Stadtspaziergang "Quer durch Imst mit Werner Burtscher"
führungEine Spaziergang mit Architekt Werner Burtscher durch die Bezirkshauptstadt Imst.
weiterlesen …Ein aut: feuilleton-Beitrag von Werner Burtscher, erschienen in der aut: info 3/2022
stadtstiche
„Stadtstiche“ ist ein Arbeitstitel für eine Serie von Texten zur Architektur und (Bau)Kultur von Städten in Tirol. Es ist dem Autor dieser Zeilen bewusst, dass eine Anlehnung an die „Stadtstiche“ von Norbert C. Kaser nicht möglich ist. Der Südtiroler Lyriker mag verzeihen, dass die Bezeichnung trotzdem, auch aus stiller Verehrung, übernommen wurde.
Ein in Imst geborener Kollege hat mir mit wenig Hoffnung alles Gute für das Verfassen eines Stadtstiches seiner Heimatstadt gewünscht und auch von anderen Kolleg*innen bekam ich nahezu keine positiven Rückmeldungen, im besten Fall einen Hinweis auf das eine oder andere Gebäude oder den Tipp, in ein Konzert zu gehen. Die Ausgangslage für meinen baukulturellen Bericht von Imst war daher folgendermaßen: wenig Positives, Musikkultur und ein paar Künstler*innen, viel Verkehr, wenig Raumplanung und ein paar architektonische Perlen.
Der Bezirksstadt Imst näher brachte mich das Verlegen meines Lebensmittelpunktes 2014 nach Stams. Ich konnte noch vor dem Abbruch das von Norbert Heltschl geplante Kino und das Gebäude der BTV sehen. Von diesem Bauwerk hatte ich bereits Jahre zuvor von meinem Freund Heinz Peter Jehly1 gehört, der erzählte, dass Heltschl es ganz im Sinne des damaligen Fortschrittsglaubens mit Kunststofffertigteilen plante und das Material als zentralen Bestandteil der zukünftigen Architektur proklamierte.
musikkultur und kunst
Die Musikkultur in Imst ist ein Sonderfall in Tirol. 1984 gründeten einige Imster*innen den ArtClub. Kunstausstellungen, Kabarettabende, Jazz-, Rockkonzerte und Festivals wurden und werden von ihnen organisiert. Es ist unmöglich, alle Künstler*innen zu nennen, die in Imst gastierten, aber Willi Resetarits war öfter anwesend und 1999 die Rolling Stones vor 48.000 Zuschauer*innen. Auch die bildende Kunst ist in den Arbeiten von lokalen Künstler*innen im öffentlichen Raum präsent, wie die Fresken in der Michaelerkapelle2, die Sgrafitti des Landesreisebüros3 oder der Sonnenbrunnen beim Trinkwasserkraftwerk Salvesen4. Vermutlich haben die verstorbenen Künstler August Stimpfl und Elmar Kopp Basisarbeit geleistet, die heute im Museum im Ballhaus, der Galerie Theodor von Hörmann oder in der Imster Kunststraße weiter gepflegt wird.
Dass sich kulturelle Initiativen und die Anwesenheit von kreativen Menschen nicht zwangsläufig auf die Baukultur oder den sensiblen Umgang mit dem Lebensraum auswirken müssen, wird in Imst – leider – auf eindrucksvolle Weise sichtbar.
