der flug der zeit: in memoriam andreas orgler
Ein Nachruf von Wolfgang Pöschl auf Basis des Textes „Der Flug der Zeit“ von Andreas Orgler, in dem er entlang eines Drachenfluges im Stubaital seinen Weg als Kletterer, Architekt und Drachenflieger beschreibt.
„Früher einmal lebte ich in Räumen mit Fenstern, sowohl im alltäglichen Leben als auch im Leben als Kletterer (...). Aus der Geborgenheit der Wände beobachtete ich das Draußen durch die Öffnung, ohne dabei die schützende Hülle zu verlassen. Jede größere Alpinkletterei bedeutete ein Loch in diesen Wänden. Immer mehr wurde mir bewusst, dass ich ein kleiner Teil des Ganzen bin. Der vermeintliche Schutz der Hülle entpuppte sich als Trugschluss ...“
Unter anderem von Josef Lackner im Studium drastisch ermahnt, dass jede Kunst ein ganzes Leben erfordert, gab Andreas Orgler die Kletterei auf und stürzte sich mit der gleichen Leidenschaft, mit der er zuvor unzählige, unmögliche Wände bezwungen hatte, in die Architektur. Als Kletterer längst eine Legende, die wahrscheinlich mit der Vermarktung vergangener Abenteuer ein materielles Auslangen gefunden hätte, wagte er sich auf Neuland und riskierte einen Neubeginn.
„Es war ein langer Weg vom Raum mit einem Fenster bis zur Hülle, die das Draußen und Drinnen verschmelzen lässt, im Innern sieben verschiedene Plätze für verschiedene emotionale Zustände bietet und eigentlich mehr eine Landschaft als ein Haus ist. Es ist das Überschreiten von Grenzen; Grenzen in der Sehgewohnheit, Grenzen im Kopf; Grenzen bei der Begegnung mit der Natur und Grenzen im menschlichen Bereich; eben ein Abenteuer ...“
Die Rede ist von Andreas Orglers Haus für seine Familie in Plöven, in dem sich der Kletterer mit dem Architekten trifft und das seiner illusionslosen Selbstkritik im Selbstversuch standhalten musste und konnte. Meine intensivste Begegnung mit Andreas ergab sich bei unserer Zusammenarbeit am Sporthaus Okay. Sie war gewissermaßen eine gemeinsame Erstbegehung. Vom Bauherrn für das Gelingen pauschal in die Verantwortung genommen, musste er sich in den unmöglichen Riss spreizen zwischen der operativen Rolle als örtliche Bauaufsicht, als Projektmanager auf der einen Seite und der Wahrnehmung des architektonischen Parts des Bauherrn auf der anderen Seite. Auf dieser Tour lernte ich Andreas als perfekten Kletterpartner lieben. In nahtloser Wechselführung arbeiteten wir uns an der unsinnigen doppelten Glasfassade vorbei zum hochdämmenden, lichtdurchlässigen „Eis“ hinauf. Gemeinsam haben wir so einen Eisblock mit Holzbalkon in die Maria-Theresien-Straße gestellt. Und er kann sich jetzt (leider) nicht mehr dagegen wehren, wenn ich behaupte, dass dies ohne ihn nie gelungen wäre.
„Der Versuch der Denkmalbildung scheitert, spätestens im Frühjahr, wenn die Sonne das Wasser zu neuem Leben erweckt, wird mir die Vergänglichkeit bewusst. Stunden des Glücks und der Angst stehlen sich dann als unscheinbares Rinnsal aus den Bergen davon. Unwiederbringlich sind die Eisstrukturen und die Erlebnisse. Als ich nach der überhängenden Einstiegswand an nur einem Eisgerät im Balkon über mir verankert bin und die Steigeisen noch unter dem Felsüberhang Halt suchen, wird mir bewusst, dieser Kletterzug an dieser Stelle ist vielleicht einmalig; der kommt nicht so schnell wieder. Nächstes Jahr gibt’s hier vielleicht kein Eis, oder vielleicht einen Zapfen ...“
Andreas Orgler arbeitete genauso intensiv an der Ermöglichung von Architektur wie an seinem eigenen Weg als Architekt. Seine punktgenauen und messerscharfen Wettbewerbsvorbereitungen basierten auf seiner umfassenden Beratung der Auslober und der Begabung, sie für Architektur zu begeistern. Architektonische Highlights wie das Travel Europe in Stans, nur stellvertretend für etliche andere erwähnt, wären ohne seine Wegbereitung nie entstanden.
„Die Gräser und Baumspitzen wiegen im Wind, und die Wolken, einige hundert Meter über mir, beginnen langsam zu wachsen. Noch liegt im Tal eine leichte Inversion, die man an ihrer anderen Färbung erkennen kann. Aber als ein Greifvogel und mehrere Raben, ohne einen einzigen Flügelschlag kreisend, immer höher kommen, ist der Zeitpunkt für den Start gekommen. Es sind nur drei, vier Schritte über eine steile Rampe in den Wind, eine scheinbar leichte Tätigkeit, aber in Wirklichkeit ein emotionales Abenteuer. Es ist ein Loslösen vom Gewohnten, vom Vertrauten, vom Boden, ein Abschied von der Frau und von den Kindern, ein Schritt in eine andere Welt ...“
Nachruf von Wolfgang Pöschl
andreas orgler
geb. 1962 in Innsbruck
1980 – 90 Architekturstudium an der Technischen Fakultät der Universität Innsbruck
1992 – 97 Mitarbeiter im Büro Heinz-Mathoi-Streli, Innsbruck
ab 1998 Büro in Innsbruck
ab 2005 Arch.Orgler ZT-GmbH; am 4. Jänner 2007 tödlich verunglückt
bauten (Auswahl)
2007 in Bau: Wohnanlage Bartl-Lechner, Kufstein; Gletscherterminal, Neustift; Wohnanlage, Wörgl; Dienstleistungscenter Raika, Hall; Volksschule und Turnsaal, Telfes; Einfamilienhaus Dr. Somavilla, Telfes; Seminar- und Bürogebäude BARI, Wildschönau
2005 – 06 Produktions-, Lager- und Bürogebäude Teufel & Schwarz, Söll; Volksbank Weidach, Kufstein; Einfamilienhaus Kapferer, Telfes
2004 – 05 Volksschule und Turnsaal, Sautens; MPREIS, Elbigenalp
2003 – 04 Stadtvilla Rieder, Kufstein; Einfamilienhaus Gogl, St. Jodok
2003 Rechtsanwaltskanzlei Orgler-Pfurtscheller, Innsbruck
2002 – 03 Postverteiler Halle Herzog, Weiler
2000 – 03 Innotech, Kufstein
2001 – 02 MPREIS, Silz; Kinderrestaurant Gamsgarten, Stubaier Gletscher; Hallenerweiterung Pittl, Fulpmes; Studentenheim Kufstein
2001 KSHB Halle, Fulpmes
2000 – 01 Hallenerweiterung Schmidt, Fulpmes
1999 – 2003 Wohnanlage, Medrazer Stille
1998 – 99 Produktionshalle Kapferer, Fulpmes
1997 – 2000 Einfamilienhaus Orgler, Telfes
1997 – 99 Turnhalle und Parkdeck, Fulpmes (gem. mit Heinz-Mathoi-Streli)