Benedikt Sauer: Leopold – der revolutionäre Monarch. In der Toskana gefeiert, in Innsbruck erst zu würdigen.
Ein aut: feuilleton, erschienen in der aut: info 3/2021
Dass sein Bildnis und das seiner Frau südseitig an der monumentalen Sehenswürdigkeit angebracht sind und die nach ihm benannte Straße von da Richtung Brennero führt, könnte ja als hoffnungsvolles Zeichen gesehen werden – für eine neue politische Akzentuierung. Damals, im August 1765, war die südseitige, stadtabgewandte Platzierung des schmucken Medaillons der Effekt einer von Trauer gezeichneten Umgestaltung des Monuments. Die Kaiserin höchstpersönlich hatte diese angeordnet: „... dass die einmal so gut ausgedachte Triumphpforte in eine der bittersten verwandelt werde“.
Erdacht war der Triumphbogen als weithin sichtbares Zeichen für die pompöse Hochzeit von Maria Theresias Sohn Leopold mit der Spanierin Maria Ludovica: einem vierzehntägigen Festival. Doch nach dem plötzlichen Tod von Maria Theresias Ehemann, des Bräutigam-Vaters, am zwölften der Festtage, war an ein feierliches architektonisches Gedächtnis nicht mehr zu denken. Der Triumphbogen wurde Trauermonument: Stadtzugewandt sitzt Saturn, Gott der Zeit, mit der Sense neben dem Bildnis des verstorbenen Kaisers Franz Stephan. Dem Hochzeitspaar blieb die stadtabgewandte Seite zu den Wiltener Feldern.
Der Weg nach der Hochzeit stadtauswärts führte die jungen Eheleute dorthin, nach Florenz, wo Leopold als Pietro Leopoldo bald Weltgeschichte schreiben sollte. Die Toskana übernahm er als monarchisches Erbe vom Vater als Regent. Die umfangreiche Strafrechtsreform, die er dort 1786 erließ, war revolutionär: Mit dem Codice Leopoldino, kurz: „Leopoldina“, wurde – erstmals weltweit – die Todesstrafe in einem Herrschaftsgebiet abgeschafft und erstmals in Europa förmlich, per Gesetz, die schon länger nicht mehr angewandte Folter „eliminato affatto“, ,völlig beseitigt‘. Bahnbrechend auch, dass „sämtliche brutalen, verstümmelnden, den Täter durch Brandmarkung zeichnenden Strafen“ eliminiert sowie Resozialisierung als Ziel festgeschrieben wurden: „Angemessen berücksichtigende Sanktion eröff-net dem Straftäter die Möglichkeit als vollwertiges Mitglied in die Gesellschaft zurückzukehren“.
Das Reformwerk, das Leopold selbst verfasst hatte, „galt bald nach Inkrafttreten europaweit als Gründungsdokument eines aufgeklärt rationalen, humanen und zivilisierten Strafrechtsdenkens“, schreibt der Rechtshistoriker Hans Schlosser in seinem Standardwerk „Die Leopoldina“ (Berlin, De Gruyter, 2010) – wobei manches, etwa beim Sexualstrafrecht, trotz reformatorischer Ansätze, höchst reformbedürftig blieb und bekanntlich bleibt. Pietro Leopoldo, wie sich Leopold abgrenzend von seiner habsburgischen Herkunft nur noch italienisch nannte, kannte die Literatur der französischen, deutschen und italienischen Aufklärer, maßgeblich beeinflusst war er vom österreichischen Trentiner Juristen Karl Anton von Martini, seinem Privatlehrer. Martini hatte in Innsbruck Naturrecht und Strafrecht studiert, bevor er als Naturrechtsprofessor Maria Theresias Söhnen die Grundlagen des Staats- und Völkerrechts und die zeitgenössischen Naturrechtslehren vermittelte.
Noch fast 200 Jahre nach Leopolds Meisterwerk, 1976, war die Todesstrafe erst in 16 Staaten vollständig abgeschafft. Erst 1983 beschloss der Europarat die Abschaffung im Strafrecht, erst 2002 im Standrecht. Heute ist staatliches Hinrichten in 92 der 198 Staaten grundsätzlich erlaubt, in 55 Staaten wird es praktiziert.
Während die deutschsprachige Rechtswissenschaft Leopolds Reform bis heute „kaum zur Kenntnis nahm“ (H. Schlosser), hat sich das republikanische Italien spät, aber doch, an den revolutionären Monarchen erinnert: Seit 2001 ist der 30. November, Tag der Verkündung der Reform, in der Toskana regionaler Feiertag.
Die Triumphpforte, für die der Arco Trionfale an der Porta S. Gallo in Florenz als Vorbild diente, böte sich an, um neukodiert, mit neuer Beschriftung, wie von Rainer Köberl vorgeschlagen (Quart 37/2021), den menschenrechtlichen Aufbruch Pietro Leopoldos von 1786 zu würdigen.
Anmerkung
Im April 2012 hatte der damalige, langjährige Obmann der Tiroler Wirtschaftskammer Jürgen Bodenseer (ÖVP) öffentlich, auf Facebook, eine Wiedereinführung der Todesstrafe zur Debatte gestellt: Er „wäre in krassen Fällen bei voller Zurechnungsfähigkeit“ dafür. Anlass war eine Debatte über Kindesmissbrauch, der Kammerpräsident nannte als Beispiel auch den Rechtsterroristen Andreas Behring Breivik. Es gab viel Unverständnis, auch in Partei und Kammer. Bodenseer hat sich später von seiner Haltung distanziert.
Benedikt Sauer verwies in der damaligen Debatte in seiner TT-Kolumne „Sauerstoff“ vom 23. April 2012 („Menschenrechte als Maßstab“) auf den Habsburger Erzherzog Leopold, den Sohn Maria Theresias, der als weltweit erster Regent die Todesstrafe abgeschafft hat, nämlich 1786 in der Toskana. Leopold hatte in Innsbruck geheiratet, er ist an der Triumphpforte verewigt, die Leopoldstraße ist nach ihm benannt. Architekt Rainer Köberl nahm damals die Kolumne zum Anlass, um eine Neukodierung der Triumphpforte vorzuschlagen und erneuerte den Vorschlag kürzlich im „Quart Heft für Kultur Tirol“, Nr. 37, 2021.
(Text: Benedikt Sauer, erschienen in aut: info 3/2021)
benedikt sauer
geb. 1960 in Bozen, lebt als Journalist in Innsbruck. Sauer ist auch Lehrbeauftragter an der Universität Innsbruck. Als promovierter Germanist hat Sauer Werke des Lyrikers norbert c. kaser mitediert und über kaser eine Biografie verfasst (Haymon). Aufsätze (Fluchtregime, -Gegenwartsliteratur ...) und Buchpublikationen, u. a. Hofburg Innsbruck (2010), Villgraten. Eine Alpingeschichte (2011), Vermessungen. Tirol auf der statistischen Couch (mit Arno Ritter, Christian Mariacher; 2014).