was war es was wir wissen wollten?
eine erzählung von arno ritter
vortragArno Ritter, geboren 1965 in Wien;
Studium der Publizistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Wien;
Mitarbeit am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien;
1992-94 Sekretär der Österreichischen Gesellschaft für Architektur in Wien;
seit 1995 Leiter des Architekturforum Tirol in Innsbruck
"Die Paradoxie, einen Ausstellungsraum für Architektur zu gründen, liegt darin, daß man Architektur als gebaute Realität nicht ausstellen, sondern nur ''vermittelt'' umschreiben bzw. das dahinter liegende Denk- und ''Srachsystem'' präsentieren kann. Architektur wird gebaut oder erträumt, auf jeden Fall aber wird sie erdacht und konzipiert. Will man also Architektur einer Öffentlichkeit vermitteln, so muß man vor allem das differenzierte System der Entstehungsbedingungen von Bauwerken transparent machen. In diesem Sinne mutiert ein Galerieraum für Architektur letztendlich zu einem Kommunikationsraum, an dem eine sprachliche, Intellektuelle aber auch sinnliche Auseinandersetzung mit architektonischen wie allgemein gestalterischen Themen angeboten wird."
was war es was wir wissen wollten
eine erzählung von arno ritter, gelesen am 2.4.2002 im aft
was war es was wir wissen wollten. mit diesem satz der vielen w’s begann der deutsche philosoph hans blumenberg eine abhandlung über die neuzeit. so trivial diese frage auch klingen mag, so interessant sind die ausführungen von blumenberg, da er fünfhundert jahre geschichte der aufklärung entlang dieses einfachen satzes befragt und durch seine unkonventionellen antworten die spuren vergangener motivation und ihrer folgen freilegt. indem er die geschichte der neuzeit nach ihren intentionen untersucht und diese mit ihren konsequenzen korreliert, richtet er die aufmerksamkeit auf vergessene geschichten des wollens. was mich an dieser frage aber besonders berührt, ist ihre kraft die sie entfaltet, wenn man sie auf die eigene biografie anwendet. in diesem sinne möchte ich heute versuchen, entlang dieses satzes die geschichte des architekturforums und meine biografischen verflechtungen mit dieser zu hinterfragen und subjektiv nachzuerzählen.
denn seit fast einem jahr trage ich den gedanken mit mir herum, mich zu outen, meine überlegungen und gedanken zum forum nicht nur in rahmen von weinseeligen einzelgesprächen an den bekannten tischen des centrals oder neuerdings des solo vino in die runde zu werfen, sondern öffentlich zur diskussion zu stellen. aber immer wieder siegte die faulheit oder die inkonsequenz. und dann kam diese rote couch, jenes fast schon aufdringlich symbolische teil von jasper morrison, das mich zum benutzen reizte. in gewissem sinne strahlt diese ausstellung für mich jene atmosphäre aus, die ich immer als metaphorische zielformulierung für das forum anstrebte, nämlich jene wohnzimmerstimmung aufkommen zu lassen, die mir heute als hintergrund für meine erzählung ideal erscheint. aber zurück zur analyse und zur roten couch. als gelernter wiener sprang mein unbewusstes auf diese metapher an, hemmungen fielen und heraus kam die erste direkte einladung von mir an euch und in folge eure anwesenheit und das darin ausgedrückte, vielleicht auch irritierte vertrauen, für das ich mich hiermit vorab bedanke.
