stadtplanung und das potenzial der universitäten
ein plädoyer, entstanden 2011
Problemlösungen in der „Stadt“ verlangen, je nach Aufgabenstellung, ein breites und/oder konzentriertes Denken, gesellschaftliche Untersuchungen und Folgerungen daraus, präzise architektonische Eingriffe oder Akupunkturen genauso wie „große Operationen“. Denn die Stadt ist ein soziales, kommunikatives wie komplexes „Nervensystem” und muss deshalb interaktiv und interdisziplinär gedacht werden. Doch wie soll das passieren? Was heißt „planen“ in einer Stadt und wer plant diese? Wie soll man agieren, wie reagieren? Welche Entscheidungen bedingt die Perspektive von „oben“ und von „außen“, welche von „unten“ und von „innen“? Wer stellt die Fragen nach dem „Ganzen“ und den „Teilen“, wer nach der „Harmonie“ und den „Dissonanzen“?
Die Stadtplanungsämter unserer Städte versuchen ihr Bestes, oft im Reagieren auf aktuelle Entwicklungen, sind jedoch im Verhältnis zur Komplexität und Wichtigkeit ihrer Aufgabe wohl tendenziell mit zu geringen finanziellen Mitteln und Personal ausgestattet. Dem gegenüber existiert das Potenzial der denkenden und empfindenden jungen „ArchitektInnen“ an den Universitäten. Eigentlich kann ich mir eine sinnvolle Stadtplanung, wie immer man diese auch versteht, gar nicht ohne die Integration dieses Potenzials vorstellen, da vor allem für die intensive Auseinandersetzung mit Themen der Stadt durch „freie“ ArchitektInnen meist keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Gezielt ausgewählte Institute aus dem europäischen Raum könnten daher eingeladen werden und müssten kontinuierlich, in Zusammenarbeit und im Austausch mit politischen, universitären und kulturellen Einrichtungen, eine Stadt über Jahre hinweg „beackern”. Jedes erarbeitete Projekt oder Thema wäre Grundlage für eine neue Betrachtung des Urbanen oder Widerspruch zum Vorhandenen.
Sicher werden die Aufgaben völlig unterschiedlich sein, sie ergeben sich aus den Bedürfnissen der Stadt ebenso wie aus den persönlichen Befindlichkeiten der Studierenden aus „aller Herren Länder“ und den möglicherweise „eigenwilligen“ Perspektiven der Lehrenden auf die jeweilige Stadt. Es könnten Impuls gebende 1:1 Projekte genauso entstehen wie intensive Überlegungen zu Grünräumen und zur Landschaftsgestaltung, Auseinandersetzungen mit dem Zeitmanagement einer Stadt oder dem Umgang mit Abwässern, es könnten Impulse auf Grundlage präziser Quartiersbetrachtungen entwickelt werden, die sich mit sozialen Themen beschäftigen und architektonische Interventionen sowie gesellschaftliche Reaktionen erzeugen bzw. nachhaltige Konzepte zur Energieerzeugung oder dem Energiesparen erdacht werden.
Es sollte „alles passieren“ dürfen, jedoch müssten die Projekte immer wieder in der jeweiligen Stadt verankert und in den realen Kontext eingebettet werden. Die stete „Zusammenarbeit“ mit einer Stadt wird damit eine Herausforderung für die Stadt. Wie wird die Stadt reagieren? Werden universitäre Impulse die Wahrnehmung der Bevölkerung auf die Stadt ändern, vor allem dann, wenn diese kontinuierlich in öffentliche Diskussionen eingebracht werden? Natürlich müsste „die Stadt“ fähig sein, als offener und fordernder „Bauherr“ in diesem Prozess, eben wie ein guter „Bauherr“, mitzugestalten, wodurch neben den Anregungen und Lösungsansätzen eine zukunftsorientierte „Stimmung“ in der Stadt entstehen könnte, die das Wesentlichste unserer Umwelt und die qualitative Gestaltung unseres Lebensraumes zum Thema macht.
