in memoriam klaus kinold (1939 – 2021)
Wolfgang Jean Stock zum Tod des großen Fotografen
Klaus Kinold hat seine Ausstellungen sehr ernst genommen. Wobei er nur an Orten ausgestellt hat, die ihm sympathisch waren: Das Renommee des Hauses musste stimmen, sein Programm, die Qualität der Räume. Die Einladung zur Doppelausstellung 2018 im Adambräu hatte Kinold gern angenommen, auch und gerade weil die ungewöhnlichen Raumverhältnisse für den Architekturfotografen eine Herausforderung darstellten. Als Autor der beiden Begleitbücher habe ich erlebt, wie sorgfältig, ja skrupulös Kinold in seinem Münchner Atelier den Auftritt seiner Bilder in Innsbruck vorbereitet hat – Wand für Wand wurde die Gestalt der Präsentation entwickelt. Eine Ausstellung als Schnellschuss war für ihn undenkbar. Zu seinem Anspruch gehörte auch der Dialog mit den Veranstaltern. In intensiven Gesprächen mit Arno Ritter und Christoph Hölz wurde schließlich das Konzept geboren, wichtige Bauten von Hans Döllgast und Rudolf Schwarz vorzustellen, von „zwei Baumeistern der anderen Moderne“.
Im Adambräu nutzte Kinold die Möglichkeit, sich als „klassischer“ Architekturfotograf zu zeigen. Was ist unter klassisch zu verstehen? Zunächst, dass die Fotografie überwiegend schwarz-weiß auftritt. Zur Überraschung vieler, die sich Architektur nur noch in bunten Bildern vorstellen können, pflegen auch zeitgenössische Fotografen die bewährte Tradition – weil ihnen bewusst ist, dass solche Aufnahmen anders und viel intensiver gelesen werden. Das Auge des Betrachters wandert durch die Bilder und imaginiert dabei die „fehlenden“ Farben, ob einer besonderen Lichtsituation oder eines bestimmten Materials. Zum Zweiten bemüht sich die klassische Architekturfotografie um Objektivität. Deshalb vermeidet sie willkürliche Standpunkte oder verzerrte Perspektiven. Der Fotograf soll sich nicht selbst mit „spektakulären“ Ansichten in Szene setzen, sondern dem Betrachter den Charakter eines Gebäudes möglichst getreu vermitteln. Daraus folgt zum Dritten: Diese Fotografie will dem Architekten und seinem Bauwerk dienen.
Kein Wunder also, dass Klaus Kinold große Fotografen wie Albert Renger-Patzsch, Werner Mantz und Walker Evans zu seinen Vorbildern zählte. Wie seine Vorgänger pflegte er das schwarz-weiße Bild, wie diese fühlte er sich einer poetischen Sachlichkeit verpflichtet. Kinold, der nicht nur in ganz Europa als Auftragsfotograf gearbeitet, sondern außerdem internationale Fachzeitschriften für Architektur herausgegeben hat (etwa „KS Neues“ und „Bauen in Beton“), erwarb sich rasch den Ruf als herausragender Vertreter seines Metiers. Auf seinen Reisen begleiteten ihn häufig regionale Experten. In Belgien war es der Architekt, Hochschullehrer und Biennale-Kommissar Marc Dubois. Nach mehrjähriger Zusammenarbeit würdigte er Klaus Kinold als „Architekturfotografen von Weltformat“.
Von den meisten Kollegen unterschied ihn aber eines: Kinold war selber Architekt. 1939 in Essen geboren, studierte er an der Karlsruher Hochschule bei Egon Eiermann, jenem Meister des Stahlbaus, der seine Studenten zu Klarheit und Präzision führen wollte. Kinold ließ sich führen und kultivierte folgerichtig als lichtbildnerischer Autodidakt seine Haltung einer schnörkellosen Architekturfoto-grafie. Sein inzwischen viel zitiertes Motto war: „Ich will Architektur zeigen, wie sie ist.“ Kinold hatte das Glück, in Europa und Nordamerika wichtige Bauten von allen Meisterarchitekten der Moderne fotografieren zu können: von Alvar Aalto wie von Frank Lloyd Wright, von Mies van der Rohe und Walter Gropius, von Louis Kahn, Le Corbusier und Jože Plečnik. Ein zweiter Schwerpunkt seiner Arbeit waren suggestiv wirkende Panoramabilder von Landschaften und Orten, die er ohne Auftrag geschaffen hat.
So ist im Lauf der Jahrzehnte in München ein umfangreiches, ja einmaliges Fotoarchiv entstanden. Als Vermächtnis hat Klaus Kinold hinterlassen, dass diese Sammlung auch künftig den Medien wie der Wissenschaft zugänglich sein soll. Das Atelier Kinold wird von Dagmar Zacher, seiner langjährigen Assistentin, weitergeführt werden. Das betrifft nicht zuletzt Kinolds eigene Fotobuchreihe im Hirmer Verlag, für die Projekte in der Schublade liegen. Auch sie werden bedeutende Architektur zeigen, gesehen mit dem Auge des Architekten.
klaus kinold
geb. 1939 in Essen; 1962 – 68 Studium der Architektur bei Egon Eiermann an der Technischen Hochschule Karlsruhe; 1968 Diplom und Eröffnung eines Ateliers für Architekturfotografie; ab 1969 Herausgeber von Architekturzeitschriften und Büchern; 1987 – 96 Lehrauftrag für Fotografie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart; verstorben im März 2021 in München
publikationen (Auswahl)
1993 „Ich will Architektur zeigen, wie sie ist“. Klaus Kinold, Fotograf; 1995 Klaus Kinold. Architektur-Photographie; 1997 Klaus Kinold. Architekturfotografie; 2003 Wolfgang Jean Stock (Hg.), Karljosef Schattner, Klaus Kinold. Architektur und Fotografie; 2009 Klaus Kinold. Der Architekt photographiert Architektur; 2016 Wolfgang Pehnt, Klaus Kinold. Architekturphotographien. Photographs of Architecture; Hans-Michael Koetzle (Hg.), Carlo Scarpa, La Tomba Brion San Vito d‘Altivole; 2018 Hans Döllgast. Schöpferische Wiederherstellung; Rudolf Schwarz. Kirchenbauten; 2020 Ludwig Mies van der Rohe. Barcelona Pavillon / Haus Tugendhat
ausstellungen (Auswahl)
1985 Portfolio Galerie, Antwerpen; 1988 17. Triennale, Mailand; 1993 Kunsthalle Bielefeld; 1994 Palazzo Reale, Neapel; 1995 Die Neue Sammlung, München; Galerie der Stadt Kornwestheim; 1996 Kunstverein Ingolstadt; 1997 Ausstellungsfoyer Vereinte Versicherungen, München; 1998 Kicken Gallery, Berlin; 1999 Dany Keller Galerie, München; 2001 Haus der Fotografie Hannover; Neues Museum, Nürnberg; 2009 Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne, München; Galerie der DG, München; 2016 walter storms galerie, München; 2018 aut. architektur und tirol und Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck; 2019 Kunstverein Ingolstadt; Museum DKM, Duisburg; 2021 Galerie Storms, München
Ein Nachruf des Münchner Architekturhistorikers und Publizisten Wolfgang Jean Stock, der mit Klaus Kinold 35 Jahre lang zusammengearbeitet hat, erschienen in der aut: info 2/2021