in memoriam heinz tesar (1939 – 2024)
Ein Text von Otto Kapfinger
Heinz Tesar war Träger des Großen Österreichischen Staatspreises für Architektur und international bekannt. Er galt in seiner Zeit als ein Künstler-Architekt par excellence. Gerade von ihm stammte aber auch der epochale Satz: „Architektur ist die Nicht-Kunst der Künste.“
Seine gestalterische Tätigkeit, sein Œuvre in fünf Jahrzehnten umfasst alle Maßstäbe: städtebauliche Konzepte, Museums- und Sakralbauten, Wohn- und Siedlungsanlagen, gemischt genutzte Stadthäuser und Villen, Möbel, Sessel und Tische – bis hin zu Leuchten, Schrifttypen, sakralen Objekten.
Quelle seiner Entwürfe waren von Anfang an Handzeichnungen, Aquarelle, schriftliche Notate und Wortketten, die er in A6-Büchlein schrieb. Es gibt sicher über 100 davon, einen ganzen Schrank voll, die allein ein einzigartiges, spezifisches Werkkonvolut darstellen. Zusätzlich hat er immer schon großformatige Modelle bauen lassen, zumeist aus feinem Holz und in unterschiedlichen Maßstäben – von ganz klein bis sehr groß – die ebenfalls eine modell-skulpturale Werkgruppe beachtlichen Ausmaßes darstellen. Für das Museum Essl gab es z. B. ein zündholzschachtel-kleines Modell in einer Schatulle, das Herr Essl in der Hosentasche oder Rocktasche ständig bei sich tragen konnte – und eben auch die tischgroßen 1:20-Modelle, mit denen die Lichtführungen studiert wurden.
Tesar hatte eine unter Architekten seltene Eigenheit: Er begegnete jedem Entwurfsanlass zunächst mit einer poetisch-künstlerischen Grundlagenforschung, bevor er überhaupt an ein Raumprogramm oder an pragmatische Themen dachte. Die Werkzeuge dieser „Meditationen“ waren die Handzeichnung, die Skizze und vor allem die handgeschriebenen assoziativen Wortketten – autonome Wortuntersuchungen, ganz im Sinne der konkreten Poesie. In den Skizzen und Aquarellen war es dann die Spontaneität, die farblich-fluide Präsenz mit dem Pinsel gezogener, organhafter Flächen, welche die Liniengerüste der Zeichnung leiblich-körperhaft überlagerte, belebte. Dieser eigentümliche Prozess der Formfindung prägte seine raum-körper-leib-poetische Recherche, als eine konzentriert-intuitive Sinnstiftung für das Entwerfen, das Bauen, das Gestalten in allen Maßstäben.
Nicht so sehr der rote Schal, wie oft geschrieben, war sein privates Markenzeichen, den hatte er erst in den späten Jahren. Aber von 1973 an, als ich in seiner winzigen Wohnung im Vorfeld der von ihm initiierten Ausstellung „Konfrontationen“ der ÖGFA eingeladen war, sah ich ihn immer nur in seinem schwarzen, schweren „Anzug“, mit weißem Hemd, später auch mitunter mit einem Seidenschal über dem Hemd im Ausschnitt dieser Jacke, die er auch bei stechender Sommerhitze kaum je ablegte. Es war dies sein „Weinbrenner“-Rock, ein Zweireiher mit breitem rundem Kragen und aufgesetzten Taschen aus samtartigem Stoff. Heinz trug ausschließlich dieses Schwarz, lang bevor das Schwarz – dann meist nach japanischer Couture – bei den Architekten in Mode kam. Er hatte mehrere „Weinbrenner“ dieser Art und wechselte sie mitunter. 1973 und danach war das für uns viel jüngere „Post-68er“ ja ziemlich schrullig und eher verzopft. Natürlich hatten wir einen „Weinbrenner“, wenn überhaupt, nur als zweitrangigen, faden Klassizisten eingespeichert. Heinz aber blieb eisern.
