ivona jelčić: neues wohnen in klonen
Ein seltsamer Retro-Geist geht um in den Städten, man kann sich davon auch in Innsbruck ein Bild machen, und zwar in der Conradstraße im Saggen, wo sich ein Klon unter die umliegenden Gründerzeitbauten gemischt hat. Der pseudohistoristische Wohnbau mit seinen vergoldeten Ornamenten, schmiedeeisernen Palisaden, Türmchen, Gauben und einem Bronzelöwen als Wachpersonal heißt „Palazzo Verena“. Man wolle damit die „Erinnerung an das ehemalige italienische Staatsgebiet im Herzen des Innsbrucker Saggens“ hochhalten, heißt es auf der Homepage des Projektbetreibers. Allerdings ist die Mutter dieses Gedankens eine ähnlich schmalzige Fantasie wie das Gebäude selbst. Denn das italienische Generalkonsulat, das auf dem Areal einst stand, war alles andere als ein historischer oder pseudohistorischer Palazzo, sondern ein bemerkenswertes Stück architektonische Moderne aus den späten 1950er-Jahren, geplant vom Innsbrucker Architekten Herbert Neubauer, abgerissen 2012.
Eine kuriose Koinzidenz, denn man könnte auch sagen: Die Moderne, die sich dereinst auch über die Ablehnung der bürgerlichen Gründerzeit-Ästhetik definierte, wurde am Ende von ihrem eigenen Feindbild bezwungen. Und als hätte es die nachfolgende Architekturgeschichte nie gegeben und habe die baukünstlerische Gegenwart sowieso nichts zu bieten, erinnert jetzt eine Attrappe an eine so nie da gewesene Vergangenheit. Dieses Phänomen liegt im Trend: In Deutschland ist der Hang zu historistischen Retrobauten für ein betuchtes urbanes Publikum schon seit einigen Jahren sichtbar. Offenbar bestimmt die Nachfrage das Angebot und wer es sich leisten kann, richtet sich heute samt Retro-Kühlschrank und Alexa eben gern in eklektischen Hüllen von Vorvorgestern ein. Selbstredend mit dem Komfort und der Ausstattung von heute.
Sicher: Es handelt sich hier um InvestorenProjekte. Und es hängt in diesen Fällen eben vom Geschmack des Kunden ab, ob er sein Geld in pseudomodernistische Gebäude aus Glas und Beton oder in Gründerzeit-Klonen anlegt. Doch man muss sich auch fragen, was es für die Stadt von morgen und gerade auch für Innsbruck bedeutet, wenn einerseits die Grenzen zwischen „feudalem“ und leistbarem Wohnen entlang einer neoliberalen Nostalgie-Welle neu gezogen wer-den, während Ideen und Konzepte für Wohnformen der Zukunft und für eine Wohnbaupolitik, in der das Gemeinwohl nicht vollends unter die Räder privater Interessen kommt, nicht wirklich vom Fleck kommen. In den 1970er-Jahren war die Frage nach dem „Wohnen morgen“ erstaunlich offen für das Experiment und die Entwicklung alternativer, auch partizipativer Wohnbau-Konzepte. Daran kann man sich erinnern – ohne sich deshalb in Retro-Fantasien zu verirren.