Boden für Alle. Eigennutz oder Gemeinwohl?
ausstellungEine Ausstellung des Az W Architekturzentrum Wien über den sorglosen und kapitalgetriebenen Umgang mit der kostbaren Ressource Boden.
weiterlesen …Auszüge aus der Publikation „Boden für Alle“
Vertiefende Informationen zur Ausstellung unter Verwendung von Auszügen aus der Publikation „Boden für Alle“, Einleitung von Karoline Mayer und Katharina Ritter
Die Welt mag flach und unendlich erscheinen, aber sie ist und bleibt rund – mit einer begrenzten Oberfläche. Der Boden, den wir für unser Überleben brauchen, ist eine Ressource, die sich nicht erneuert. Es ist erstaunlich, wie oft diese Tatsache wiederholt werden und trotzdem noch „Aha“-Erlebnisse hervorrufen kann. Die Zersiedelung des Landes wird schon seit Jahrzehnten angeprangert und trotzdem wird weiter Bauland gewidmet. Während in Wien beispielsweise die Bevölkerung bis ins Jahr 1988 noch stark zurückging, stehen wir heute vor dem Problem rasch wachsender Städte und sterbender Ortskerne.
Fährt man mit kritischem Blick durch das Land, steigert sich das leise Unbehagen über stetig wachsende Einfamilienhaussiedlungen in offenes Entsetzen über ausufernde Einkaufszentren mit gigantischen Parkplätzen auf der grünen Wiese. In den Städten werden im Zeichen der dringenden Wohnraumschaffung die letzten Brachflächen verbaut, was vielerorts nicht verhindert, dass eine wachsende Zahl an Wohnungssuchenden mit knappen Mitteln einem wachsenden Angebot an Wohnungen im Luxussegment gegenübersteht; Wohnungen, deren Funktion nicht die eines „Heimes“ ist, sondern einer Kapitalanlage, die auch ungenutzt ihren Wert steigert.
unsere wünsche und deren folgen
Wir alle wünschen uns gutes Essen, schöne Dörfer, naturbelassene Umwelt, eine florierende Wirtschaft und belebte Städte. Wir wollen günstig und großzügig wohnen, mobil und unabhängig sein. Die meisten dieser Begehrlichkeiten sind nachvollziehbar und doch bergen diese Wünsche ungeheure Interessenskonflikte. Die Gemeinden brauchen Betriebe und Einwohner*innen, um Einnahmen zu lukrieren; fast jede/r träumt vom Einfamilien- oder Wochenendhaus und will bequem alles mit dem Auto erreichen; viele wollen ihre Ersparnisse sicher und gewinnbringend in Immobilien anlegen; die Wirtschaft will expandieren; Planer*innen wollen planen; Politiker*innen wollen wiedergewählt werden.
Viele profitieren, doch dieser „Profit“ geht einher mit Baulandhortung, Zersiedelung, mit steigenden Bodenpreisen und letztlich steigenden Wohnkosten. Dieser „Profit“ geht einher mit dem Verlust an fruchtbaren Böden durch die fortschreitende Versiegelung und bedroht unsere Ernährungssicherheit. Er zwingt die Landwirtschaft in immer intensivere Anbaumethoden – unterstützt durch chemische Düngung – und übersieht, dass sich durch die Klimaveränderung ganze Landstriche bald nicht mehr als Anbauflächen eignen werden. Dieser „Profit“ macht uns abhängig von internationalen Vertriebssystemen, deren Verletzlichkeit gerade wieder sehr offensichtlich wird. Dieser „Profit“ geht einher mit einer Beschleunigung des Klimawandels. Versiegeltem Boden wird die Fähigkeit genommen, Wasser aufzunehmen und als CO2-Speicher zu fungieren. Dieser „Profit“ geht einher mit dem Verlust an öffentlichen Räumen, an Naturräumen, an konsumfreien Zonen und drängt in den Städten eine wachsende Zahl an Menschen auf immer kleinere Flächen. Soziale Konflikte werden geschürt statt entschärft.
boden, klimaschutz und soziale gerechtigkeit
Der in den Medien oft als „verschandelt“ beschriebene Zustand unseres Landes ist weit mehr als eine ästhetische Frage. Das zeigt sich weltweit. In Berlin gingen 2019 angesichts explodierender Wohnungspreise Zehntausende Mieter*innen auf die Straße und forderten die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne wie die der „Deutsche Wohnen SE“. Erinnerungen an die weltweite Occupy-Bewegung und die Proteste der Indignados („Die Empörten“) in Spanien, die sich gegen den politischen Umgang mit den Auswirkungen der Finanzkrise 2007/08 richteten, werden wach. Zuletzt schärften Greta Thunberg mit der „Fridays for Future“-Bewegung und die „Extinction Rebellions“ das Bewusstsein für den Klimanotstand und verdeutlichten vielen die Notwendigkeit für Klimaschutz, die bisher noch selbstverständlich auf ihr Recht auf Konsum und Wachstum gepocht hatten.
