dietmar feichtinger: orte und wege – wege und orte
ein gespräch mit eva guttmann und arno ritter, erschienen in aut: info nr. 3/2013
Überarbeiteter Auszug aus einem Gespräch zwischen Eva Guttmann (HDA), Arno Ritter (aut) und Dietmar Feichtinger, geführt im Feber 2013 in Paris.
EG Du hast in den 1980er Jahren in Graz Architektur studiert und schon sehr früh zu arbeiten begonnen, zuerst bei Eilfried Huth, dann bei Volker Giencke und zum Schluss bei Klaus Kada. In wie weit war diese Zeit für deine Entwicklung als Architekt prägend?
DF Ich habe sehr viel aus den Büros mitgenommen, in denen ich gearbeitet habe, denn eigentlich war ich wenig auf der Universität. Schon sehr früh, ab dem dritten Semester, war ich bei Eilfried Huth, der mir gezeigt hat, dass ein menschlicher Zugang zur Architektur wichtig ist. Volker Giencke war die nächste Etappe. In dieser Zeit haben wir in seinem Büro versucht, die Welt neu zu erfinden und jedes Detail zu entwickeln. Ich habe am Umbau und der Erweiterung eines Studentenhauses am Lendplatz in Graz gearbeitet. Das war eine wichtige Erfahrung für mich, denn es war ein konkretes Arbeiten ohne viel Vorwissen. Abgeschlossen habe ich diese Erfahrung in Graz bei Klaus Kada, der die Prägung durch die Arbeit mit Giencke relativiert hat, denn Kada ist jemand, der über das Gespräch mit seinen Mitarbeitern Projekte entwickelt und sich durch das Bauen an sich manifestiert. Zu jener Zeit gab es in Graz eine Aufbruchstimmung. Es wurden viele Wettbewerbe ausgelobt und alle drei Büros haben ihre Aufträge auf diese Art bekommen. Es war eine sehr intensive Zeit. In Paris habe ich eine ähnliche Situation vorgefunden. Frankreich hat auch eine sehr ausgeprägte Wettbewerbskultur. Die ersten Projekte, an denen ich im Büro Chaix & Morel nach meiner Ankunft beteiligt war, waren die Wettbewerbe für die französische Nationalbibliothek und für eine große Universität in der Umgebung von Paris. Zwei Erfahrungen, die es mir ermöglicht haben, mit einem sehr beschränkten sprachlichen Können in Paris Fuß zu fassen. Wir – meine Frau Barbara, unsere zwei Kinder Ben und Jan und ich – sind unvorbereitet nach Paris gefahren. Wir sind ursprünglich gekommen um Paris zu erleben, eigentlich nicht um zu bleiben. Wir haben uns in Graz mit der damals sehr lebendigen Architekturszene in Paris und Frankreich auseinandergesetzt und wollten sehen, wie das funktioniert.
AR Wie würdest du dich im Kontext von Paris positionieren?
DF Paris ist sehr offen. Es gibt sehr unterschiedliche Haltungen, einerseits eher formale Positionen wie die von Christian de Portzamparc. Dem gegenüber steht Jean Nouvel, der einen konzeptuellen Zugang hat. Und es gibt Architekten, die sich weniger über die Form oder das Konzept als über das Strukturelle und das Bauen an sich definieren. Es gibt für mich ein Schlüsselbauwerk, das Centre Pompidou. Es hat mich schon als 14-Jährigen sehr beeindruckt und vermittelt das, was Architektur für mich bedeutet. Das Centre Pompidou hat eine Präsenz, aber seine wirkliche Stärke ist der öffentliche Platz und die Positionierung in der Stadt. Das Gebäude stellt den Hintergrund für den öffentlichen Raum dar und bietet viele Möglichkeiten zur Entfaltung. Als ich nach Paris kam, gab es eine Gruppe von Architekten, die sich für diese Richtung der Architektur interessiert und am Centre Pompidou orientiert haben. Das Büro Philippe Chaix & Jean-Paul Morel, in dem ich zu arbeiten angefangen habe, ist in diese Richtung gegangen. Das war für mich eine Möglichkeit, auch meine Erfahrungen aus Graz zu nutzen. Ich konnte mich etablieren und schließlich selbstständig machen. Im Zusammenhang mit dem Wettbewerb für die Brücke über die Seine wurde mir erzählt, dass die Jury auf der Suche nach einem jungen Büro war, das den Konstruktionsaspekt in die Konzeption miteinbezieht. Das war wahrscheinlich damals mein Glück, eine Chance.