am 1. april 1994, vor fast genau acht jahren, begann mit einem vortrag von friedrich achleitner die öffentliche geschichte des architekturforum tirol. mehr als ein halbes jahr später saß ich, fast genau an dieser stelle, natürlich nicht in einer roten cou8ch, erzählte meine – ich kann mich nicht mehr erinnern – vielleicht etwas geschönte biografie im rahmen eines hearings und ließ mich von euch nach meinen intentionen, konzepten und ansätzen befragen. heraus kam letztendlich ein votum für mich. an dieser stelle möchte ich aber den fluss des erzählens unterbrechen und zum ersten mal die frage von blumenberg wie einen joker etwas abgewandelt einsetzen. was war es was ich damals wissen wollte. um ehrlich zu sein, nicht dieses bekenntnis von euch. ich war auf diese klare entscheidung nicht gefasst, glaubte im vorfeld nicht, dass ich mich mit meiner grünohrigen gegenwart gegenüber dem mitbewerber reinhardt honold, über den ich von wien aus einige erkundigungen eingeholt hatte und dessen qualitäten ich bis heute schätze, durchsetzen könnte. ich reiste an, um einfach zu schauen und um meinen „marktwert“ zu überprüfen. denn eigentlich waren meine pläne damals ganz andere. mit freundin in wien und kurz davor über meinen ersten bezahlten sekretariatsjob bei der österreichischen gesellschaft für architektur, die traumatische krise des damals noch und noch immer unbeendeten studiums zu überwinden, hatte ich das gefühl, die ögfa mit dem damaligen vorstand in konkurrenz zum architekturzentrum wien positionieren zu wollen. und dann diese situation. um es aber kurz zu fassen, es gab für mich vor allem zwei wichtige momente in meiner entscheidung. das erste war ein gespräch mit meinem damaligen adoptivvater friedrich achleitner, der sinngemäß meinte: wennst nach tirol gehst, wirst entweder verbrannt oder du verbrennst da die finger. diese sicher sehr persönlich motivierte – freud schau oba – aussage reizte natürlich meinen adaoptivsohnwiderstandsgeist. das zweite viel wichtigere moment war für mich aber das vertrauen, das mir vom forum als damals noch unklares kollektiv entgegengebracht wurde. man reizte – und ich formuliere jetzt eine unterstellung – mit der emotionalen und teilweise sicher über das unbewusste motivierte entscheidung meinen ergeiz und enthusiasmus. ich muss aber an dieser stelle zugeben, dass ich diese überwältigung im sinne jener einfachen und simplen psychologische mechanik nie bereut habe, aber dazu später.
aber wenn ich schon beim formulieren von unterstellungen bin: meiner meinung nach wurde das forum aus der positiven kraft naiver intentionen gegründet, die vor allem aus dem gefühl von vielen defiziten gespeist wurde. der geist eines kleinen kollektivs erkannte die mängel der standesvertretung, die einseitige konzentriertheit der universität und das politische vakuum in der wahrnehmung von architektur im lande. aus diesen analysierten einzelpartikeln entstand ein widerstandsgeist, der sich konzentriert in der gründung des forums manifestierte. und gerade dieser geist speist für mich jene energie, die das unterfutter für das werden dieses vereins und der darüber hinausgehenden sogenannten szene ausmachen sollte. und dann begann man dieses defizit zu füllen, ab jänner 1995 mit meiner unterstützung. das faszinierende und gleichzeitig auch schwierige für mich am anfang war, dass das forum fast keine geschichte hatte, wir also keinem vorgeprägten bild nacheifern mussten und brauchten. die offenheit der gründungsintention ließ experimente und fehler zu, ausstellungen wurden einfach gemacht und vortragende rotzfrech eingeladen. auch wenn nur sieben besucher den ausführungen von z.b. zwei extra angereisten holländischen architekten folgten, die diaprojektoren klemmten und manche fotos oder pläne an der wand schief hingen, die kollektive energie aus prinzip und das vielleicht übersteigerte selbstvertrauen gingen nie wirklich verloren. das forum machte weiter, weil man ja noch junge war, nicht anders konnte und vor allem es den anderen – wo auch immer sie waren – zeigen wollte. die unperfekten, improvisierten, persönlichen und subjektiven momente prägten, ich