ivona jelčić: verkehrswende, mit oder ohne corona
Pop-Up-Radwege in Mexico City und Berlin, Tempolimits für AutofahrerInnen in Mailand oder Brüssel, neue FußgängerInnen- und Spielstraßen in Städten rund um den Globus: Im Windschatten der Covid-19-Pandemie wurden erstaunlich viele Dinge möglich, die im Normalfall mit erbittertem Widerstand und mit der Angst vor dem Verlust von WählerInnenstimmen verbunden sind. Denn die meisten verkehrstechnischen Maßnahmen, die jetzt im Sinne der Corona-Abstandsregeln gesetzt wurden, rühren an einem alten Streitthema, das sich in einer Frage zusammenfassen lässt: Gehört die Stadt der Zukunft den Autos oder den Menschen? Virusbedingt schlug das Pendel zuletzt also in Richtung Mensch aus. Fragt sich bloß, was von der Pop-Up-Verkehrswende am Ende übrig bleibt. Auch in Innsbruck, wo die coronabedingte Umverteilung des öffentlichen Raums sowieso recht mager ausfiel. Die Angerzellgasse auch für FußgängerInnen zu öffnen, ist angesichts der dort ohnehin weitgehend gelebten „Begegnungszone“ Makulatur. Gehwege zu verbreitern ist da schon eine andere Nummer, denn das könnte auf Kosten von Autoabstellplätzen oder gar Fahrstreifen gehen. Und wo man nicht mehr mit dem Auto hinkommt, dort droht, so der reflexartige Aufschrei, der wirtschaftliche Untergang. Siehe Innstraße in St. Nikolaus: Die Gehwege wurden verbreitert, die Wirtschaftskammer ortete darin prompt „wirtschaftsfeindliche“ Maßnahmen. Aber warum wünschen sich Kaufleute dann woanders, zum Beispiel am Boznerplatz, dringend eine Verkehrsberuhigung? Sicher: Die Innstraße hat andere Voraussetzungen als die Innenstadt, auch was die PassantInnen-Frequenz betrifft. Aber auch die Parkplatzsituation war in St. Nikolaus angesichts der engen Bebauung schon immer miserabel und das kann und wird sich in Zukunft nicht ändern. Es sei denn, jemandem fiele ein, den Waltherpark zuzupflastern.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch die Autorin dieser Zeilen hat bezüglich Autofahrten aus Bequemlichkeit genügend Dreck am Stecken. Pragmatisch betrachtet hat die Corona-Krise aber einer Entwicklung Vorschub geleistet, die ohnehin unausweichlich ist: Der öffentliche Raum wird ein immer knapperes Gut und wenn die wachsenden Städte lebenswert bleiben sollen, wird der Privatverkehr über kurz oder lang ohnehin eingeschränkt werden müssen. Ob mit oder ohne Corona.
Und dennoch geht man just in Innsbruck abgesehen von oben beschriebenen, pandemiebedingten Minimalzugeständnissen an FußgängerInnen und RadfahrerInnen genau in die entgegengesetzte Richtung, nämlich mit der (probeweisen) Abschaffung der Parkgebühren am Samstag. Absurderweise zieht laut BefürworterInnen auch hier das Corona-Argument, sprich: Es geht um wirtschaftliche Wiederbelebung. Mobilitätswende? Geschenkt – jedenfalls am Samstag.
Zu den Ideen und Wünschen, die aus dem 2014 gestarteten BürgerInnenbeteiligungsprozess in Mariahilf / St. Nikolaus hervorgegangen sind, gehörte auch die Gehwegverbreiterung in der Innstraße, sogar von einem „Boulevard“ war die Rede. Dem im Mai mit dem Argument der Corona-Abstandsregeln errichteten Provisorium soll diesen Herbst eine konkrete bauliche Maßnahme folgen. Die einen sehen darin zumindest einen ersten Schritt in Richtung Neugestaltung, die anderen eine „billige Lösung“. Es wäre in der Tat ein Hohn, würde diese Lösung langfristig das einzige Ergebnis aus einem jahrelangen Beteiligungsprozess bleiben. Fragt man bei den lautesten KritikerInnen nach, führt das Gespräch am Ende allerdings doch immer wieder zur Frage, ob es um die von der Stadt angezählten neun, oder doch um mehr Parkplätze geht, die wegfallen. Das ist und bleibt die falsche Diskussion.