werner burtscher: die pixel der stadt
Ein aut: feuilleton, erschienen in der aut: info 1/2021
Unlängst hörte ich ein Gespräch des Vorarlberger Grafikers Stefan Sagmeister mit der wunderbaren Fotografin Elfi Semotan. Der Dialog drehte sich bald um die Schönheit der Dinge und ging sogar soweit, dass der Bregenzer meinte, dass die Funktionalität sekundär sein darf bzw. nicht die Oberhand gewinnen soll, weil die Schönheit uns viel tiefer anspricht.
Dies beschäftigte mich eine Zeit lang, unter anderem auch, weil ich mich zeitgleich mit dem Phänomen des Lichts in der Stadt auseinandersetzte. Ich fragte mich, was uns in der leuchtenden Stadt – am Abend oder in der Nacht – anspricht, ein „wie viel“ an Licht von Infoscreens und Wer-bungen der urbane Raum verträgt. Und geben wir die Schönheit einer Stadt am Abend, in der Nacht, auf, wenn alle Alles machen können? Meine Meinung dazu ist, dass zu viel künstliches Licht unseren öffentlichen Raum überschwemmt, weil die Wahrnehmung davon, trotz einer Reizsteigerung, kontrastarm, wahrscheinlich sogar kontrast(leb)los wird.
Im Herbst 2019 verbrachte ich jeden Freitag Nachmittag in Klausen, Südtirol. In der Altstadt hatten mein Freund Paul Senoner aus Kastelruth und ich eine temporäre Planungswerkstatt für die Bewohner*innen eingerichtet. (1) Die Arbeitstage endeten immer in der Dunkelheit und mit einem Spaziergang zum Bahnhof auf der anderen Seite der Eisack. Auf dem Weg durch die Altstadt zum Bahnhof wird eine besondere Stadtbeleuchtung eingesetzt und damit die spezifische Stadttypographie nachgezeichnet. Die Kandelaber sind in einem Abstand zu einander aufgestellt, der ausreicht, um auf der einen Seite ein schönes Wechselspiel zwischen Hell und Dunkel zu schaffen und andererseits auch in der Nacht einen „sicheren“ Weg durch die Stadt zu gewährleisten. Darüber hinaus sind vor allem die Geschäftsbezeichnungen von Schriftmalern auf die Hauswände gepinselt und die Schaufenster in ihrer Größe fast bescheiden.
Vielleicht kommt dieses Konzept der mittelalterlichen Stadtstruktur von Klausen entgegen. Auf alle Fälle ist es aber eine Haltung, die die Stadtstruktur, das Volumen der Stadt und die Zwischenräume zur Geltung kommen lässt. Denn es bleibt eine Dunkelheit übrig, die der Nacht gerecht wird und darüber hinaus besondere Punkte der Stadt mit Licht herausheben kann. Es bilden sich Kontraste, ein Spiel bzw. ein Rhythmus von Licht und Schatten entsteht. Die gekrümmten Gassen und Wände – denen die Jahrhunderte in gewissem Sinne einen „Bauch“ oder ein „Hohlkreuz“ gegeben haben – bekommen eine erlebbare Dynamik, eine feine Lebendigkeit und schaffen Bedeutung.
Ein anderer, wenn auch nur temporärer Weg mit künstlichem Licht umzugehen, wird in Turin seit über zwanzig Jahren beschritten. Eine Möglichkeit die Stadt pointiert und in einem illuminierten Spannungsfeld zu zeigen, in einer Jahreszeit, in der die Nächte besonders lange sind, ist die Weihnachtsbeleuchtung, die so genannten „luci d‘artisti“. Künstler*innen aus der ganzen Welt tauchen Teile der Stadt in Licht. Jenny Holzer, Mario Merz, Daniel Buren oder Rebecca Horn zum Beispiel brachten und bringen prominente, vergessene oder zerfallende Stadtteile in Stellung oder schaffen Beziehung dieser zueinander, um das große Ganze dieser Stadt für Einheimische wie Tourist*innen gleichermaßen zu stärken.
Unbestritten ist Licht ein taugliches Mittel eine Stadt in der Nacht lebendig erscheinen zu lassen. Es sollte aber gesamtheitlich gedacht als Gestaltungsmittel von Straßen, Stadträumen, Ufermauern und Häusern eingesetzt werden. Einzelinitiativen machen die Vielfalt der Stadt für den/die Betrachter*in zu pixelig – der Blick für das Schöne eines Stadtgebildes wird verwaschen und läuft damit Gefahr in einzelne Schnittsequenzen zu zerfallen.
(1) Planungswerkstatt Klausen September bis Dezember 2019 gemeinsam mit Senoner.Tammerle.Architekten, Kastelruth
Das neue Raumplanungsgesetz von Südtirol verlangt von den Kommunen eine öffentliche Beteiligung, Fragestellung zur Grundlagensammlung der Grenzziehung des Siedlungsraumes.
(Text: Werner Burtscher, erschienen in aut: info 1/2021)