hoffe im positiven sinn noch heute, sicher aber zur anfangszeit die tätigkeit. das kind konnte wachsen und sich austoben, den hauch anarchischer gefühle atmen und die natürlichen phasen der reifung durchmachen. mit dieser energie und pragmatischen konsequenz wurde das forum, meiner ansicht nach politisch, nicht deshalb, weil es primär politische ziele verfolgte und diese offensiv formulierte, sondern aus der tatsache heraus, das die subjektive energie des kollektivs spürbar wurde. und dies nicht nur im veranstaltungsmäßigen auftritt, sondern vor allem durch die einzelkämpferische tätigkeit der vielen architektinnen, die ganz unterschiedliche bauwerke gegen manche widerstände realisierten und sich in gewissem sinne als freundschaftlich verbundenes kollektiv verstanden. denn ohne die tatsache, dass qualitätvolle architektur entstand und einfach sichtbar wurde, dass darüber geredet und berichtet werden konnte, dass preise ausgeschrieben und jurien ohne inhaltliche bedenken projekte auszeichnen konnten, ohne diese wichtigen rahmenbedingungen wäre das forum nicht entwicklungsfähig gewesen. die lebendige, vielfältige und qualitativ gute architekturszene in tirol ist meiner meinung nach die basis für die existenz des forums, nicht nur im inhaltlichen, sondern vor allem auch im menschlichen sinn. über diesen umweg kam ein politisches moment ins forum, es kam durch die hintertür, kroch unter dem teppich der institutionellen wie auch individuellen ruhigen und kontinuierlichen arbeit hervor und machte sich platz. dem forum wurde die auslobung und durchführung von preisen übertragen, es versorgte journalisten mit informationen und hinweisen, organisierte exkursionen für nationale wie internationale reisegruppen, wurde also zu einer vermittlungsdrehscheibe im lande. das forum wurde über die verschneidung seiner tätigkeit mit der energie der einzelnen architektinnen, die qualität zu bauen versuchten, zum inbegriff eines kollektiven geistes, zu einer subjektiven persönlichkeit und zu einem sammelbecken heterogener, letztendlich aber homogener zielvorstellungen. diese kraft wurde erstmals sichtbar, als in einer, man kann fast sagen, generalstabsmäßigen aktion, die kammerwahlen von – salopp formuliert – offiziell illegitimen vertretern des forums gewonnen wurden. mit einem mal gab es an gewissen schaltstellen der macht personen, die im weitesten sinne des unausgesprochenen forumgeistes agierten. und man begann eine gewisse arbeitsteilung einzuführen, die kammer übernahm die politischeren, das forum die eher kulturelleren aufgaben. wettbewerbe wurden plötzlich en vogue, sogenannte atp-listen als leitfaden für die objektive auswahl für wettbewerbe veröffentlicht, politische mandatare verbal beackert, regelmäßige treffen mit der stadtplanung eingerichtet oder ganz allgemein auf je individuelle art und weise lobbying für architektur betrieben. das kräftefeld von kammer, zv und forum begann seine energie gegen einen gewissen ungeist der zeit und einer tiroler mentalität zu richten, mit manchmal mehr oder weniger erfolg, konsequenz und transparenz. in gewissem sinne begann man gemeinsam den gleichen stein auszuhöhlen und für ein architekturbewußtsein zu werben. doch was für mich immer irgendwie blieb, war der subjektive touch des forums, die freiheit, jenseits von sogenannten objektiven kriterien agieren zu können. deshalb delegierte manchmal die kammer gewisse entscheidungen an das forum, weil sich die faktische kraft der objektivität nicht mehr verwirklichen ließ und deshalb läutete von zeit zu zeit das telefon, weil jemand auskunft oder subjektiven rat suchte. und hier möchte ich wieder meinen geschätzten blumenberg bemühen und seine bekannte frage noch einmal einbringen: was war es was wir wissen wollten und eine persönliche ergänzung anbringen: was war es was ich vielleicht daraus gemacht habe. damit sind wir auf einer sehr persönlichen und bis zu einem gewissen grad sicher auch schwierigen und heikel zu vermittelnden ebene, die ich aber zu guter letzt ansprechen möchte, nämlich auf der ebene der interpretation und der sicher sehr subjektiv empfundenen intention meiner tätigkeit.
