manfred alois mayr: zum tod meines langjährigen freundes
in memoriam christoph mayr-fingerle (1951 – 2020)
Ein Nachruf des Südtiroler Künstlers Manfred Alois Mayr, der bei zahlreichen Projekten mit Christoph Mayr-Fingerle zusammenarbeitete, erschienen in der aut: info 2/2020, und Erinnerungen der Architekten Michael Hofstätter und Rainer Köberl.
Im Nachhinein könnte man spekulieren, die Ausstellung „Liebe für das Haus. Amonn & Fingerle“ war von Christoph als Abschied geplant. Vielleicht spürte er in sich eine physische Schwäche, die er in letzter Zeit durch sein jugendliches Outfit und ein verändertes Freizeit- und Sport-Verhalten zu kompensieren versuchte. Auch das Spiel, der „Wechsel zu anderen Akkorden“ auf den neu erworbenen E-Gitarren verrät vielleicht nachträglich ein Loslassen von seinem Ringen und seinem Einsatz für Architektur und Städteplanung in Bozen.
Es war der 5. August 2019, als mich Christoph nach einer längeren Pause zwecks eines Ausstellungsbeitrages kontaktierte. Sein Besuch und das darauf folgende Treffen im Stadtmuseum Bozen führten uns wieder in den vertrauten und schon längst fälligen Austausch. Denn aus dem Bedürfnis nach einem Feedback zu seinen Plänen kontaktierte Christoph des Öfteren Freunde und Kollegen. Er war der Überzeugung, dass eine konstruktive Auseinandersetzung – auch negative Kritik – eine Verbesserung seiner Projekte mit sich bringt.
Das Gespräch nach dem gemeinsamen Rundgang durch die Ausstellung im Stadtmuseum, das gemeinsame Glas im Gasthof Fink (das letzte ...), haben in mir unmittelbar Erinnerungen an unsere frühen gemeinsamen Studien- und Reiseerleb-nisse auftauchen lassen. Während ich Orte meist möglichst spontan erobern und die Umgebung seismographisch ertasten will, richtete Christoph seinen Fokus meist zielgerichtet auf Bauten bekannter Architekten. Ohne Programm und Ziel unternahm Christoph nichts.
Sein Interesse war besonders in der Anfangsphase seines Schaffens auf die „Architektur in den Alpen“ gerichtet – das war sein Augenmerk auch in Zusammenhang mit seinem Kind „Sexten Kultur“. Aufgrund seines Netzwerks in der Architektur-szene unternahmen wir gemeinsame Studienreisen in die Schweiz oder in die venezianischen Alpen zu Bauten von Edoardo Gellner. Jahre später reisten wir mit seinem Büro nach Brasilien und besuchten die Gebäude von Lina Bo Bardi und Oscar Niemeyer in São Paolo und Brasilia sowie die Favelas in Rio.
Unsere erste Begegnung war sofort durch das gegenseitige Herantasten an gemeinsame Interessen gekennzeichnet. Wir liebten Diskussionen, in denen sich die Grenzen zwischen Architektur und Kunst auflösen. Architektur und Kunst formen die Menschen und der Architekt formt das Haus – darüber waren wir uns einig.
Unsere erste Zusammenarbeit war der Umbau des Realgymnasiums in Bozen von 1994 bis 2000. Wir experimentierten vor Ort, erprobten Lösungen, teils auch mit den Handwerkern, und fanden den für uns besten Weg meist erst in der konkreten Betrachtung diverser Varianten. Zufälle oder Improvisationen lies Christoph nur selten zu – alles musste bis ins letzte Detail durchdiskutiert und geplant sein. Während Christoph speziell zu Beginn eines Projekts Referenzen und Vergleiche zu seinen Vorbildern suchte, ergänzte ich die Entwicklung durch meine „non verbale“ Kommunikation – das Einbringen von Referenzbildern aus meinem Fotoarchiv in Bezug auf anonyme Architektur und Farbgebung.