All diesen Bewegungen ist gemein, dass sie auch für eine gerechte Verteilung von Boden kämpfen. Und angesichts der Tatsache, dass sich Green-New-Deal-Konzepte mittlerweile etwa im Programm der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wiederfinden, scheint die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels langsam breitenwirksam. Die Zeit ist also reif für einen tiefergehenden Diskurs über Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. Und beide Anliegen erfordern ein anderes Verständnis der Ressource Boden. Hier setzt die Ausstellung „Boden für Alle“ an.
zum aufbau der ausstellung
Anschaulich und konkret, kritisch und manchmal auch unfreiwillig absurd erläutert „Boden für Alle“ die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Hintergründe. Wie wird Grünland zu Bauland? Wieso steigt der Preis für Grund und Boden? Was hat das alles mit unseren Lebensträumen zu tun? Fallstudien und Begriffserklärungen bringen Licht in das Dickicht der Zuständigkeiten, Ländervergleiche veranschaulichen Stärken und Schwächen, internationale Best-Practice-Beispiele zeigen Alternativen.
Ausgehend von der harten Realität des Flächenverbrauchs in Österreich wird zu allererst die Frage „Was ist Boden?“ aus unterschiedlichsten Blickwinkeln untersucht. Dabei wird deutlich, wie viele Disziplinen die „Bodenfrage“ neben Raumplanung und Architektur berührt: Ökonomie und Rechtswesen, Landwirtschaft und Boden-kunde sowie ganz zentral Ökologie und Klimaforschung.
In einer umfangreichen Sammlung historischer Ereignisse, Gesetzgebungen und Theorien stellt „Wem gehört der Boden?“ drei Erzählstränge gegenüber: die Geschichte des Grundeigentums in Österreich, die Entstehung und Entwicklung der Raumplanung als Disziplin sowie eine Abfolge bodenreformerischer Ideen von der Antike bis heute.
Anhand comic-hafter Fotostorys wird das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Interessenslagen rund um die viel diskutierten Bautypologien Einfamilienhaus, Einkaufszentrum, Chaletdorf und Wohnturm satirisch dargestellt.
Eine „Instrumentenwand“ wiederum präsentiert sowohl schon lange existierende Instrumente der Raumplanung als auch jüngere Maßnahmen und visionäre Ideen und weist damit Wege zu einer Raumplanung, die die Ressource Boden schont, den Klimawandel abfedert, Bodenspekulation unterbindet und gute Architektur ermöglicht.
In der Beschäftigung mit der „Ware Boden“ wird u. a. erörtert, wann der Boden zur Handelsware wurde, wovon Bodenpreise abhängen oder welche Auswirkungen übermäßig steigende Grundstückspreise auf uns alle haben.
Bei einem Blick über die Grenzen zu europäischen Nachbarn wird in sechs Vergleichen untersucht, wie andere Länder mit ähnlichen Problemen umgehen und welche Denk-anstöße diese für mögliche Optimierungen innerhalb des eigenen Systems liefern könnten. Die Themen reichen vom Schutz des Eigentums in der Verfassung über die Abschöpfung von Widmungsgewinnen Einzelner für die Allgemeinheit bis zum Schutz von landwirtschaftlichem Boden vor Verbauung zum Erhalt der Ernährungssicherheit.
Die Ausstellung kritisiert und mahnt aber nicht nur, sondern zeigt anhand 16 internationaler Best-Practice-Beispiele auch Alternativen auf, die einen anderen Umgang mit Grund und Boden propagieren und in ihrer Gesamtheit als Inspirationsquelle dienen können. Vorgestellt werden etwa Beispiele für die Belebung von Ortskernen oder für Verdichtung im bestehenden Siedlungsraum, für den Erhalt von Bodenqualität in der Landwirtschaft, für den Schutz von Grünflächen vor Versiegelung und für Entsiegelung und Renaturierung nicht mehr genutzter Infrastruktur, aber auch Modelle, die andere ökonomische Wege beschreiten.
was sind die lehren?
Gingen die Ausstellungskuratorinnen Karoline Mayer und Katharina Ritter am Beginn ihrer Recherchen davon aus, dass eine mangelhafte gesetzliche Ausgestaltung der Raumplanung an den Entwicklungen schuld sei, so zeigt sich schlussendlich, dass die rechtliche Lage zwar eindeutig verbesserungswürdig ist, aber im Grunde schon heute – wie auch vor zwanzig Jahren – viele Möglichkeiten bietet und geboten hätte, um andere Wege zu beschreiten.
„Das Problem liegt bei uns allen, die wir unsere Individualinteressen vor Gemeinwohlinteressen stellen. Es liegt bei den Gemeinderät*innen, den Landesregierungsmitgliedern und Bundespolitiker*innen, die kurzfristig denken, ihre Klientel bedienen und wiedergewählt werden wollen. Es liegt in einem Wirtschaftssystem, das einzig und alleine auf Wachstum ausgerichtet ist und die Kosten dafür ungeniert kommenden Generationen aufbürdet. In der Raumplanung setzt sich nur selten Vernunft durch, sondern die stärksten ökonomischen Interessen.
,Boden für Alle‘ kann keine einfache Antwort auf die komplexe Problemstellung bieten, denn es gibt keine Patentlösung. Was wir erreichen wollen, ist Bewusstsein für das Thema zu schaffen, eine Auseinandersetzung anzuregen, aufzuklären und zu provozieren. Es geht darum, Veränderung nicht als Verzicht oder Rückschritt zu sehen, sondern als Konzentration auf das Wesentliche und solidarisches Handeln und weitsichtige Planung als mögliche und gewinnbringende Alternative zu erkennen.“ (Karoline Mayer, Katharina Ritter)
Eine Ausstellung des Az W Architekturzentrum Wien über den sorglosen und kapitalgetriebenen Umgang mit der kostbaren Ressource Boden.
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