ich glaube sagen zu können, dass das forum an der gefährlichen kippe zur institutionalisierung steht, nicht nur deshalb, weil wir unter umständen, vielleicht, wenn alles gut geht und uns die sterne gewogen sind, nächstes jahr in das adambräu übersiedeln werden, auch nicht weil wir mit astrid schöch und heike dusik personell eine für mich notwendige aber vor allem auf grund ihrer persönlichkeiten wichtige bereicherung erfahren haben und auch nicht weil sich das budget in den letzten jahren erhöht hat, sondern weil sich in letzter zeit im architekturforum fragen nach der strukturellen und inhaltlichen ausrichtung zu konzentrieren beginnen. in gewissem sinne sind wir seit einiger zeit mit dem thema der eigenen geschichte, unterschiedlichen erwartungshaltungen und letztlich mit der notwendigkeit der eigenen professionalisierung konfrontiert. wie reagiert man, wenn die wahrnehmung auf das forum am ort einerseits anspruchsvoller, andererseits banaler geworden ist und man merkt, dass sich in gewissen schichten des zielpublikums die anforderungen und bedürfnisse gewandelt haben, dass veränderte individuelle lebensumstände zeit, geld und arbeit zum wesentlichen faktor der lebensplanung gemacht haben und die freizeit nicht mehr selbstverständlich in ausstellungen, vorträgen oder im engagement für eine sache verbracht wird. oder anders ausgedrückt, wenn sich ein kollektiver geist – was auch immer das bedeutet – durch die konzentration auf den je eigenen individualismus aufzulösen beginnt. so ist für mich spürbar, das eine gewisse generation, die das forum in der aufbauzeit getragen hat, auf grund veränderter lebensumstände nicht mehr die zeit findet, das programm mitzuverfolgen oder zu gestalten. gleichzeitig merke ich auch, dass viele aus der jüngeren architektinnengeneration sehr stark mit dem eigenen überleben beschäftigt sind und zeit und energie in wettbewerbe oder in den aufbau einer bürostruktur stecken. manchmal frage ich mich, ob diese absenzen auch mit der art des programms zu tun haben, das forum also an bedürfnissen vorbei arbeitet. denn wie ist es zu erklären, dass eine unaufwendige wettbewerbsausstellung vor ort innerhalb von zwei wochen mehr besucher anlockt, als eine über ein halbes jahr konzipierte personale von josef lackner oder jabornegg und pálffy. damit möchte ich nicht das totschlagargument der quote bemühen und eine diskussion anzetteln, wonach die qualität eines programms über die besucherfrequenz zu bestimmen wäre, aber manchmal werde ich diesbezüglich denklich. gleichzeitig stellt sich die frage, wie man damit umgeht, wenn die unter dem teppich sukzessive hervorgekrochene macht des politischen vom forum bis zu einem gewissen grad wirksam wird. wenn also die konsequenzen von entscheidungen, die vom forum oder von mir in seinem namen getroffen werden, eine politische, d.h. sogenannte öffentliche wirkung bekommen. realistisch und deshalb ambivalent formuliert würde ich meinen, das forum wird überschätzt und unterschätzt und vielleicht speist sich aus diesen spannungen mein wunsch, diese rote couch erstmals zu nutzen. das forum wird meiner meinung nach überschätzt, weil es für alle möglichen dinge unhinterfragt verantwortlich gemacht wird und unterschätzt, weil es durch seine subjektivität oft mehr erreichen kann, als man glaubt. doch hinter dieser subjektivität lauert ein problem, nämlich bis zu einem gewissen grad meine person. ich musste bemerken, dass einerseits das forum in der öffentlichen wahrnehmung zu einseitig mit meiner person in verbindung gebracht wird, ich mich aber andererseits in den letzten sechseinhalb jahre sicher fast ausschließlich über das forum definiert habe. ich merkte, dass meine persönlichkeit hinter der funktion zu verschwinden begann und erkannte gleichzeitig, dass meine dominanz im forum zu stark wurde und wird. ich fühlte, dass sich – im jargon der couch gesprochen – meine ichidentität sukzessive auflöste und durch die entwicklung des forum gleichzeitig meine person zunehmend politisch wahrgenommen wurde und wird. diesen umstand blendete ich so lange aus, bis mir durch interne diskussionen klar wurde, dass das forum an einer strukturellen wie auch inhaltlichen schnittstelle steht. die phase der anfänglichen naivität ist meiner meinung nach beendet und ich glaube, dass wieder ein kollektives nachdenken über die rolle des forum angesagt ist. um ehrlich zu sein, steckt als intention hinter der einladung zum heutigen abend der wunsch von mir, wieder gemeinsam die frage zu stellen: was ist es was wir wissen wollen.