Stadtspaziergang "Quer durch Landeck: Mit Werner Burtscher"
führungEine Führung mit Werner Burtscher und ortsansässigen Architekt*innen durch die an Inn und Sanna liegende Bezirkshauptstadt Landeck.
weiterlesen …Ein aut: feuilleton-Beitrag von Werner Burtscher, erschienen in der aut: info 1/2022
stadtstiche
„Stadtstiche“ ist ein Arbeitstitel für eine Serie von Texten zur Architektur und (Bau)Kultur von Städten in Tirol. Es ist dem Autor dieser Zeilen bewusst, dass eine Anlehnung an die „Stadtstiche“ von Norbert C. Kaser nicht möglich ist. Der Südtiroler Lyriker mag verzeihen, dass die Bezeichnung trotzdem, auch aus stiller Verehrung, übernommen wurde.
Landeck liegt topografisch spektakulär. Das Stadtgebiet erstreckt sich fast 100 Meter vom Flussbett des Inn und der Sanna über mehrere Terrassen bis zum dicht besiedelten Stadtteil Öd. Die Flurabschnitte von der Enge bei der Thialmühle bis zu der Weite der Perjener Felder zeigen eine räumlich differenzierte Landschaft mit Sonn- und Schattseiten, Fern- und Nahblicken.
Die Qualität der Baukultur scheint nicht Schritt mit den landschaftlichen Besonderheiten zu halten. Die Erstlektüre zur Architektur in Landeck in Friedrich Achleitners Architekturführer1 lässt sogar auf eine architektonische Wüste schließen, wenn auch später Otto Kapfinger2 einige Projekte herausgriff, die eine gewisse Hoffnung für einen Stadtspaziergang machen. Bei einem der genannten Bauwerke knüpft sich eine persönliche Erinnerung an. Die von Thomas Schnizer geplante Fußgängerbrücke (1996 – 97), welche über den Inn von der „Stadtseite“ zum dörflichen Perfuchs führt, wurde 2000 mit einer Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen prämiert – damals von einer denkwürdigen Jury mit Othmar Barth, Max Rieder und dem Bludenzer Heinz Peter Jehly. Dass dieser Preis der einzige ist, der in 25 Jahren vom Land Tirol an ein Projekt in Landeck vergeben wurde, macht den geringen Stellenwert der Architektur in der westlichsten Stadt von Tirol offensichtlich.
Im folgenden, zeitlichen Rückblick sind exemplarisch für die Provinz einige künstlerisch-kulturelle Ansätze beschrieben, welche gute Voraussetzungen gewesen wären, um auch ein zeitgemäßes Verständnis für die Baukultur zu finden. Denn in den 1970er-Jahren war das kulturelle Leben in der Region durchaus intensiv vorhanden. In der Ausstellung und Publikation „Widerstand und Wandel. Die 1970er-Jahre in Tirol“ wird von AlbrechtDornauer3 die alternative Musikszene im Tiroler Oberland hervorgehoben. Darüber hinaus gab es ab dieser Zeit in Landeck die GalerieElefant4. Diese wurde von Monika Lami 1972 gegründet. Es ist bemerkenswert, was sich aus diesem kulturpolitischen Brennpunkt heraus entwickelt hat. Arthur und Georg Salner, Norbert Pümpel, Walter Nagl, Chryseldis Hofer, Franz Pöhacker, um nur einige zu nennen, hatten dort Ausstellungen und belebten die Kleinstadt mitdamals, wie heute, knapp 7.500 Einwohner*innen nachhaltig.
Die Architektur der Galerie entwarf der Landecker Markus Ostertag, der bei Gustav Peichl an der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert hatte. Der Entwurf mit „scarpesken“5 Motiven gab der Kunst einen – in Landeck nicht zu erwartenden – urbanen Rahmen und machte den Ort zu etwas besonderem. Die offenen Türen der Galerie für Schüler*innen, Stadtbenutzer*innen und Künstler*innen setzten die Schwelle zur Kunst bewusst nieder und prägten den Ort bis zum Schluss. Die Tatsache, dass einige Künstler*innen auch in den Schulen bildnerische Erziehung unterrichteten, könnte als Vorläuferkonzept des „bilding“ in Innsbruck verstanden werden.6 Die Galerie Elefant gibt es nicht mehr. Die Kulturszene wird derzeit vom alten Kino7 – von dem man sich mehr Programm und überregionale Präsenz wünschen würde – und vom Schloss Landeck geprägt, in dem das Museum der Stadt untergebracht ist und wo fast jeden Sommer Kunstausstellungen organisiert werden.8
Ich werde im weiteren Text versuchen, mich der Architektur der Stadt zu nähern. Zum einen werde ich städtebauliche Beschreibungen einzelner Stadtteile versuchen und zum anderen einige bedeutende Gebäude erwähnen, die für mich als Orientierungshilfe für eine zukünftige Stadtentwicklung relevant sind.
