ivona jelčić: tunnelblick
Am Fuße des Bergisel trennt derzeit nur eine Flussbiegung die Großbaustelle vom Naturparadies. Bekanntlich entsteht im vorderen Bereich der Sillschlucht das Nordportal des Brenner Basistunnels, das die Verbindung zum Innsbrucker Hauptbahnhof schafft. Vom Bahnhof kommend werden die Züge künftig durch den neuen Silltal-Tunnel und dann auf zwei Eisenbahnüberführungen über den Sillfluss geleitet, bevor sie ins Nordportal im Viller Berg einfahren. Für das Entrée eines einzigartigen innerstädtischen Naherholungsgebiets ist der Bau dieser Zulaufstrecke ein ziemlich massiver Eingriff. Andererseits hat die vordere Sillschlucht vor rund sechzig Jahren auch schon die Errichtung der Brennerautobahn überlebt. Und wenn man weit genug hineingeht, übertönt das Rauschen des Bächleins sogar jenes der Lkw.
Aber zurück zum BBT, der der Transithölle ja den Garaus machen soll, wenn es denn irgendwann auch mit den Zulaufstrecken in Bayern klappt. Die vordere Sillschlucht wird, wenn dort einmal fertig gebaut ist, jedenfalls „ökologisch aufgewertet“ an die unberührte Natur der hinteren Sillschlucht anschließen, heißt es in einer BBT-Broschüre. Und: „Ein Team aus Fachplanern für Ingenieurbau, Flussbau, Tunnelbau und Landschaftsbau sowie Geologen, Geotechnikern und Architekten entwickelten gemeinsam mit dem Planungsteam der BBT SE optimale technische Lösungen für die Infrastruktur sowie entsprechende Gestaltungskonzepte. In einem 10-monatigen Gestaltungsprozess mit der Stadt Innsbruck und dem Innsbrucker Gestaltungsbeirat bekam die vordere Sillschlucht ihr neues Gesicht.“
Man staunt allerdings nicht schlecht, wenn man in dieses „Gesicht“ schaut. Die erwähnten Eisenbahnbrücken, die die Sill zwischen den Portalwänden der Tunnel überspannen, sind als an sich tadellose Fachwerkskonstruktionen in Stahl-Verbundbauweise konzipiert. Allerdings wurde die westliche Brücke aus Brandschutzgründen und um eine getrennte Belüftung der beiden Tunnelröhren zu gewährleisten vollständig eingehaust – oder vielmehr: auf überaus plumpe Art und Weise „eingekastelt“. Wer sich von der hinteren Sillschlucht aus in Richtung des derzeit noch gesperrten nördlichen Ausgangs bewegt, trifft hier nun auf eine recht brachiale Beton-Barriere mit bestenfalls kurios wirkendem Stahlfachwerk-Dekor. Sieht irgendwie so aus, als sei über manche Gestaltungsfragen am Ende doch der Zug drübergefahren.
Text: Ivona Jelčić, aus aut: info 3/24