AR Deine Position als Architekt ist selten, denn du entwickelst deine Bauten stark aus einem konstruktiven Ansatz heraus. Du unterscheidest eigentlich nicht zwischen einer Brücke oder Hochbauten, die Herangehensweise ist für dich bei beiden die gleiche. Wie würdest du deinen methodischen Ansatz beschreiben?
DF Entwerfen ohne zu konstruieren ist für mich nicht möglich. Bei großen Spannweiten nimmt die Struktur einen sichtbaren Stellenwert ein. So wie beim Centre Pompidou, oder auch bei der Dreiländerbrücke über den Rhein, der an dieser Stelle 250 m breit ist. Die Entscheidung, den Fluss – aus Respekt vor der Landschaft – stützenfrei zu überspannen und der Entschluss zu einer großzügigen Geste führen automatisch zu einem konstruktiven Ansatz. Ähnliche Überlegungen bestimmen bei Hochbauten meinen Entwurf. Wir haben zum Beispiel ein Einkaufszentrum gebaut, bei dem mir wichtig war, dass die Anlieferung im Untergeschoss stützenfrei ist. Ich habe eine über 70 Meter freitragende Struktur vorgeschlagen um die Erdgeschoss-Ebene abzuhängen. Dies ermöglichte darunter eine offene und manövrierfähige Zone. Die Struktur wurde zu einem integrativen Moment des Entwurfs. Ich sehe Struktur als Möglichkeit, Potenziale zu generieren. Meine Projekte sind sehr unterschiedlich, haben aber einen ähnlichen Zugang, der von der Befragung des Orts, des Themas und des Inhalts ausgeht. Ich versuche, die richtigen Fragen zu finden. Um was geht es eigentlich, was ist wichtig? Gebäude schaffen Raum, Gebäude beschützen, schaffen Möglichkeiten der Entfaltung und Orte des Austausches. Welche architektonische Qualität kann dazu am besten beitragen? Es sind einfache Themen, die mich beschäftigen. Die vordergründige Erscheinung eines Gebäudes ist mir weniger wichtig. Immer wieder stellen wir uns die Frage nach dem schlüssigen und prägnanten Ausdruck, der diese Haltung widerspiegelt. Wir haben vor einem Jahr eine Schule in Nanterre eröffnet, in einem sozial vernachlässigten Viertel, in der Nähe von La Défense. Das Projekt kann nur im Zusammenhang mit dem Ort verstanden werden. Denn in Reaktion auf den urbanen Kontext wollten wir über den Bau einer Schule die Situation für die dortige Bevölkerung verbessern.
AR Deine Projekte reagieren nicht nur auf den städtebaulichen Kontext, sondern sehr oft auf das soziale und gesellschaftliche Umfeld. Sowohl bei Hochbauten wie bei Brücken sind dir der Ort, die Wegführung und die Wahrnehmung wichtig. Es geht dir in deinen Konzepten immer wieder darum kommunikationsfähige Räume zu schaffen, Wege als dramaturgisches Moment zu sehen und Landschaft als zentralen Bestandteil des Entwurfs zu denken.