verkehr
Imst ist eine Autostadt, an manchen Stellen wähnt man sich in den USA. Dies ist nicht nur dem Durchzugsverkehr über den Fernpass geschuldet, sondern auch einer nicht nachvollziehbaren Verkehrsplanung. Die Verkehrssituation bestätigt das Wissen, dass neue Straßen mehr Autos nach sich ziehen. Doppelte Wegeführungen zu einem Punkt in der Stadt machen die Orientierung unübersichtlich und die meisten Maßnahmen dienen vorwiegend dem MIV5. Zwar hätte der ÖPNV5 mit den Busterminals am Bahnhof (Stadtrand) und bei der Post (Stadtmitte) eigentlich gute Voraussetzungen für ein attraktives Öffi-Netz, allerdings erschweren kaum abgestimmte Fahrpläne6 das Fortkommen. Dazu kommt, dass Haltestellen zumeist nicht mit Dach und Beleuchtung ausgestattet sind. Eigentlich wäre auch ein großes Potenzial für eine Fahrradstadt vorhanden, denn die Straßen sind in der Regel so breit, dass Fahrradspuren zusätzlich leicht möglich wären. In Kombination mit einem Grünraumkonzept könnte ein attraktives Wegenetz für Fahrradfahrer*innen entstehen, um den Autoverkehr zu reduzieren und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum zu erhöhen.
Zu Fuß lässt sich die Stadt an manchen Stellen überraschend gut durchqueren. Manchmal sind die Möglichkeiten nicht offensichtlich, aber es ist die „beste“ Möglichkeit, um sich Imst zu nähern. Ein Beispiel7: Von der Oberstadt gelangt man durch Gassen, über Plätze, entlang unzähliger Brunnen, über den Stadtplatz immer weiter Richtung Post – ein Spaziergang, der interessante Architektur vom Mittelalter bis zur Neuzeit bietet. Diese Teile der Stadt sollten behutsam und nachhaltig bearbeitet werden, denn sie besitzen heterogene Gebäude- und Raumstrukturen, mit öffnenden und schließenden Sichtachsen, die Qualitäten aufzeigen. Der Stadtplatz ist aufgrund der Topografie, Orientierung und Proportion grundsätzlich qualitätsvoll. An nachvollziehbaren Stellen schließt ein Wegenetz an den Platz an und ermöglicht kurze Wege in den umliegenden Stadtraum. Durch den Verkehr und (zu) viele Stellplätze an diesem Ort wird der Platz für ein Stadtleben unbrauchbar, da keine Aufenthaltsqualitäten vorhanden und Aktivitäten nahezu unmöglich sind. Ein echter Marktplatz könnte hier aber zum Zentrum von Imst werden.
Es verwundert, dass die Imster*innen diese vorhandene Bausubstanz sowie die genannten Stadtteilqualitäten kaum schätzen und primär entlang der Einkaufsstraße8 aus den 1970er-Jahren „herum gebastelt“ wird, was viele schöne Seiten von Imst außer Acht lässt.
verfehlte raumplanung
Das Gewerbegebiet ist der Höhepunkt von misslungener Raumplanung, denn in den letzten 30 Jahren wurde aus einem Grüngürtel im Süden der Stadt ein autogerechtes Gewerbegebiet ohne Freiraumkonzept9 in der Größe von mehr als 40 ha. Auch die Siedlungen Gunglgrün, Sonnberg und Weinberg wuchsen ohne Verdichtungskonzept weiter, was einer kompakten Urbanisierung von Imst entgegensteht, wenn man bedenkt, dass sich die Einwohner*innenzahl in den letzten 50 Jahren nahezu verdoppelt hat10. Als positives Beispiel im Sinne des ciam11 kann das Sportareal bezeichnet werden. Viele Freizeitaktivitäten (Fußball, Klettern, Eislaufen, Schwimmen etc.) sind kompakt in sonniger Lage gelegen. Eine fußläufige und öffentliche Anbindung fehlt aber auch hier.
