freiraum oder die sehnsucht nach stadt
ein plädoyer von teresa stillebacher
Der Begriff des Freiraums ist fast gleichbedeutend mit dem der Stadt. Denn die Stadt war immer schon Raum für unkonventionelles Leben, für eine Vielfalt und das Nebeneinander von unterschiedlichen Lebensweisen. Der soziale und kulturelle Reichtum von Stadt macht ihre Besonderheit und Identität erst aus. Vielschichtigkeit und Heterogenität von öffentlichem Raum und dessen Kapazität öffentliches Leben anzuziehen, bestimmen die Lebensqualität und Attraktivität einer Stadt.
„Öffentliche Räume sind nicht nur Orte für bestimmte städtische Funktionen des Verkehrs, des Handels, der Repräsentation oder der Erholung, sondern auch Träger von unterschiedlichen Bedeutungen, Erinnerungen und Geschichten, die sich zum Bild einer Stadt verdichten. Mit dem zusammenfassenden Begriff des ‚öffentlichen Raumes’ beschreiben wir eine sehr differenzierte Vielfalt räumlicher Gegebenheiten und Qualitäten, die BewohnerInnen und BesucherInnen der Stadt und das Recht, sie im Rahmen der gesetzlichen Regelungen des ‚Gemeingebrauchs’ ohne Eintrittspreis oder Nutzungsentgelt zu benutzen.“1
Nun sind wir aber seit Jahren Beobachter einer Entwicklung, bei der die öffentlichen Räume unserer Städte immer mehr in die Hände privater Investoren übertragen werden. Straßen verwandeln sich zu Shopping Malls, es werden neue Verbote ins Leben gerufen, jeder Schritt wird videoüberwacht, das Recht auf Selbst- und Mitbestimmung ist massiv bedroht und schon längst beschnitten. Die Wahrung der „Sicherheit“ dient als Rechfertigung für politische und gesetzliche Maßnahmen, um „Unerwünschtes“ aus dem Sichtfeld zu entfernen. Der urbane Raum ist also zunehmend als öffentliches und freies Terrain bedroht, er verkommt mehr und mehr zur reinen Konsumzone oder wird durch Gesetze und Verordnungen hauptsächlich als Ge- und Verbotsraum umgedeutet, was eine freie Nutzung für alle einschränkt oder unmöglich macht. Dabei ermöglicht der öffentliche Raum seit jeher einen sozialen Austausch, die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, er speichert kollektives Gedächtnis und vermittelt bei Schieflagen in Wohlstandsverteilungsfragen.2
Wie kann die Stadtplanung und die Architektur auf diese Entwicklungen reagieren, die durch vorwiegend neoliberale Parameter hervorgerufen wer-den? Wie können Freiräume, in denen nicht von vornherein Interessen von außen einprogrammiert sind im städtischen Gefüge mitgedacht und für die Gemeinschaft bewahrt werden. Kann dieses Dazwischen, jene Frei- oder Möglichkeitsräume, überhaupt geplant werden?
In Innsbruck wird seit Jahren, ausgehend vom ./studio3, columbosnext, aut. architektur und tirol, tortenwerkstatt, krater fajan, Hannes Baumann u.a. versucht, einerseits mit architektonischen Interventionen im Stadtraum, andererseits durch das Besetzen von Leerständen, Freiräume zu schaffen. Die Verbindung zwischen Gestalt und Raum wird dabei oft zum Thema gemacht und durch die performative Inbesitznahme ein Ort zur Keimzelle von städtischem Leben. Die baulichen Interventionen im öffentlichen Raum zeugen von architektonischer Autonomie und sollen so zum essentiellen Wissens- und dadurch Bewusstseinstransfer führen. Durch die Platzierung im urbanen Kontext will kollektive Verantwortung aktiviert und Architektur als starkes demokratisches Medium etabliert werden. Die architektonische Autonomie dieser Implantate lässt Nischen und Zwischenräume entstehen. In einer zukunftsfähigen Stadt reichen diese minimalen Interventionen jedoch nicht mehr aus, sie können als Studien für größere Überlegungen und Strategien gesehen werden, um den Freiraum der Stadt zu sichern. Entgegen der „Überfunktionalisierung“ steht die Sehnsucht nach neuen Räumen, die nicht dem Diktat einer marktgesteuerten Logik folgen.
1 Stephan Reiß-Schmidt, „Der öffentliche Raum: Traum, Wirklichkeit, Perspektiven“, unter: http://www.urbanauten.de/reiss_schmidt.pdf, am 18.09.2013
2 Auszüge aus „My Own Private Arcadia – Stadtraum als Teil der privaten Materie“, stadt-potenziale 2017; Christian Dummer, Teresa Stillebacher