benedikt erhard: green man
in memoriam lois weinberger (1947 – 2020)
Ein Nachruf von Benedikt Erhard (Vorstand der Klocker Stiftung, Innsbruck) auf den im April 2020 verstorbenen Tiroler Künstler Lois Weinberger, erschienen in der aut: info 2/2020.
Lois Weinberger, gelernter Schlosser und Kunstschmied, Gärtner und Feldarbeiter, spätestens seit seinem Beitrag zur documenta X 1997 in Kassel eine international renommierte Position der Kunst, wurde 1947 in Stams geboren und wuchs am Bauernhof der Eltern auf. Die ,Feldarbeit‘ wird ihn ein Leben lang begleiten. In den 1970er Jahren entstehen aus Feldfrüchten, Fliegenfängern, Autoreifen oder Vogelnestern erste Collagen und Skulpturen. Vom Wind abgelegte Folien und Plastiksäcke drapiert er an einem Kirschbaum zum ,Baumfest‘. Die scheinbare Beiläufigkeit dieses Arbeitens mit dem Vorgefundenen wird für ihn zum Prinzip, zur angemessenen Art, sich künstlerisch auf die „präzise Achtlosigkeit“ der Natur einzulassen.
Ende der 1980er Jahre erschienen ihm Bra- chen als stimmige Metaphern einer zeitgemäßen Auseinandersetzung mit Kunst. Er legt weltweit ,Gärten‘ aus mit Erde befüllten Plastikkübeln oder Migrantentaschen an oder reißt Asphaltflächen mitten in Salzburg, Tokyo oder am Platz vor dem GeiWi-Gebäude in Innsbruck auf. Dann überlässt er sie als Freiräume den ,Ruderalen‘, jenen Pflanzen, die Schutt- und Trümmerplätze der Zivilisation besiedeln, und schafft damit ein künstlerisches Manifest zur gnadenlosen Durchgestaltung der Umwelt. Er bepflanzt ein stillgelegtes Eisenbahn- gleis in Kassel mit Neophyten aus Süd- und Südosteuropa und schafft eine prophetisch anmutende Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit. Er errichtet neben dem SoWi-Gebäude in Innsbruck einen ,Wide Cube‘ aus Torstahl, ein eingefriedetes Areal inmitten der Stadt für den Wildwuchs der Natur, und tritt eine Lawine von Diskussionen los. „Der Umgang mit dem Fremden, den Territorien, den Nationalismen ist meiner Arbeit implizit.“
Als die Klocker Stiftung 2014 ihren ersten Kunstpreis vergeben konnte, war sich die Jury bald einig. Lois Weinberger war bereits mit einigen frühen Werken in der Sammlung vertreten. Ihn als ersten Träger unseres Kunstpreises auszeichnen zu dürfen, war eine willkommene Chance, die Ziele der Stiftung hoch anzusetzen. So hoch, wie das von Weinberger 2011 für das Mieminger Plateau konzipierte ,Glass House‘ auf einem 10 Meter hohen Aussichtsturm, worin die Naturschutzbehörde aber eine Werbeeinrichtung zu erkennen meinte und die Realisierung untersagte. „Das Kunstverständnis der Tiroler erkennt man an ihren Kreisverkehren“, sagte er damals nur.
2014 konnten wir mit der ,Laubreise 2008/2014‘ auch ein Werk für den Skulpturenpark der Stiftung in Innsbruck-Arzl erwerben, einen Komposthaufen, der paradigmatisch für sein außergewöhnliches Schaffen steht. Denn vieles im Werk Weinbergers ähnelt buchstäblich einem Komposthaufen, seine Kunst ist wie ein Stoffwechsel der Möglichkeiten: Etwa wenn er in einer Serie von Arbeiten ,Plant which Makes Faces‘ Papiersäckchen mit Samen des Stechapfels füllt, der in vielen Kulturen ein Rauschmittel ist, die Säckchen mit Gesichtern bemalt und in einem Rahmen montiert. Oder wenn er in einer Zeichnung den animistischen Archetyp des ,Green Man‘, der in vielen Kulturen den Zyklus von Tod und Wiedergeburt verkörpert, mit einer Liste von Wörtern kombiniert, die sich jedem semantischen System entzieht, aber an die Gesänge der Voodoo-Priester oder an die Litaneien der Stamser Mönche erinnert, wie an die Methode der freien Assoziation nach Sigmund Freud.
