
zumindest in der Theorie. Die Situation am Hauptbahnhof steht symptomatisch für eine jahrelang verfehlte Verkehrspolitik, in die RadfahrerInnen eher notdürftig „hineingeflickt“ wurden, statt sie im Rahmen eines nachhaltigen Mobilitätskonzeptes zu gleichberechtigten TeilnehmerInnen am Straßenverkehr zu machen. Es gibt ziemlich gute Argumente für solche Konzepte, zum Beispiel Klimaschutz, Förderung der Gesundheit, Aufwertung des öffentlichen Raums. Solche Konzepte basieren aber auch auf einer massiven Einschränkung des Autoverkehrs. Und das verkauft sich politisch bekanntlich weniger gut. Weshalb die Förderung des Fahr-radverkehrs gern in Versprechungen oder nur vereinzelten Maßnahmen stecken bleibt.
Laut einer Mobilitätserhebung von 2015 erledigen 31 Prozent der Innsbrucker ihre täglichen Wege zu Fuß, immer noch 28 Prozent mit dem PKW. Auf die Öffis entfallen 22 Prozent, auf das Fahrrad 17. Die restlichen 2 Prozent firmieren unter „Sonstiges“. Es ist also noch reichlich Luft nach oben, denn bei den europäischen Spitzenreitern liegt der Radverkehrsanteil bereits zwischen dreißig und vierzig Prozent.
ivona jelcic
geb. 1975; schreibt als Kulturjournalistin über bildende Kunst, Architektur und Kulturpolitik; studierte Komparatistik und Romanistik an der Universität Innsbruck; von 2008 bis 2017 Leiterin des Kulturressorts der Tiroler Tageszeitung