Beginnen wir im Westen, in Perfuchs. In diesem Stadtteil stehen (noch) einige Häuser topografisch und stadträumlich gut in einem stimmigen Verhältnis zueinander. Prägend sind die in Natursteinmauern gefassten Grundstücke, welche den öffentlichen und privaten Raum maßstäblich teilen und bei denen Bäume als zusätzliche „Raumteiler“ noch vorhanden sind. Die Durchmischung der Nutzungen ist für einen lebendigen Stadtteil vorhanden. Von der Bezirkshauptmannschaft9 beginnend, am Bezirksgericht, Gasthaus Sonne und an Bauernhöfen vorbei bis zur Weggabelung Herzog Friedrich Straße/Burschlweg und weiter, steht eine Anzahl von öffentlichen und denkmalgeschützten Gebäuden. Manche Grundstückewerden aber leider wirtschaftlich so optimiert, dass ihre stadträumliche Maßstäblichkeit, die durch Mauern geprägten, homogenen Straßenräume und Grünraumbestände zerstört werden. Das Einrichten einer Schutzzone nach dem SOG2021 könnte dabei helfen, einen nachhaltigen und qualitativen Ausweg aufzuzeigen.
Von Perfuchs kommend über den Inn gelangt man direkt in die Malserstraße, historisch gesehen die zentrale Durchzugsstraße gegen Süden. Die in der Fußnote 4 beschriebene Bausünde schwächt die Maßstäblichkeit des Straßenzuges punktuell erheblich, im weiteren Verlauf zeigt sich aber eine stimmige städtebauliche Qualität. Seit der Einrichtung einer Begegnungszone ist die Aufenthaltsqualität in dieser Einkaufsstraße erheblich gestiegen. Der motorisierte Verkehr hat zwar (noch) Übergewicht, aber das öffentliche Leben konzentriert sich spürbar zwischen Geschäften, Busterminal, altem Kino, regelmäßig stattfindenden Märkten und Veranstaltungen.
Von der Malserstraße gelangt man gegen Osten über einige, mehr oder weniger schmale Gassen hinauf zum räumlich gut proportionierten Markt(park)platz im Ortsteil Angedair. Unverständlich ist, dass hier Autos die Mitte des Stadtraums besetzen und nicht Bäume, Bänke, Brunnen und damit öffentliches Leben. Dieses würde zu den naheliegenden Musik-10, Volks-11 und Mittelschulen12 perfekt passen und einen Mehrwert schaffen. In Zeiten der aktuellen Klimadebatte wäre es sinnvoll, kühle, öffentliche und konsumfreie Räume zu gestalten und den Menschen den öffentlichen Raum zurückzugeben. Am Marktplatz von Landeck wäre dies gut möglich.
Von dort weiter spazierend Richtung Schloss wird durch das Widum, die Kirche, den Friedhof und das Altersheim13am Fuß des Schlosses eine städtebauliche Engstelle zum weiteren Stadtteil von Angedair gesetzt. Einzelne Gebäude aus unterschiedlichen Jahrhunderten stehen hier in gutproportioniertem Abstand zueinander und vermitteln einen urbanen Charakter. Ein anderes Areal im Osten von Angedair ist gefühlsmäßig durch etwas geprägt, das heute keine Stadtplanung mehr an einer solchen Stelle zulassen würde – ein fast 10 ha großes Kasernenareal. Daneben gruppieren sich mehrere Schichten von unterschiedlichen Wohnbauten wie Einfamilienhäuser, Siedlungsstrukturen aus den 1950er-Jahren und – sehr überraschend – eine Bebauung, die durch ihre Dichte, dem städtebaulichen Konzept und dem Aussehen nach an die Reichenau in Innsbruck erinnert. Die hohe Dichte dieser Wohnanlage hat aber wahrscheinlich auch dazu geführt, dass der Stadtteil Angedair infrastrukturell recht autark zu funktionieren scheint und damit ein hohes Potenzial für eine Änderung des Mobilitätsverhaltens der Bewohner*innen hätte. Es könnte ein qualitätsvoller und klimafreundlicher Stadtteil mit kurzen Wegen und ohne gravierende Steigungen geschaffen werden. Die Folge wäre, dass sich mehr Menschen in „kommunikationsfreundlichem“14 Tempo begegnen könnten und der Stadtraum belebter wäre.
