julian gatterer: über architekt*innen und die stadtplanung
Ein aut: feuilleton-Beitrag, erschienen in der aut: info 2/2023
Seit meiner Zeit am Stadtbauamt Kufstein beschäftigt mich die Frage, woran es liegt, dass in den Tiroler Bau- und Stadtplanungsämtern – mit Ausnahme von Innsbruck – so wenige Architekt*innen arbeiten, obwohl dies so dringend nötig wäre? Gerade dort sollten gut ausgebildete Architekt*innen an der Stadt- und Siedlungsentwicklung beteiligt sein, ihre planerische Erfahrung und ihre baukulturelle Expertise einbringen, da es um qualitätvoll gestaltete Lebensräume geht.
Dafür bräuchte es auf der einen Seite einen klareren politischen Willen und Baugesetze, die wie in Vorarlberg mehr an architektonischer Qualität1 orientiert sind und den Gemeinden besseren rechtlichen Rückhalt in Bezug auf Gestaltungsfragen geben. Darüber hinaus wäre es dringend notwendig, dass jedes Projekt entweder durch einen Gestaltungsbeirat oder zumindest von einer/m Sachverständigen nach qualitativen und städtebaulichen Gesichtspunkten bewertet wird. Verankert in der Tiroler Bauordnung und vergleichbar mit Raumplaner*innen, die oft für mehrere Gemeinden in der Region zuständig sind, könnten mehr Architekt*innen für Gemeinden als verpflichtend anzurufende Gestaltungsbeiräte tätig sein.2
Auf der anderen Seite, um die Projekte bestmöglich bearbeiten zu können, braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen, die es Architekt*innen erlauben für die Verwaltung tätig zu sein. Dafür wäre es sinnvoll, die scharfe Trennung aufzuweichen, die das österreichische Ziviltechniker*innengesetz zwischen freischaffenden Architekt*innen und Mitarbeiter*innen in der Verwaltung vorsieht. Denn der seit 1860 von Kaiser Franz Joseph begründete Berufsstand der Ziviltechniker*innen wurde 1957 mit dem Paragraph 19 ztg dahingehend reguliert, dass ein öffentliches Dienstverhältnis – beispielsweise in Bau-, Stadtplanungs- oder Denkmalämtern – neben einer aufrechten Ziviltechnikerbefugnis nicht zulässig ist.3 Grundsätzlich ist es sinnvoll, dass Politik und Verwaltung die Rahmenbedingungen für das Bauen definieren und – davon klar getrennt – Bauherr*innen und Architekt*innen gestalten. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass sich zwei „starre Blöcke“ bilden, die gegeneinander und nicht wirklich miteinander arbeiten. Man muss sich heute als Architekt*in entscheiden, ob man „gestalten“ oder „verwalten“ will, wodurch eine gewisse diskurshemmende Lagerbildung entsteht.
Die Intention, korruptes Handeln durch etwaige Kompetenzüberlagerungen zu unterbinden, ist das zentrale Argument für diese Trennung. Damit wird aber indirekt erreicht, dass der wichtige Diskurs über die Gestaltung unserer Siedlungsräume zwischen Architekt*innen und Politiker*innen weitgehend unterbunden wird. Denn die Folge dieser Trennung ist, dass Ämter in Gemeinden – außerhalb der urbanen Ballungsräume, in denen durchaus ausgebildete Architekt*innen tätig sind – zu reinen Verwaltungseinheiten reduziert werden, obwohl sie eigentlich als Bindeglied zwischen Investor*innen, Politik und Planer*innen die Aufgabe hätten, die qualitätsvolle Gestaltung unserer Stadt- und Dorfräume zu moderieren und Entscheidungen für die Politik vorzubereiten.
In der Schweiz hat Regula Lüscher in ihrer Zeit als Stadtbaudirektorin Zürichs Möglichkeiten geschaffen, die auch für Österreich interessant sein könnten. Dort sind vor allem junge Architekt*innen mit 50 % Dienstverträgen am Hochbauamt angestellt und haben nebenbei die Möglichkeit ihre Büros aufzubauen. Dadurch wird die Frage, ob man Stadtplaner*in oder Architekt*in sein will, nicht zu einer Entweder-Oder-Entscheidung.
