arge philipp fromm & diebaupiloten: baukultur – eine kultur des miteinanders
Ein aut: feuilleton-Beitrag, erschienen in der aut: info 2/2023
Das Land Tirol hat 2022 die ARGE Arch. Philipp Fromm & dieBaupiloten mit einem partizipativen Prozess zur Erstellung der baukulturellen Leitlinien beauftragt. Im noch laufenden Prozess wurden bisher eine Umfrage, spannende Interviews und das erste Tiroler Baukultur-Forum durchgeführt.
Nähere Informationen: www.tirol.gv.at/baukulturelleleitlinien
Was ist Baukultur? Diese Frage stand am Beginn von Interviews zur Tiroler Baukultur, die mit unterschiedlichen Akteur*innen geführt wurden. „Es gibt praktisch kein Bauwerk, das nicht Einfluss auf die Natur und Landschaft nimmt. Deshalb ist es dringend notwendig den Diskurs zu verstärken und dafür neue Möglichkeiten zu schaffen“, sagt Johannes Kostenzer, Tirols Landesumweltanwalt. Er spricht darin wesentliche Herausforderungen an, denn es geht um sich beeinflussende Systeme, um Wertigkeiten und um Kommunikation.
Vorweggenommen: Baukultur ist vielfältig, sie beschränkt sich nicht auf das einzelne Bauwerk, sondern umfasst genauso das Zusammenspiel von Gebäuden oder auch den öffentlichen Raum.
baukultur systemisch betrachtet
Wir alle beeinflussen als Bauherr*innen, Planer*innen, Handwerker*innen, etc. durch unsere Entscheidungen zu Nutzung, Setzung, Kubatur, Materialität oder Struktur die Wirkung von Gebäuden auf ihre Umgebung. Wir ziehen gleichzeitig aber auch das Umfeld als Grundlage für diese Entscheidungen heran. Die dabei entstehenden Gebäude und deren Bewohner*innen interagieren mit ihrer Nachbarschaft im räumlichen wie im sozialen Sinn und verändern das vorhandene Gefüge.
Analog dazu interagiert die Baukultur mit dem Sozialraum, dem Wirtschaftsraum sowie mit vielen anderen Netzwerken innerhalb einer Gesellschaft. Sie reagiert auf gesellschaftliche Parameter und beeinflusst diese wiederum mit ihrer Reaktion. Die Baukultur bewegt sich damit in ständigem Wandel und in Wechselwirkungen. Sie kann deshalb nicht klar gefasst und nur durch Kooperation der vielfältigen Akteur*innen nachhaltig weiterentwickelt werden.
baukultur miteinander gestalten
Baukultur kann als gebauter oder auch bewusst nicht gebauter Ausdruck der Werte einer Gesellschaft – im Kleinen wie im Großen – betrachtet werden. Gute Baukultur schafft es, diese Werte so zu beeinflussen, dass sie die Resilienz ihrer Umwelt stärken. Gute Baukultur gelingt am besten im Miteinander, wenn Personen aus verschiedenen Perspektiven diese Weiterentwicklung in ihrem Wirkungskreis qualitätsvoll definieren und realisieren. Dabei bringen Einzelne ihre Überlegungen in eine gemeinschaftliche Sicht ein, kommunizieren wertschätzend miteinander und schaffen gute Lösungen, die nachhaltig wirken. Walter Hauser (Leiter des Landeskonservatorats Tirol) spricht dazu in seinem Interview von der „Entdeckung des Gemeinsamen“, Monika Abendstein (Leiterin des bilding) vom „gelungenen Zusammenspiel aller Beteiligten“.
Kooperative und partizipative Prozesse schaffen in einem definierten Rahmen Raum für unterschiedliche Perspektiven, Bedürfnisse und Interessen. Im Planungsalltag, vor allem bei Projekten, die die Quartiers-, Orts- und Stadtentwicklung betreffen, steht der Umgang mit Interessensunterschieden auf der Tagesordnung. Wenn dabei Projekte strukturiert, kooperativ und im Dialog entwickelt werden, können gemeinsame Ziele gefunden, Ängste, Vorbehalte und Herausforderungen vorweg diskutiert und Lösungen zielorientiert und effizient mit Win-Win-Ergebnissen für möglichst viele erarbeitet werden. Expert*innen und Bürger*innen werden ihren Rollen entsprechend zu sinnvollen Zeitpunkten eingebunden und deren Beiträge für ein bestmögliches Ergebnis genutzt.
Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen und die Kommunikation über Qualitäten führt zu mehr gegenseitigem Verständnis, schärft die Wahrnehmung und stärkt das Bewusstsein für den Mehrwert guter Baukultur. In einer Kultur des Miteinanders können so Orte entstehen, die ihre Umgebung stärken und damit unsere Gesellschaft positiv und nachhaltig beeinflussen.
philipp fromm
geb. 1985; Architekturstudium in Innsbruck; 2012 – 21 Mitarbeit in innovativen Architektur- und Stadtplanungsbüros in Tirol, Kapstadt und München sowie in der strategischen Stadtplanung der Stadt Innsbruck; seit 2022 selbständiger Architekt, Stadtplaner, Mediator und Begleiter von kooperativen Planungs- und Beteiligungsprozessen; Teil des Netzwerks partizipation.tirol
ricarda kössl
geb. 1971; 1997 – 2007 Architekturstudium in Innsbruck; bis 2016 Mitarbeit bei Machné Architekten ZT, Innsbruck; 2017 Gründung des Büros altrosa Architektur für Fortgeschrittene – Bauen im Bestand; 2020 Gründung von dieBaupiloten Innsbruck mit Schwerpunkt im Bereich Partizipation und Beteiligungsprozesse (gem. mit Judith Prossliner)
judith prossliner
geb. 1981; bis 2000 Ausbildung Elementarpädagogik; 2001 – 11 Architekturstudium in Innsbruck und Spanien; seit 2008 selbständig im Bereich Architekturvermittlung (u. a. für aut, bilding, Forum Alpbach, Biennale Venedig); Mitarbeit u. a. bei Baupiloten Berlin, Gsottbauer Architekturwerkstatt und WEI Sraum Designforum, Innsbruck; seit 2016 Lehrbeauftragte an der Architekturfakultät Innsbruck; 2020 Gründung von dieBaupiloten Innsbruck (gem. mit Ricarda Kössl)