ivona jelcic: wenig aussicht auf gestaltung
Während der Weihnachts-, Fisch- und sonstigen Märkte dominiert auf dem Innsbrucker Marktplatz hölzerner Hüttenzauber. Machen die Events einmal Pause, hat man wieder freie Sicht – und zwar auf unterschiedliche zweckdienliche Kästen und (Strom-)Kasteln, Lüftungsanlagen, Parkgaragen-Aufgänge etc. Im vergangenen Herbst ist zu diesem planlosen Allerlei in der nordwestlichen Ecke des Platzes ein rätselhafter granitgrauer Block dazugekommen. Man muss ihm zugute halten, dass er sich im Vergleich zum bereits Vorhandenen richtiggehend elegant ausnimmt. Hinter der spiegelblanken Fassade und tief darunter verbirgt sich ein neues Hochwasserpumpwerk der IKB. Für seine Einhausung war der diesbezüglich bereits erprobte Architekt Karl Heinz (siehe auch Pumpwerke Sillmündung, Émile-Béthouart-Steg, Reichenau) zusammen mit Gerhard Walter zuständig.
Dass das Pumpwerk, das die Altstadt bei starken Regenfällen entlasten soll, ausgerechnet am schon so arg verhüttelten Marktplatz entstehen musste und nicht zum Beispiel in die Markthalle integriert werden konnte, hat in der Stadtplanung und im Gestaltungsbeirat für wenig Freude gesorgt. Vermutlich auch deshalb wurde dem Bau noch (irgend)eine Funktion aufgebrummt, namentlich die einer Aussichtsplattform, die westseitig über eine Treppe erreichbar ist und in das zum Bug gerundete, ostseitige Schmalende mündet.
Allerdings ist nicht so recht klar, auf welche Aussicht der Blick von diesem in die Länge gezogenen Krähennest aus gelenkt werden soll. Auf den Platz selbst – siehe Beschreibung oben – wohl eher nicht. Wenigstens stehen drüben, auf der anderen Innseite, die Nordkette und die bunte Häuserzeile von Mariahilf verlässlich Modell. Man kann also von der Plattform aus zuschauen, wie die Touristen davon Fotos schießen – die meisten tun das übrigens nach wie vor zu ebener Erde vom Innufer aus.
Man kann aber auch einfach dem Inn dabei zuschauen, wie er – unbeeindruckt und vor allem gänzlich unbehelligt von innerstädtischen Gestaltungsfragen – ostwärts fließt. Die Beziehung oder vielmehr Nicht-Beziehung zwischen Stadt und Fluss zeigt sich am Marktplatz besonders gut, weil sich nirgends sonst in der Innenstadt so viel öffentlicher Raum zum Inn hin erstreckt – und trotzdem nicht als Ort gestaltet wird, an dem Stadt- und Flussraum eine Verbindung eingehen können. Diesbezüglich eröffnen sich von der Plattform aus noch weitere Aussichten, und zwar auf das andere Ufer ein paar hundert Meter weiter flussabwärts: Dort an der Innbrücke harren die Reste des ehemaligen Kiosks und der öffentlichen Toilettenanlage seit Jahren einer Neugestaltung. Die 2012 vom Kollektiv Tortenwerkstatt gebaute „stattSTUBE“ war eine temporäre Möglichkeitsform, es gab danach noch verschiedenste Ideen und Konzepte. Inzwischen ist das Nachdenken über die Zukunft dieses Ortes Teil des Anpruggen-Stadtentwicklungsprozesses, wobei es nicht nach einer baldigen Entscheidungsfindung aussieht. Anstatt des öffentlichen Raums gestaltet Innsbruck entlang des Inns derweil eben seine Hochwasserpumpanlagen.
ivona jelcic
geb. 1975; schreibt als Kulturjournalistin über bildende Kunst, Architektur und Kulturpolitik; studierte Komparatistik und Romanistik an der Universität Innsbruck; von 2008 bis 2017 Leiterin des Kulturressorts der Tiroler Tageszeitung