Im Schatten der Stadtplanung
Ein aut: feuilleton von Werner Burtscher
Eigentlich liegt es auf der Hand nach den vergangenen Sommern über den Schatten in den Städten zu schreiben. Anhand von einigen Beispielen wer-de ich zu beleuchten versuchen, was eigentlich schon als Selbstverständlichkeit, als Komfort in der sommerlichen Stadtbenutzung bereits vorhanden war und die Städte heute wieder gut gebrauchen könnten.
Als Fußgänger ist mir Anfang Juni des letzten Jahres in Feldkirch aufgefallen, wie die unterschiedlichen Bauepochen den Schatten als Element der Stadtplanung thematisiert haben. Am Weg vom Bahnhof zum Krankenhaus geht es von Vorstadtbereichen der Gründerzeit – die auch schon grünere Zeiten erlebt haben –, durch die Altstadt und danach über die Brücke zur Schillerstraße, weiter die Stadt hinaus zum südwestlichen Bereich des Blasenberges. Das Licht- und Schattenspiel verändert sich, denn entlang dieses Weges von knapp 2,5 km Länge wechseln sich verschiedene schattenspendende Stadträume mit unterschiedlichen Qualitäten ab – Reste von Alleen in der Wichnergasse gehen über in kühle Lauben und enge Gassen in der Altstadt. Auf der anderen Seite der Ill beim Bundesfinanzgericht(1) steht ein geschlossener Blockrand, den Lois Welzenbacher 1925/26 mitgeprägt hat, mit einem durchgehen-den Schattenband – danach wird es heiß. Die Ein- und Mehrfamilienhäuser sind zumeist abgerückt von der Gehsteiglinie, die Abstandsflächen sind nicht städtisch, sondern werden durch Vorgärten, Zierhecken und Parkplätze bestimmt. So dürrt die Schattenbildung bis zum Landeskrankenhaus aus.
Anhand dieses Beispiels kann man feststellen, dass der Schatten ein wesentliches – ob bewusst oder unbewusst lässt sich nicht einfach beantworten – städtebauliches Planungswerkzeug war und in Zukunft sein sollte. In diesem Sinne könnte es zum Bebauungsplan auch ein Pendant für die Beschattung des öffentlichen Raumes geben. Dies könnte für Alleen – offensichtlich – aber auch für kleinere Maßnahmen gelten, wie die Positionierung von Gebäuden, Gebäudeteilen und einzelnen großen Bäumen. Zum Beispiel sind Abstandsflächen, wenn sie ohne Mehrwert für den öffentlichen Raum nur dem privaten Interessen überlassen werden, eine verlorene Möglichkeit die Beschattung von Wegen durch die Stadt zu gewährleisten.
Ein positives Beispiel ist in der jüngeren Architekturgeschichte am Mittelmeer, in La Grande Motte, entstanden.(2) Als Fußgänger merkt man sofort, dass der Schatten ein wesentliches Thema und die Anlage des Straßen- wie Wegenetz eine der zentralen planerischen Maßnahmen war. Die Gebäude und ihre Funktionen ordnen sich dem „schattigen“ Ziel unter und generieren somit eine Stadt der bequemen und vor allem vor der Sonne geschützten Wege. Die Bebauungsstruktur ist heterogen und wechselt zwischen Einzelbaukörpern, pointierten Blockrandbebauungen und Gartensiedlungen(3) ab. Blockränder werden auf der Straßenebene punktuell geöffnet, um Durchwegungen zu ermöglichen. An den Stellen, an denen die Gebäude keinen oder zu wenig Schatten schaffen, sind hohe Pinien gepflanzt, die ein angenehmes Schattendach bilden. Auch Lauben sind in LGM ein wichtiges Thema, welche in den Verkaufsstraßen – die gegen Süden orientiert sind – das Verweilen im Straßenraum angenehm machen.
Diese Werkzeuge wie Mittel des „Schatten-Städtebaus“ – Alleen, Bäume, Luftschneisen, Gebäude und Gebäudeteile – sind unabhängig von der Architektursprache einsetzbar. In LGM ist dies offensichtlich, in vielen mittelalterlichen und gründerzeitlichen Städten selbstverständlich und sollten nach den letzten Sommern verstärkt diskutiert wie in zukünftige Planungen einbezogen werden. Im Wesentlichen liegt es in der Verantwortung der Stadtplanung und der Politik dieses Thema zu forcieren, da es um die klimatische Verbesserung des öffentlichen Raumes geht. Allerdings besteht zusätzlich auch die Hoffnung, dass mit einzelnen, richtig gesetzten und geplanten Baukörpern ein Beitrag von ArchitektInnen geleistet werden könnte.(4)
1 Die damalige Finanzlandesdirektion (1911/12) und das Gebäude des Landesgericht (1903 – 1905) bilden die westliche Stadtzufahrt an der Ill und sind von außerordentlicher Qualität. Beide Gebäude wurden vom Architekten Ernst Dittrich (1868 – 1948) geplant. Die schönsten Beispiele des Jugendstils in Feldkirch sind von ihm entworfen, z. B. die Clessin‘sche Stadtapotheke in der Kreuzgasse 22.
2 Jean Balladur (1924 – 2002) plante den Ort in den sechziger Jahren als Stadt und Tourismusdestination. Der urbane Raum baut wesentlich auf die Hierarchisierung der Verkehrswege auf, angelehnt an das V7-System von LeCorbusier. In La Grande Motte (in Folge abgekürzt mit LGM) leben ca. 9.000 Einwohner.
3 Im Bereich der Straßen Allée des Joncs, Allée de la Plage und Résidence Village du Soleil wähnt man sich in einem mediterranen Puchenau.
4 Vgl. in der Märzausgabe 2019 von werk, bauen+wohnen: Bosco Verticale in Mailand von Boeri Studio Mailand gemein-sam mit Landschaftsarchitekten Studio Emanuela Borio und Laura Gatti sowie Musée du Quai Branly – Jacques Chirac in Paris von Vertical Garden Patrick Blanc und Jean Nouvel.
(Text: Werner Burtscher, erschienen in aut: info 1/2020)