thomas moser: öffentliche räume
ein aut: feuilleton, erschienen in aut: info, nr. 1/2011
Waren Sie schon einmal auf der Donauplatte in der Donau City, auf dem Bruno-Kreisky-Platz vor dem Austria Center? Gingen Sie durchs Tech Gate Vienna, flanierten – flankiert von Ares- und Andromeda-Tower – auf dem Donau-City-Boulevard, drei Stockwerke über ihrer KFZ-Ebene?
Sie sollten das unbedingt machen. Der dreidimensionale Megabeweis dafür, dass die Abwesenheit von Kraftfahrzeugen noch keinerlei Lebensqualität erzeugt, dass man investorengetrieben hoch bauen kann und trotzdem nicht Manhattan entsteht, und dass die hochqualitätsvollen Einzelstücke aus Meisterhand kein bisschen gegen die Unwirtlichkeit der öffentlichen Raumlosigkeit ausrichten können. Auch Dominique Perrault wird daran nichts ändern, solange die leibgebundenen Menschlein am Boden nur eines im Sinn haben: schnell weg von hier.
Hier wurde geplant, hier war man visionär und mutig, und es ist schrecklich daneben gegangen. Da tröstet es auch nicht, wenn Stadtrat Rudolf Schicker meint, es sei erst in 10 oder 12 Jahren fertig. Urbanität mit Loch hat Berlin jahrzehntelang vorgelebt, daran kann es nicht liegen.
Seit den 1980er Jahren sind öffentliche Räume in Innsbruck nicht nur Thema für den Tiefbau und die Verkehrsplanung. Bei einem zaghaften „Bevölkerungswettbewerb“ für die Maria-Theresien-Straße prämierte die Jury unter Leitung von Josef Lackner eine Kinderzeichnung mit raumfüllendem Brunnen, einen Mann von der Seite darstellend.
Inzwischen reicht die Pflasterung fast bis zur Triumphpforte und die Straße ist voller Leute und Gastgärten. In dem von der Architekturkritik arg zerzausten Olympischen Dorf wurde 2005 ein zentrumsstiftendes Bauwerk fertig gestellt, das beim internationalen Europan 4 Wettbewerb 1995 siegreich war. Der mitgeplante Vorplatz macht Probleme sichtbar, die architektonisch nicht zu bewältigen sind. Auch nicht gärtnerisch, wie stellvertretend der Rapoldipark allenthalben beweist.
Nach Theater-, Sparkassen- und Europaplatz (Gilmstraße) wird jetzt der größte offene, urbane Raum der Landeshauptstadt, der Eduard-Wallnöfer-Platz, fertig gestellt. Dem größten NS-Bau Innsbrucks, dem Landhaus, bietet ein heiter geformtes Baiser aus Beton Paroli. 2010 gelingt mit der Neugestaltung des „Wiltener Platzls“ die glückliche Rettung eines Kleinods. Manfred Gsottbauer widerlegt für den Einzelfall Bertold Brechts Plansong: „Ja mach nur einen Plan / sei nur ein großes Licht / und mach dann noch ’nen zweiten Plan / geh’n tun sie beide nicht.“
Dass sich schillernde Vitalität im architekturlosen Rahmen entwickeln kann, auf einer staubigen Parkplatzfläche, bedröhnt vom Autobahnlärm der Abfahrtsschnecke Innsbruck-West, beweist, dass es mehr gibt, als die Bedürfnisse des betuchten mitteleuropäischen Innenstadtbesuchers, und dass neue öffentliche Räume machbar sind. Die Aneignung des Marktplatzes als Ort für die Skateboardszene ohne Vereinsbindung zeigt, wie erfrischend ein Raum mit schwach definiertem Nutzungsprofil sein kann. Persönlich ist mir ja das unheroische anarchische Potential der Restfläche sehr sympathisch, aber zur Fortschreibung der historischen Qualität unserer Siedlungen braucht es in der kapitalistischen Demokratie auch den Mut zu neu erfundenen öffentlichen Räumen, Infragestellung der funktionalen Standards und maximale soziale Toleranz und Neugier.
Ohne politischen Willen keine Stadtplanung, ohne Stadtplanung keine neuen Plätze, Parks und Freiflächen. Straßen kommen fast von selbst, aber nicht automatisch inklusive der belebenden Fußgänger. Der PKW in Griffweite der Wohnung ist tödlich fürs Geschäftsleben im umgebenden Straßenraum. Monofunktionales Schlafstadtambiente macht sich breit, wenn die ungeeigneten Parterreflächen mangelbegründet auch noch auf dem Wohnungsmarkt anzubringen sind. In einer fernen spanischen Stadt hat man, als man es sich noch leisten konnte, die Erdgeschosszone 4,5 Meter hoch gebaut und mit Ziegeln zugemauert. Solange, bis die Besiedelung der Wohnquartiere so dicht war, dass sich Geschäfte und Lokale rentierten. Ein radikales Bekenntnis zum Leben im öffentlichen Raum zwischen den Gebäuden.
Sich auf Urbanität in den historischen Stadtkernen zu beschränken und Speckgürtelzonen, wie die freien Flächen in der Höttinger Au, der parzellenbeschränkten Einzelvermarktung zu überlassen, kann auf Dauer nicht gut gehen.
thomas moser
geb. 1954; Architekturstudium an der TU Innsbruck; 1987 – 94 Arbeitsgemeinschaft mit Peter Riepl in Linz; seit 1994 eigenes Büro in Innsbruck; seit 1998 Bürogemeinschaft Moser + Kleon Architekten in Innsbruck; derzeit Vorsitzender der Sektion Architekten in der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Tirol und Vorarlberg
aut: feuilleton
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