DF Orte und Wege zu schaffen oder zu ermöglichen, ist ein wesentlicher Aspekt in meinen Bauten. Ich bin überzeugt, dass der physische Raum einen wesentlichen Aspekt darstellt, denn der Raum und seine Atmosphäre können unser Verhalten beeinflussen. Wir beschäftigen uns mit Bürobauten und halten es für notwendig, verschiedene Arbeitsbereiche miteinander zu verknüpfen. Zonen, die es möglich machen, zu kommunizieren, ohne dass es geplant ist. Aus diesen Überlegungen heraus haben wir das Thema der Wege entwickelt. Die Donau-Universität in Krems ist ein dreidimensionales Wegenetz, ein vernetztes Raumsystem. Durch die horizontale und hierarchielose Ordnung von Wegen und Plätzen entsteht eine offene Situation des Austausches. Bei Brücken geht es um das Verbinden, die Bewegung, den Weg und die Landschaft. Brücken bringen Menschen an einen neuen Ort, der eine Aussicht bietet, die meist beeindruckend ist und die Natur oder das städtische Umfeld in Szene setzt. Die Architektur dient dazu, eine großzügige Geste zu schaffen. Gerade in unserer Zeit, in der die Gesellschaft sehr polarisiert ist und sich die soziale Trennung verstärkt, ist es wichtig, Orte der Begegnung anzubieten. Wir haben bei Weil am Rhein eine Fußgängerbrücke zwischen Frankreich und Deutschland errichtet, die eine hohe symbolische Bedeutung hat. Fußgängerbrücken sind eigentlich Luxus, sie sind entbehrlich. Es gab eine lange Diskussion in den beiden Gemeinden über die Sinnhaftigkeit des Projekts. Letztendlich haben sich die Bürgermeister durchgesetzt und das Projekt realisiert. Heute ist die Brücke nicht mehr wegzudenken. Sie verbindet die beiden Staaten und die Nachbargemeinden, stellt ein starkes Zeichen der Freundschaft dar und schafft neue Möglichkeiten des Begegnens. Dieser Aspekt war mir auch im Zusammenhang mit dem Krankenhaus in Klagenfurt sehr wichtig. Ein überdimensionales Vordach, das den Eingangsbereich überdeckt, ist von weitem sichtbar. Die Monumentalität steht in Bezug zur Größe des Krankenhauskomplexes. Heute sieht man, dass der Platz als städtischer Raum angenommen wird. Er schafft die Möglichkeit des improvisierten Treffens. Der Patient tritt aus dem Krankenhaus heraus und kommt in den öffentlichen Raum. Der große Vorplatz bietet den Patienten die Möglichkeit, sich freier zu bewegen und sich weniger krank zu fühlen.
AR Es geht dir immer wieder darum, Orte der Kommunikation, Orte mit einer gewissen Offenheit zu schaffen. Du bist sicher nicht jemand, der Räume oder Atmosphären stark definiert, sondern eher jemand, der neutrale, nicht eindeutig determinierte Strukturen zur Verfügung stellen will. Raum ist für dich ein offenes Gefäß, das relativ leicht umzucodieren ist.
DF Die Frage ist, ob Räume deswegen neutral sein müssen, weil sie mehr Möglichkeiten bieten als notwendig. Ich glaube, Raumstimmungen sollen sich verändern können. Das große Vordach in Klagenfurt schützt vor Regen, Schnee und Wind, gleichzeitig bietet es einen Aufenthaltsort im Freien, man kann die Luft spüren, das Licht ändert sich. Ein Thema, das uns speziell im Zusammenhang mit dem Bau von Schulen sehr beschäftigt, ist die Rolle des natürlichen Lichts. Ich bin überzeugt, dass uns natürliches Licht und die Wahrnehmung des Tagesverlaufes wie der Jahreszeiten beeinflussen und stimulieren. Wenn wir Räume so organisieren und ausrichten, dass wir mit dem natürlichen Licht auskommen, dann schaffen wir eine positive Lebensstimmung. Damit geben wir Kindern eine Möglichkeit, sich wohl zu fühlen, sich zu entspannen und zu entfalten. Wir mussten während des Baus der Schule in Taufkirchen die Kinder in eine Containerschule umsiedeln und es war für uns dann interessant zu erfahren, dass die Kinder in der neuen Schule viel ruhiger waren. Meine Theorie ist, dass in der Containerschule keine gute Tageslicht-Situation vorhanden war und sich das Energiepotenzial der Schüler deshalb in Aggression ausdrückte.
EG Ich möchte noch einmal auf die Frage nach der Determiniertheit der Räume eingehen. Du sagst immer wieder: Ich bin kein Strukturalist, es geht nicht um die Konstruktion, sondern sie ist eigentlich Mittel zum Zweck, es geht um Leichtigkeit oder um Transparenz. Ich habe das Gefühl – das trifft auf die Brücken ebenso wie auf die Hochbauten zu – dass es vielleicht weniger um die Nichtdeterminierung von Räumen geht, als vielmehr darum, nicht mehr zu tun, als notwendig ist. Wie bringe ich das, was aus meiner Sicht notwendig ist, in eine Form, die dem entspricht, worum es geht. Es gibt ein Konzept und innerhalb dieses Konzeptes wird nicht mehr getan als nötig, in einem ganz positiven Sinn. Könnte man das so sagen?