Seit 2007 lebte und arbeitete Lois mit seiner Frau Franziska Weinberger in einer aufgelassenen Spiegelfabrik in Gars am Kamp, wo er einen Garten der ,Ruderal Society‘ anlegt und mit dem bepflanzt, was der Fluss an Samen und Pflanzenresten anschwemmt. Aus den Bruchstücken der in Einfamilienhauswüsten gehegten Träume vom Paradies und den Migranten am Wegrand entsteht ein Arkadien von rauer Schönheit, in dem sich der Gärtner Lois Weinberger vor allem als Zuschauer betätigt.
2010 begann Lois Weinberger sein Elternhaus archäologisch zu erforschen. Er sammelt und dokumentiert, was sich unterm Dach und in den Schüttböden des Hofes über die Jahrhunderte an Überresten des Lebens und der Arbeit abgelagert hat. Im mächtigen Schatten des Klosters findet er neben Zeugnissen der Grundherrschaft auch Zeichen des Unregulierten, Relikte einer verborgen blühenden Kultur der Pächter und Taglöhner, „ein aus den Verwüstungen der Zeit hervorgegangenes Trümmerfeld“. Diese ,Erkundungen im Abgelebten‘ werden die letzte große Arbeit von Lois Weinberger sein. Er zeigt seine Funde, ,Debris Field‘ (Trümmerfeld) genannt, fein säuberlich in Archivboxen sortiert, zuerst 2017 auf der documenta 14 in Athen und 2019 im Tinguely-Museum in Basel. Über den Schachteln an der Wand hängt eine große Fotoarbeit aus 2004, ein Selbstportrait von Lois Weinberger als ,Green Man‘.
Er war ein Künstler, der staunend durch die Welt zog, mit wachem Blick für alles wild Lebendige und mit Skepsis gegenüber allen Suprematsansprüchen der Zivilisation. Sein Respekt vor dem Eigensinn der Natur und sein stupendes Wissen machten ihn zu einem zeitlebens aktuellen Künstler. Seine Herzlichkeit und sein großes Vergnügen am geistreichen Spott machten ihn liebenswert.
lois weinberger
geb. 1947 in Stams; lebte in Wien und Gars am Kamp (NÖ); u. a.1985 Förderungspreis für Bildende Kunst, BUMUK Wien; 1993 – 94 Professur an der Akademie Karlsruhe; 1998 Preis der Stadt Wien; 1999 Großes Kunststipendium des Landes Tirol; 2005 Ehrenzeichen der Leopold Franzens Universität Innsbruck; 2005 Würdigungspreis für Bildende Kunst, BKA Wien; 2006 Tiroler Landespreis für Kunst; 2010 Würdigungspreis für Bildende Kunst des Landes Niederösterreich; 2014 Kunstpreis der Klocker-Stiftung Innsbruck; gestorben im April 2020
ausstellungen (Auswahl)
Einzelausstellungen u. a. 2020 Corridor Gallery, Antwerpen; 2019 Tinguely Museum, Basel; Watari-Um Museum of Contemporary Art, Tokio; 2018 FRAC Franche-Comté, Besançon; Galerie Krinzinger, Wien; 2017 nGbK neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin; 2016 Salle Principale, la galerie, Paris; 2015 Kunsthalle Mainz; S.M.A.K., Gent; 2014 Douglas Hyde Gallery, Dublin; 2012 Villa Dieu Seul Sait, Cotonou, Benin; 2011 Musée d‘Art Moderne Saint Etienne; 2010 NÖ Dokumentationszentrum für Moderne Kunst; 2009 tranzit, Bratislava; Triennale Museum, Mailand; 2008 Lentos Kunstmuseum Linz; 2007 Kunsthalle Emden & Kunsthalle Gießen; RLB Kunstbrücke und aut. architektur und tirol, Innsbruck; 2006 Arnolfini Gallery, Bristol; Galerie Martin Janda, Wien; 2005 S.M.A.K. Gent; 2004 Kunsthallen Brandts Klaedefabrik, Odense; Kunstraum Dornbirn; 2003 Villa Merkel, Esslingen; Kunstverein Hannover; 2002 Galerie im Taxispalais, Innsbruck; Kunstverein Bonn; 2001 Raum aktueller Kunst Martin Janda, Wien; Spacex Gallery Exeter; 2000 Camden Arts Centre, London; 1999 Städtische Galerie Schwaz; Watari-Um Museum of Contemporary Art, Tokio; 1997 Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck; Zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen darunter 2017 documenta 14, Athen + Kassel; 2009 Biennale Venedig; 2005 EXPO Japan; 2004 Biennale Liverpool; 1997 documenta X, Kassel