Beginnt man diesen Transformationsprozess weiter zu denken, dann kann man die großen Flächen der Kaserne nicht aussparen. Welches Potenzial könnte geweckt werden, wenn ein Teil dieser exklusiven Fläche den Menschen zur Verfügung stehen würde? Dieses Gedankenexperiment kann man in Landeck an einer weiteren Stelle fortsetzen. Denn eine ähnliche Chance bezüglich Stadtentwicklung hat in Landeck das Areal der Donau-Chemie parallel zu den Gleisen der Arlbergbahn zwischen Bahnhof und Malserstraße, begrenzt durch die beiden Flüsse. Mitten in der Stadt steht eine Fabrik wie sie von Kindern gezeichnet wird, mit Schloten, Hallen, Gebäuden, Silos und Förderbändern. Für einen nicht Ortskundigen stellt sich die Frage – was wird hier produziert, was an einer anderen Stelle nicht produziert werden könnte? Ähnlich wie es in Tirol Textilfabriken, Röhrenwerke etc. in Stadtnähe gab, hat Landeck seit 1901 eine Karbidfabrik auf einem knapp 8 ha großen Gelände in bester Lage, mit derzeit ca. 40 Mitarbeiter*innen.
Dieser Betriebsstandort ist ein Glücksfall für die zukünftige Stadtentwicklung von Landeck, denn es wurde nicht wie in anderen Gemeinden ein DEZ, Cyta oder FMZ gebaut. Langfristig gedacht könnte anstelle der Fabrik ein neuer Stadtteil entstehen, der alle Paradigmen des zeitgemäßen Städtebaues erfüllen sollte. Kurze und vor allem fußläufigeVerbindungen wären zu den Schulen15 (Perjen, Bruggen16, Angedair), der Einkaufszone in der Malserstraße, dem alten Kino, Freibad und Sportplatz in Perjen sowie zum Bahnhof17 möglich. Eine städtebauliche Verbindung mit neuen Qualitäten – vom Naturraum am Inn bis in die aktiven Zonen der Stadt – könnte so entstehen.
Eigentlich wäre das 100-jährige Jubiläum des Stadtrechts ein Anlass, über die weitere Zukunft von Landeck nachzudenken. Vielleicht könnte ein neuer Stadtteil das Geschenk der Politik an die Bevölkerung sein. Denn nach Einschätzung des Textverfassers fehlen in Landeck ca. 2.000 Einwohner*innen, um das ökonomische Überleben sowie das soziale Leben, die Infrastrukturen wie Bildungsangebote nachhaltig zu sichern und die Stadt zu beleben.18
1 Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band 1, Residenz Verlag 1980, S. 321
2 Bauen in Tirol seit 1980 – ein Führer zu 260 sehenswerten Bauten, Anton Pustet Verlag, 2002, S. 1/9 – 1/11
3 Albert Dornauer beschreibt dort, dass Innsbruck in Bezug auf Clubs und Lokale in den 1970ern „die Toteste aller toten Hosen“ war (S. 51ff.) und im weiteren, in welchen Landesteilen sich die Musikszene eher etablieren konnte.
4 Galerie Elefant (1972 – 99). Am ehemaligen Standort der Galerie befindet sich heute eine Tiefgarage, die im städtebaulich größten „Sündenfall“ der Stadt (Citypassage) liegt. Der Beschluss, den Neubau zu errichten, besiegelte das Ende der Galerie.
5 Carlo Scarpa, italienischer Architekt (1906 – 1978)
6 s. www.bilding.at
7 Das „Alte Kino“ (1928) ist ein Gebäude von Hans Illmer (1878 – 1936), das von Barbara Poberschnigg und Michael Fuchs 2009 – 10 erweitert wurde (Umbau). Gemeinsam mit dem Stadtplatz ist es ein Drehpunkt für die belebte Malserstraße.