einzelne glücksfälle
Oft wird, wenn über gute Architektur in Imst geredet wird, das Ferienhaus von Paul Schmitthenner12 erwähnt. Es steht in einem Lärchen-wald oberhalb von Imst im Weiler Teilwiesen und wurde vom Architekten als „herrschaftlicher Stadl“ bezeichnet. In unmittelbarer Nähe gibt es ein weiteres Ferienhaus, das von Norbert Heltschl – einem Schüler von Schmitthenner – errichtet wurde. Es ist mit einer Selbstverständlichkeit in die Landschaft gesetzt, die z. B. von den Ferienhäusern Josef Lackners13 – bekannt ist. Daneben hat Heltschl auch Wohnhäuser für die Familien Stimpfl und Fink in den 1950er- und 1960er-Jahren geplant, die ganz der Moderne verpflichtet sind. Auch der Sohn der Familie Fink ließ sich ein Haus von einem Architekten – Werner Krismer – planen, das durch eine Ab-folge von räumlichen Qualitäten – beginnend im Stadtraum – besticht und in seinen Blickbeziehungen die baulichen „Sünden“ von Imst auszublenden versteht. Zwei alemannisch inspirierte Holzhäuser seien noch erwähnt, jenes von Madritsch/Pfurtscheller am Sonnberg und das von Martin Tabernig im Stadtteil Palmersbach.
Bei größeren Bauaufgaben weisen zwei Schulen eine besondere architektonische Qualität auf. Das Bundesrealgymnasium Imst14 wurde im Rahmen der Schulbauoffensive der 1970er-Jahre als Modellschule geplant. Trotz des großen Volumens sind nahezu alle Räume natürlich belichtet, auch die Oberflächen sind nach fast 50 Jahren in gutem Zustand. Zwar haben spätere Einbauten das ursprüngliche Konzept und die räumlichen Qualitäten geschwächt, aber nicht grundlegend. Das zweite Beispiel ist die Fachberufsschule für Handel und Büro15 in der Ball-gasse 7 mit einem spannenden städtebaulichen Konzept. Das Gebäude liegt an drei Gassen mit unterschiedlichen Straßenhöhen. Die abfallende Gasse wird nahezu niveaugleich mit demselben Granitpflasterbelag in das Innere gezogen. Öffenbare Fenster machen den Flur zur Gasse und die Klassentüren zu Metaphern von Hauseingängen. Das Haus reagiert mit seinen unterschiedlichen Fassaden und der Farb- und Materialwahl in feinsinniger Art auf den städtischen Kontext.
Abschließend sei die Kirche in Brennbichl16 erwähnt, die ein Gemeinschaftsprojekt der Imster Avantgarde der 1960er-Jahre ist. In Zusammenarbeit mit Stimpfl, Kopp und anderen plante Heltschl den Gottesraum unter einem mächtigen Dach und stellte den skulpturalen Glockenturm frei daneben. Die Kirche bildet mit der gotischen Kirche in der Oberstadt zwei nennenswerte Pole der Baukultur in Imst.
Sicher könnten noch ein paar weitere architektonische Details, Strukturen, Gebäude17 oder urbane Räume in der Stadt gefunden und erwähnt werden. Auch über das Wirken von Norbert Heltschl könnten einige Seiten geschrieben werden. Diese Bemühungen wären vielleicht in Verbindung mit dem Geschriebenen eine mögliche Basis für die Entwicklung einer Baukultur. Eine erste Maßnahme wäre die Installierung eines Gestaltungsbeirates. Dies wäre in Verbindung mit dem Innehalten im Verbrauchen und Versiegeln von Flächen wichtig, um einen Gedankenprozess über die qualitative Veränderung der Architektur in Imst in Gang zu bringen.
1 Architekt Heinz Peter Jehly (1950 – 2022), Mitarbeiter im Büro Heltschl von 1970 – 71
2 Michaelerkapelle, gotischer Bau erbaut 1470/71, südöstlich der Pfarrkirche; zwei Wandgemälde (1956) von den Imster Künstlern Gustav Stimpfl, Herbert Wachter, Elmar Kopp und Andrä Weissenbach
3 Tiroler Landesreisebüro, geplant 1957 – 59 von Anton Hammerl als Teil der landwirtschaftlichen Landeslehranstalt Imst; Sgraffitiarbeiten an der Fassade von Norbert Strolz und Elmar Kopp
4 Sonnenbrunnen errichtet 1991 von Gebhard Schatz
5 MIV: Motorisierter Individualverkehr; ÖPNV: Öffentlicher Personennahverkehr
6 Eine Fahrt von Innsbruck Hauptbahnhof zum Bahnhof Imst-Pitztal ist oft kürzer als die restliche Strecke von dort in das Zentrum von Imst.