„Ich wollte, dass es gleich cool ist am Hochbauamt zu arbeiten wie bei Herzog & de Meuron.“4
Das 50 / 50-Modell, das nach derzeitiger Gesetzeslage in Österreich nicht möglich ist, könnte eine Win-Win-Situation für beide Seiten sein: Auf der einen Seite Erfahrungsgewinn, geregelte Arbeitszeiten und ein sicheres Einkommen für junge Architekt*innen in der Zeit der Bürogründung, auf der anderen Seite kreativer Input sowie architektonisches Wissen für die Stadtplanung, wovon die Baukultur längerfristig profitieren kann.
Bauämter könnten zu Orten des Diskurses und der Vermittlung von baukulturellen Entwicklungen werden, um auf politischer und gesellschaftlicher Ebene mehr Sensibilität für die Wichtigkeit von guter Gestaltung unserer gebauten Umgebung zu schaffen. Denn man kann durchaus behaupten, dass qualitätvoll gestaltete Gebäude, Stadtviertel und Siedlungen insofern nachhaltiger sind, als sie generell länger Bestand haben als jene ohne Gestaltungswillen.
Insgesamt braucht es eine qualitativ und quantitativ bessere Zusammenarbeit von Verwaltung und Architekt*innen anstatt nur nebeneinander zu arbeiten, mehr lebendigen Diskurs anstatt gegenseitigem Unverständnis sowie auf lokaler Ebene verpflichtende Gestaltungsbeiräte und auf übergeordneter Ebene eine Lockerung von Befugnissen, um neue Möglichkeiten für die Zukunft zu schaffen.
1 Vorarlberger Baugesetz: § 17 Schutz des Orts- und Landschaftsbildes
(1) Bauwerke und sonstige Anlagen müssen so angeordnet und hinsichtlich Größe, Form, Farbe und Baustoffen so gestaltet sein, dass sie sich in die Umgebung, in der sie optisch in Erscheinung treten, einfügen oder auf andere Art der Umgebung gerecht werden.
(2) Auf eine erhaltenswerte Charakteristik des Orts- oder Landschaftsteiles, dem das Bauwerk oder die sonstige Anlage zuzuordnen ist, sowie auf erhaltenswerte Sichtbeziehungen mit anderen Orts- oder Landschaftsteilen ist besonders Rücksicht zu nehmen. Die Charakteristik eines Ortsteiles ist jedenfalls dann erhaltenswert, wenn der Ortsteil durch kulturhistorisch oder architektonisch wertvolle Bauwerke geprägt ist.
2 In Vorarlberg haben in etwa die Hälfte der 96 Gemeinden einen Gestaltungsbeirat, in Tirol gibt es einen fix installierten in Innsbruck, sowie den Gestaltungsbeirat des Landes, welchen die 278 übrigen Gemeinden nach Bedarf einschalten können und der derzeit um die 20 Projekte im Jahr für ganz Tirol bearbeitet. Der zweite fix installierte Gestaltungsbeirat während der 2000er-Jahre in Wörgl wurde 2009 auf ein Mitglied reduziert und 2012 wieder aufgelöst.
3 Krejci / Pany / Schwarzer, Ziviltechnikerrecht, 2. Auflage 1997
4 Zitat aus einem Interview mit Regula Lüscher
julian gatterer
geb. 1988 in Kufstein; 2008 – 15 Architekturstudium an der TU Graz; 2012 – 13 Praktikant bei Gramazio Kohler in Zürich; 2014 – 15 Studienassistent am KOEN Institut der TU Graz; seit 2016 bei Rainer Köberl in Innsbruck; 2021 Ziviltechnikerprüfung in Innsbruck; Mitte bis Ende 2022 Sachverständiger am Stadtbauamt Kufstein