8 Einige Künstler*innen, die ehemals in der Galerie Elefant ausstellten, wurden danach auch auf Schloss Landeck gezeigt.
9 Der kompakte Neubau von Martin Schranz (2002 – 05) wurde geschickt neben das im Heimatstil errichteten Gebäude (1908/09) gesetzt.
10 Auf Basis eines Studierendenprojekts wurde ein Wettbewerb für den Um- und Ergänzungsbau des Klösterles ausgeschrieben, den Markus Ostertag gewann (2006). Das Durchschreiten der fünf Geschoße erfolgt fließend, mit überraschenden Raumsequenzen und logischen Anbindungen an den Stadtraum auf unterschiedlichen Niveaus.
11 Die Volksschule Angedair von Franz&Sue Architekten wurde nicht auf Basis ihres Siegerprojekts beim Wettbewerb 2014 errichtet, denn das Konzept wurde deutlich reduziert. Sie besticht aber durch viel Raum im Bestand und einen eleganten Zubau (Zugang und Turnsaal) im kleinen Park.
12 Die 1927 – 29 von Clemens Holzmeister (1886 – 1983) errichtete Mittelschule zeichnet sich durch ihre städtebauliche Setzung aus, die mit einem klar definierten, skulptural gestalteten Eingang die öffentliche Funktion am Platz markiert. Die innere Raumabfolge und das schöne Detail- und Materialkonzept verleihen dem Gebäude seinen Charme.
13 Die Architekt*innen Gharakhanzadeh und Sandbichler transformierten 2004 das Altersheim aus den 1960er-Jahren in ein kräftiges, mit dem Umfeld maßstäblich und naturräumlich gut verwobenes Haus.
14 Jan Gehl, dänischer Architekt und Stadtplaner (geb. 1936) spricht in seinem Buch „Leben zwischen Häusern“ (Jovis Verlag 2012) davon, dass die natürliche Geschwindigkeit des Menschen 5 km/h beträgt und damit der/die Fußgänger*in die Hauptprotagonist*innen einer lebendigen Stadt sind bzw. sein sollten.
15 Landeck ist – wie die meisten Bezirksstädte – eine Schulstadt. Zu den beschriebenen Schulen in Angedair kommen noch jene in Perjen und Bruggen hinzu.
16 Im Stadtteil Bruggen steht mit der Kirche und Widum St. Josef (1958 – 63) von Norbert Heltschl (1919 – 2017) ein schönes Beispiel der Kirchenbauoffensive ab den 1950er-Jahren. Das Internat Mariannhill von Norbert Heltschl (1963 – 67) wurde zu Tode saniert und kann nur mehr in alten Fotos in Erinnerung gerufen werden.
17 Der 1883 errichtete Bahnhof Landeck wurde 2004 von Markus Ostertag behutsam renoviert, zeitgemäß erweitert und mit dem Busbahnhof als zukunftsfähige Drehscheibe des ÖPNV entwickelt. Mit dem Bahnhof in St. Anton am Arlberg von Manzl, Ritsch, Sandner (2000) und dem in Langen am Arlberg von Markus Ostertag (2004) ist er sicherlich einer der schönsten Bahnhöfe entlang der Arlbergbahn.
18 Landeck erlebt eine Stagnation der Bewohner*innen. Der Bevölkerungszuwachs seit 1971 beträgt ca. 2 %, was für eine Bezirkshauptstadt im Inntal ungewöhnlich ist. Im Vergleichszeitraum wuchs Schwaz um fast 30 %, Imst sogar um 85 %.
Text: Werner Burtscher, erschienen in aut: info 1/2022
werner burtscher
geb. 1972 in Bludenz; 1994 – 2004 Architekturstudium an der Universität Innsbruck; 2004 Mitbegründer des Architekturkollektivs columbosnext; seit 2009 eigenes Atelier in Innsbruck, ab 2014 in Stams; seit 2019 Mitglied des Sachverständigenbeirates SOG-Tirol
Eine Führung mit Werner Burtscher und ortsansässigen Architekt*innen durch die an Inn und Sanna liegende Bezirkshauptstadt Landeck.
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