7 Der Spaziergang könnte bei der Pfarrkirche beginnen und folgende Straßenzüge hintereinander aufnehmen: Pfarrgasse – Franz-Xaver-Renn- Straße (Südtiroler Siedlung) – Johannesplatz zur Kramer-gasse – die Floriangasse hinunter zum Stadtplatz – rechts durch die Ballgasse zum Eduard-Wallnöfer-Platz und wenn es möglich wäre durch den Klosteranger in die Karl-Lutterotti-Straße Nr. 6 zur Villa Stapf, der heutigen Musikschule.
8 Gemeint ist die Kramergasse, die seit vielen Jahren in falsch interpretierter Nostalgie aus der Bedeutungslosigkeit geholt werden möchte. Unzählige Initiativen dokumentieren das Scheitern und zeigen, dass große Einkaufszentren in kleinen Städten und Orten der eigentlichen Mitte die Menschen und das Leben wegnehmen. Viele Geschäfte stehen leer.
9 Gemeint ist hier das gesamte Gewerbegebiet, wobei das Fachmarktzentrum einen beträchtlichen Teil einnimmt. Im Vergleich dazu hat das DEZ in Innsbruck in etwa 16 ha.
10 1971: 5.888 Einwohner*innen; 2021: 10.882 Einwohner*innen
11 Congrès Internationaux d‘Architecture Moderne (CIAM) war eine 1928 – 59 abgehaltene Serie von Kongressen und Denkwerkstätten von Architekt*innen und Stadtplaner*innen zur Entwicklung der Stadt des 20. Jahrhunderts. Die Trennung der Funktionen war ein erarbeitetes Grundprinzip.
12 Das Ferienhaus wurde 1934/35 von Paul Schmitthenner (1884 – 1972) geplant. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Text von Bruno Reichlin verweisen: „Die Moderne baut in den Bergen“, aus: „Neues Bauen in den Alpen – Architekturpreis 1995“, herausgegeben von Christoph Mayr Fingerle (1951 – 2020), erschienen 1995 bei Birkhäuser
13 Ferienhaus Josef Lackner im Senderstal (1978/79), Berghütte Steindl am Weerberg (1963/64), Ferienhaus Paul Flora in Bruneck (1972 – 74)
14 Das Bundesrealgymnasium Imst wurde 1970 – 1973 nach Plänen von Franz Kiener (geb.1926) und Ferdinand Kitt (1919 – 1973) errichtet.
15 Fachberufsschule für Handel und Büro (1998 – 2001) von Antonius Lanzinger in Zusammenarbeit mit Erwin Frick
16 Kirche zu den Hl. Engeln (1964 – 67, renoviert 2013), geplant von Norbert Heltschl (1919 – 2017). In der Seitenkapelle hängen Lichtwegbilder (1993) der Tiroler Künstlerin Chryseldis Hofer (1948 – 2017).
17 Etwa das Imster Fasnachthaus (2001), geplant von Dietmar Ewerz und Martin Gamper
Text: Werner Burtscher, erschienen in aut: info 3/2022
werner burtscher
geb. 1972 in Bludenz; 1994 – 2004 Architekturstudium an der Universität Innsbruck; 2004 Mitbegründer des Architekturkollektivs columbosnext; seit 2009 eigenes Atelier in Innsbruck, ab 2014 in Stams; seit 2019 Mitglied des Sachverständigenbeirates SOG-Tirol
Eine Spaziergang mit Architekt Werner Burtscher durch die Bezirkshauptstadt Imst.
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