Viel später informierte ich mich über die Persönlichkeit von Friedrich Weinbrenner und entdeckte seine außerordentliche Bedeutung und Umsichtigkeit als Neugestalter von Karlsruhe in allen Aspekten, bis hin zu ökologischen Themen. Er war auch jemand, der – wie kein anderer Architekt des 19. Jahrhunderts – viele später ausgezeichnete Architekten ausbildete und der auch bei minimalen Budgets immer noch nachhaltige Raumqualitäten herstellen konnte. Ihm war die Fassaden-Brillanz eher unwichtig, an erster Stelle stand stets die Nutzbarkeit des Raum-Charakters. Mit diesem Hintergrund für Tesars lebenslange Reverenz im persönlichen Habitus erweiterte, korrigierte sich – für mich jedenfalls – auch das Verständnis seines Werkes.
Eine letzte Impression – sehr spontan – zu Heinz Tesars Persönlichkeit: Je heller, je silberner seine Haar-Mähne wurde, desto mehr glich er irgendwie dem alten Franz Liszt. Nachweislich war Heinz auch in dieser Kunstsparte ein exquisiter Kenner und liebte die Musik von Liszts engem, so kongenialen Freund und Konterpart: Frederik Chopin.
heinz tesar
geboren am 16. Juni 1939 in Innsbruck; 1961 – 65 Architekturstudium an der Akademie der bildenden Künste Wien (Meisterklasse Roland Rainer); 1969 – 73 Mitarbeiter im Büro von Wilhelm Holzbauer; ab 1973 eigenes Atelier in Wien, ab 2000 auch in Berlin; zahlreiche Gastprofessuren u. a. an der Cornell University in New York, der ETH Zürich, der Harvard University, der tu München, der Universität in Venedig, der Hochschule für bildende Künste Hamburg sowie der Accademia di Architettura in Mendrisio; Auszeichnungen u. a. 1982 Österreichischer Würdigungspreis für Bildende Kunst; 1983 Preis der Stadt Wien für Architektur; 2000 Heinrich-Tessenow-Medaille in Gold; 2011 Großer Österreichischer Staatspreis für Architektur; verstorben am 18. Jänner 2024 in Baden bei Wien
werkauswahl
1974 – 77 Studio Peer, Steinach am Brenner; 1976 – 79 Pfarrkirche Unternberg; 1976 – 86 Wohnhäuser Einsiedlergasse, Wien; 1977 – 86 Kirche, Friedhof und Leichenhalle, Kleinarl; 1980 – 84 Pfarrkirche Edelsbach; 1983 – 85 Siedlung Biberhaufenweg, Wien (mit Otto Häuselmayer, Carl Pruscha, Wilfried Wafler); 1985 – 87 Schömerhaus, Firmenzentrale bauMax, Klosterneuburg; 1989 – 92 Koloman-Wallisch-Platz, Kapfenberg; 1989 – 05 Lagerhaus-Areal Stadtpolizei und Geschäftshaus, Sankt Gallen (mit Marc Tesar); 1990 – 91 ses, arm, hoc, tis, Serienmöbel für Giorgetti, Mailand; 1990 – 93 Stadttheater Hallein; 1992 – 94 Nordbahnhofge-lände Wien (mit Boris Podrecca); 1991 – 94 Keltenmuseum Hallein; 1993 – 95 Evangelische Kirche, Klosterneuburg; 1996 – 99 Sammlung Essl, Klosterneuburg; 1997 – 2002 Sanierung Bode-Museum, Berlin; 1997 – 2000 Kirche „Christus Hoffnung der Welt“, Donau City Wien; 2001 – 06 BTV StadtForum, Innsbruck; 2009 – 12 Büro- und Geschäftshaus Erlerstraße, Innsbruck; 2010 – 13 Generalat Halleiner Schwestern Franziskanerinnen, Oberalm; 2010 – 15 Museo Bailo Treviso (mit Studionas architetti)
Ein Text von Otto Kapfinger über den in Innsbruck geborenen Architekten Heinz Tesar, erschienen in der aut: info 2/2024