ivona jelčić: politik auf balkonien
Vor einer Weile fiel mir ein Inserat für eine Zwei-Zimmer-Mietwohnung in Innsbruck ins Auge: Größe 50 Quadratmeter, Mietpreis 1.100 Euro, immerhin inklusive Nebenkosten. Über die jenseitigen Innsbrucker Immobilienpreise ist vieles gesagt worden – unnötig also, jeden Spitzenwert einzeln zu kommentieren, denn es geht hier ohnehin um etwas Anderes: Das betreffende Angebot war an Student*innen adressiert, angepriesen wurde neben hochwertiger Ausstattung und vorhandenem Waschmaschinenanschluss (!) auch ein „französischer Glasbalkon“. Was im Klartext bedeutet: Es gibt ein bodentiefes Fenster mit vorgebauter Absturzsicherung aus Glas. An sich eine durchaus praktische Sache, weil mehr Licht einfallen kann, was auch der Idee des historischen Vorbilds entspricht, das für gewöhnlich allerdings in etwa eine Fußbreite aus der Fassade heraustrat, was bei den Fenstern mit Glasbrüstung, wie man sie heute häufig sieht, eher selten der Fall ist. Sie scheinen inzwischen jedoch, das lässt sich auch in Innsbruck beobachten, zum Standardrepertoire bei Wohnbauprojekten für gehobene und/oder Investorenansprüche zu gehören – bestenfalls natürlich nur als Ergänzung zum ebenfalls vorhandenen „echten“ Balkon für den privaten Aufenthalt im Freien.
In seiner Ausstellung für die Architektur-Biennale in Venedig 2014 hat Rem Koolhaas das Bauwerk in seine einzelnen Bestandteile zerlegt, um die „Elements of Architecture“ auch auf ihre Symbolik und gesellschaftliche Bedeutung hin abzuklopfen. Darunter auch den Balkon, dessen politische Aufladung sich nicht allein daran ab- lesen lässt, dass Monarchen, Päpste, Präsidenten, Diktatoren und Revolutionäre ihre Botschaften im Lauf der Geschichte gern von Balkonen herunter unters Volks gebracht haben. Die Karriere des Balkons vom Fassadenschmuck auf Adelspalästen und vornehmen Bürgerhäusern bis hin zu seiner „Demokratisierung“ im sozialen Wohnungsbau der 1920er Jahre ist bemerkenswert – woran man auch im Lichte des Lockdown-Jahres 2020 wieder erinnert wurde, als sich der erzwungene Rückzug ins Private für Balkonbesitzer*innen um einiges angenehmer gestaltet haben dürfte als für jene, die ohne privaten Freiluftbereich auskommen mussten.
Ob da auch ein „französischer Glasbalkon“ Abhilfe geschaffen hätte, lässt sich schwer beurteilen, huldvoll von dort herunterwinken kann man aber bestimmt. Womöglich ist ja auch das ein Zeichen für „The Return of the political balcony“, mit dem der belgische Architekturtheoretiker Tom Avermaete aber eigentlich gemeint hat, dass der Balkon heute auch zum Manifestationsort für individuelle Überzeugungen, etwa das eigene Öko-Bewusstsein, geworden ist. Dafür braucht es dann aber mindestens Platz für ein paar Tomatenpflanzen.