Für die Erweiterung seines Denkens und als Grundlage für sein „Büchermachen“ hat sich Christoph eine sehr persönliche Bibliothek eingerichtet. Auf seine Interessen fokussiert, verwahrte er in seinem Bücherregal nur ein Destillat (oder die Essenz) von Fachzeitschriften und Büchern, die meist nur in Antiquariaten zu finden waren. Modische Bücher, bestehend aus „gekauften Seiten für Eigenwerbung“, hätten für ihn sinnlos Platz eingenommen.
Christophs Kompromisslosigkeit in allem, was Architektur betraf, konnte sogar dazu führen, dass er als Gast gedeckte Tische „versetzte“ und sie im Raum nach seinem Gutdünken neu positionierte. Dabei bemerkte er nicht, dass er für den Gastgeber eine Grenze überschritt, denn Grenzen existierten für ihn nicht. Wenn schon wollte er sie abtasten auf der Suche nach Perfektion und Stimmigkeit.
Christophs Pläne und Modelle für das gescheiterte Bibliothekenzentrum in Bozen liegen nun in seinem verlassenen Büro. Die Diskussion rund um die Zusammenführung der Bibliotheken der drei Sprachgruppen unter einem Dach hat gezeigt, wie ambivalent die Situation in Bozen immer noch ist. Das Scheitern dieses Projektes durch die mangelnde Wertschätzung einiger politischer Entscheidungsträger, aber auch die ausbleibende Unterstützung der Architekturszene, hat ihn enttäuscht und ohne Zweifel an seiner körperlichen Kraft gezehrt.
Durch seine Stellungnahmen zu Themen der Stadtentwicklung wollte Christoph die zuständigen Institutionen sensibilisieren. Er fand, dies der Gesellschaft schuldig zu sein, und nahm dafür auch Niederlagen und Unbeliebtheit in Kauf. Durch seine Kritik erntete er im Lande bei manchen Kollegen Ablehnung und Unverständnis. Denn Meinungsvielfalt und Kritik – wenn auch konstruktiv – werden in Südtirol nur schwer geduldet. Durch seine Passion, Hartnäckigkeit und seinen Einsatz hat Christoph nicht nur zur Entwicklung der Südtiroler Architektur- und Kunstszene einen großen Beitrag geleistet, sondern auch im ganzen Alpenraum.
(Text: Manfred Alois Mayr, 2020)
aus einem e-mail von michael hofstätter an manfred alois mayr
Lieber Manfred,
(….) Ich werde die Gespräche mit Christoph mehr als vermissen. Gerade bei meinem letzten Bozen-Aufenthalt zeigte er mir noch in seinem Atelier Materialien von den Architekten-Vorfahren, noch etwas unsicher, ob deren spezifische Originalität eine von ihm geplante Ausstellung des Werkes trägt. Die mir vorliegenden Fotos der nun gezeigten Schau im Stadtmuseum beweisen, in eine einfühlsame Präsentationsform von zeitloser Frische, die Aktualität deren Architekturpraxis mit erstaunlichen Kontinuitäten zu seinem eigenen Schaffen. Christophs künstlerisch/intellektueller Anspruch, Architektur/Landschaft/Stadt als Gesamtheit zu denken,reichte weit über das meist ‚ach so professionelle Architekturgehabe’ von heute hinaus. Und diese, die jeweilige Disziplin übergreifende Auseinandersetzung hat er auch immer im gesellschaftlichen Kontext gesehen und argumentiert, oft entschieden in der Öffentlichkeit Partei ergriffen. Er wird nicht nur in Südtirol fehlen. Eine inspirierende Persönlichkeit wie ihn hat es für jeden von uns gebraucht. Bei Dir reicht der Verlust noch tiefer, weil Eure langjährige, künstlerisch sich ergänzende Reise jäh ein Ende fand. (E-Mail von Michael Hofstätter an Manfred Alois Mayr)
aus einem e-mail von rainer köberl an manfred alois mayr
lieber manfred!
(...) nur einige ganz kurze sätze zu christoph aus nordtirol "betrachtet".