DF Die Suche nach dem Essenziellen, nach dem, worum es eigentlich geht, ist der wichtigste Punkt für mich. Farbe ist so ein Thema. Materialfarbe ist für mich eigentlich die einzige Farbe, die ich verwende. Materialien in ihrem natürlichen Zustand tragen dazu bei, dass eine gewisse Farbigkeit entsteht. Was darüber hinausgeht – gerade bei Schulen – kommt von den Personen, die die Orte bespielen. Wir arbeiten mit den Mitteln, die sich uns zur Verfügung stellen. Leitungen und Lüftungsrohre bleiben sichtbar und strukturieren das Gebäude. Sie werden mit einer besonderen Sorgfalt angeordnet, um Zufälligkeiten zu vermeiden. Zu diesen gestalterischen Mitteln gehört auch die tragende Struktur, die sowohl bei Gebäuden als auch bei Brücken erlebbar ist. Jedes Bauwerk erzählt seine Geschichte. Es stellt sich auch die Frage, was ist notwendig, um einen Ort zu definieren und wie können sich diejenigen, die dort leben werden, entfalten. Auch die Ökonomie der Mittel spielt eine Rolle. Wir versuchen in der Regel, die adäquaten Mittel zu finden und einzusetzen. Das heißt, das ökonomische Denken hilft uns dabei, das Unwesentliche wegzulassen, um zu einer architektonischen Lösung zu kommen, die das anbietet, von dem ich glaube, dass es die Menschen und der Ort brauchen. Wenn man eine Brücke in eine schöne Landschaft baut, stellt sich für mich die Frage, welche Aufenthaltsqualitäten und Ausblicke ich auf die Landschaft anbieten kann, die den Eingriff legitimieren. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Sichtbarkeit der Brücke. Ein Gebäude ist in der Regel stark in einen gebauten Kontext eingebunden, wogegen bei einer Brücke die Zeichenhaftigkeit und Sichtbarkeit wichtige Aspekte darstellen. Was bedeutet das? Durch die Reduzierung der Konstruktionen drückt sich der Respekt vor der Landschaft aus. So zum Beispiel beim Projekt des Zugangs zum Mont-Saint-Michel, einem Ort, der zudem Weltkulturerbe ist. Der Ort verändert sich dramatisch bei Ebbe und Flut. Die Reduktion des Eingriffs war der wesentliche gestalterische Aspekt. Der neue Weg entspricht einer Straße, die Schwerlaster bis 38 Tonnen trägt, insgesamt zwei Kilometer lang ist und zum „Zauberberg“ führt. Ein Bauwerk, das sich harmonisch in die Landschaft einfügt und gleichzeitig die Rahmenbedingungen erfüllt sowie eine große Aufenthaltsqualität bietet, das sind die Themen des Entwurfs.
AR Kann man eigentlich sagen, dass für dich die Prägung durch Huth sehr wesentlich war, nämlich dessen humanistischer und gesellschaftspolitischer Ansatz? Denn du redest eigentlich relativ wenig über Architektur, sondern sehr viel mehr über die Landschaft, über Menschen und Kinder oder über die Möglichkeiten, wie Architektur genutzt werden kann.
DF Das kann man so sehen. Ich finde aber, dass es überzogen ist, von einem humanistischen Ansatz zu sprechen. Es ist so, als würde man einen Arzt als Humanisten bezeichnen, weil er sich um Menschen kümmert. In der Architektur kümmern wir uns natürlich auch um Menschen, schaffen Räume und Orte, in denen sich Menschen entfalten können. Ein willkürliches oder formales Entwerfen von Architektur interessiert mich nicht. Das Bürogebäude der VOEST in Linz ist expressiv. Die starke Zeichenhaftigkeit ist als Antwort auf die beeindruckende Dimension der Hochöfen notwendig. Wenn man mit einem Gebäude auf diese Situation reagieren will, es in Dialog zum industriellen Umfeld setzt und ihm eine räumliche Präsenz gibt, ist die große Geste eine adäquate Reaktion. Dieser Ansatz setzt die Büromitarbeiter in Gleichwertigkeit mit dem baulichen Umfeld. Durch die große Geste des Vordachs wird ein Platz geschaffen, an dem sich Mitarbeiter und auch Kunden treffen. Gleichzeitig symbolisiert es ein Tor, steht für eine Willkommensgeste. An dem Ort verändern sich die Dimensionen. Es ist wichtig, den Ort zu erleben und Projekte im Zusammenhang zu erfahren, um die Architektur zu verstehen.
Modelle, Filme, Fotografien und Pläne zu 15 Brückenprojekten aus Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden, die einen Einblick in Dietmar Feichtingers konstruktives Denken bieten.
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