neues salzburg – zwischen erinnerung und zeitgenossenschaft
anmerkungen zu einer ausstellung im museum der moderne salzburg
Die „Accademia di architettura di Mendrisio“ entwickelte im Rahmen von Diplomarbeiten auf Anregung von Walter Angonese (Professor in Mendrisio und Vorsitzender des Gestaltungsbeirats in Salzburg) mit 122 Studierenden Projekte zu ausgewählten Arealen im Stadtgebiet von Salzburg, die unter der Betreuung von 15 international bekannten ArchitektInnen erarbeitet wurden (Manuel und Francisco Aires Mateus, Walter Angonese, Michele Arnaboldi, Valentin Bearth, Martin Boesch, Frédéric Bonnet, Mario Botta, Jan De Vylder, Yvonne Farrell und Shelley McNamara, Quintus Miller João Nunes— João Gomes da Silva, Valerio Olgiati und Jonathan Sergison). Eine Auswahl dieser Projekte wurde in einer äußerst gut besuchten Ausstellung im Museum der Moderne am Mönchsberg gezeigt. Mit Unterstützung der Stadt Salzburg und in Zusammenarbeit mit der „Initiative Architektur” wurde ergänzend ein umfangreiches Begleitprogramm organisiert.
Am Beginn des Prozesses wurden folgende Fragen (in den Fragen wurde das Wort „Salzburg“ teilweise durch „die Stadt“ ersetzt) formuliert, die in ihrer Präzision wie Schärfe teilweise auch in Städten ähnlicher Größe gestellt werden könnten – und wie so oft – fast wichtiger und inspirierender sind als manche konkreten Antworten:
• Mit welchen Maßnahmen kann die Altstadt aufgewertet werden?
• Wie sollen die innerstädtischen Erholungsräume der Stadt verbessert oder erweitert werden?
• Wie können vorhandene Restflächen nutzbar gemacht werden?
• Was macht diese Stadt unverwechselbar?
• Sollen in Zukunft neue Wahrzeichen der Stadt geschaffen werden?
• Über welche Zugänge ist die Stadt gegenwärtig erreichbar?
• Wie kann alte Bausubstanz nachhaltig wiederbelebt werden?
• Welche Methoden oder Strategien würden langfristige Perspektiven für die Stadtentwicklung sichern?
• Was macht ein „neues” Salzburg aus?
• Wie soll sich die Stadt in Beziehung zum Umland und benachbarter Städte positionieren?
• Welchen Stellenwert haben Landschaft und Natur in dieser Stadt?
• Wie können gegenwärtig getrennte Stadtteile miteinander verbunden werden?
• In welche Richtung soll sich die Stadt erneuern?
• Welche Stadtteile bedürfen einer Aufwertung durch architektonische Eingriffe?
• Braucht es mehr öffentliche Räume in dieser Stadt?
• Inwieweit kann die Stadt baulich verdichtet werden?
• Wie kann in der Stadt neuer qualitativer Lebensraum geschaffen werden?
• Ist die Altstadt ein Museum?
• Welche Potenziale stecken in den Randzonen der Stadt?
• Welche innerstädtischen Barrieren gibt es in der Stadt?
• In welcher Form kann der historischen Altstadt neue Bausubstanz hinzugefügt werden?
• Welche Qualitäten hat die Stadt über ein Zentrum für Tourismus hinaus?
• Wie kann die Stadt den gesellschaftlichen Entwicklungen besser gerecht werden?
• Welche Potenziale besitzt diese Stadt für die Zukunft?
Die Ausstellung von Plänen und Modellen („wie in alten Zeiten“ – Zitat Mario Ramoni) besticht durch die tiefgehende architektonische Auseinandersetzung und die in höchster Qualität dargestellten Arbeiten, in denen die Handschriften der Lehrenden manchmal zu dominant erscheinen. Vermutlich gingen verschiedene wertvolle Aspekte einer möglichen Inspiration für „die Stadt“ auch dadurch verloren, dass die notwendige Konzentration auf eine „Auswahl“ der besten Arbeiten für den prominenten Ausstellungsort, das Aufzeigen unterschiedlichster Varianten zu einem Bauplatz in den Hintergrund drängte. Jedenfalls lässt diese Ausstellung einerseits das enorme Potenzial erkennen, das es zu nützen gilt. Sie zeigt jedoch auch, dass zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Städten und Universitäten unbedingt Kontinuität und Reflexion, vor allem aber auch viel Arbeit vor Ort, im Sinne einer fiktiven „Bauherrschaft“, nötig ist.
„neues salzburg“
Die im Museum der Moderne in Kooperation mit der Accademia di architettura di Mendrisio gezeigte Ausstellung war von 11. November 2017 bis 25. Feber 2018 zu sehen.
www.museumdermoderne.at
Eine kleine Auswahl der Projekte für Salzburg findet man in der Publikation „Accademia di architettura. Annuario Yearbook 2017“, Mendrisio Academy Press, ISBN 978-88-8762-48-16