1.
auch für uns im norden war ganz abseits von christophs sonstigen wirken die galerie museum mit ihren kunst- und architekturausstellungen ein oftmaliger grund überhaupt nach bozen zu fahren – das prinzip eines derart "offenen raumes" in mitten einer stadt war da natürlich auch ausschlaggebend! sowohl für den ort, seine gestaltung und seine ausstellungen war wohl christoph sehr verantwortlich – ganz genau, bis ins detail weiß ich das nicht. jedenfalls hat christoph mich zusammen mit norbert fritz einst zu einer ausstellung eingeladen - nur da weiß ich genau um die verantwortung.
2.
jedenfalls weiß ich noch genau, wie ich einmal von wien über kärnten heimgefahren bin, mir dann im pustertal dachte, ah heute ist doch ausstellungseröffnung in bozen. bin dann hingefahren – u. a. den benno simma dort getroffen, den ich schon kannte. aber durch das zusammentreffen in der galerie museum ist eigentlich unsere zusammenarbeit für die "akademie für design" entstanden. (da war aber leider christoph glaube ich nicht dabei– möglicherweise waren benno und er nicht so "auf einer linie" ...)
3.
genauso besuchten wir oft die von christoph organisierten vorträge im schloss maretsch. ich weiß leider nur noch hermann czech – aber es waren mehrere und immer gute "stimmung"- am guten ort.
4.
dass es keinen architekturpreis gibt der so liebevoll, auch mit ausstellung und begleitpublikation in höchster qualität (fotos, druck, buch, rahmen , hängung) gemacht wird, der so hochkarätige texte (von eben gut schreibenden) in der publikation versammelt und der es wagte die jury recht konstant zu halten, sich einmal gut und tief überlegt hat aus welchen figuren diese bestehen soll, statt jedesmal zu wechseln (mit welchen kriterien). der preis auch fast als dokumentation was in dieser zeit denn gutes im alpenraum gebaut wurde. auch abseits der qualität des ganzen drumherum um diesen preis – einfach eine gute und klugen idee den alpenraum zu nehmen – mit einer dem entsprechenden verortung in sexten.
(E-Mail von Rainer Köberl an Manfred Alois Mayr)
christoph mayr-fingerle
geb. 1951; Architekturstudium an der Universität Innsbruck, Diplom 1978; ab 1981 eigenes Architekturbüro in Bozen; 1982 Sommerakademie in Salzburg bei Prof. Raimund Abraham; als Grenzgänger zwischen den Disziplinen wechselte er zwischen Positionen als Architekt, Kurator, Ausstellungsgestalter, Galerist, Designer und Städteplaner; u. a. 1982 – 92 Kulturreferent der Architektenkammer der Provinz Bozen; 1985 – 92 Galerietätigkeit u. Präsident des Kunstvereins AR/GE Kunst – Galerie Museum in Bozen; ab 1989 Kurator verschiedener Symposien und Ausstellungen zum Thema „Alpine Architektur“ und des Architekturpreises „Neues Bauen in den Alpen“; Herausgeber verschiedener Schriften und Bücher erschienen im Birkhäuser Verlag, Basel – Boston – Berlin; zahlreiche Vorträge über Architektur und Städtebau u. a. in Wien, München, Ljublijana, Bergamo, Mendrisio, Turin, Zürich, London und Mailand; verstorben im Feber 2020
auszeichnungen (Auswahl)
1999, 2009 und 2011 Südtiroler Architekturpreis, Bozen; 2000 Deutscher Buchpreis, Frankfurt; 2006 Preis für energieeffiziente Altbausanierung, Klausen; 2007 Der historische Gastbetrieb des Jahres 2007 in Südtirol, Sexten; 2009 Schweizer Buchpreis, Zürich
bauten (Auswahl)
1985 Umbau AR/GE Kunst Galerie Museum, Bozen; 1994 – 2001 Realgymnasium Bozen; 1997 – 2007 Hotel Grauer Bär, Innichen; 1992 – 2007 Hotel Drei Zinnen, Sexten; 2004 – 05 Haus Aichner, Klausen; 2004 – 06 Ansitz Pernwerth, Innichen; 2004 – 08 Wohnanlage EA7, Bozen; 2007 – 12 Ortsgestaltung Naturns; 2007 – 10 Weinkellerei E_N, Kaltern; 2008 – 09 Bibliothek Tessmann, Bozen; 2013 – 14 Haus in Kaltern, Kaltern 2002