Boden für Alle. Eigennutz oder Gemeinwohl?
ausstellungEine Ausstellung des Az W Architekturzentrum Wien über den sorglosen und kapitalgetriebenen Umgang mit der kostbaren Ressource Boden.
weiterlesen …Ein aut: feuilleton-Beitrag, erschienen in der aut: info 2/2022
Ein Beitrag des Sachverständigen für örtliche Raumordnung beim Amt der Tiroler Landesregierung, basierend auf dem Bericht über Widmungsbilanz und Bodenverbrauch, der alle zwei Jahre dem Tiroler Landtag vorgelegt wird.
Die Zunahme der für Gebäude und Infrastrukturzwecke genutzten Flächen hat in den vergangenen Jahren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen. Im Kontext der Klima- und der Biodiversitätskrise tritt der Bodenverbrauch vermehrt in den Medien als dominantes Umweltthema in Erscheinung. Dies führt auch auf politischer Ebene zu Konsequenzen: Beispielhaft sei auf das 2,5-ha-Ziel der österreichischen Bundesregierung1 und auf die EU 2050-Strategie verwiesen, den Nettoverbrauch von Landflächen bis 2050 auf Null zu reduzieren.2
Im aktuellen Programm der Tiroler Landesregierung hat dies dazu geführt, dass sich die Regierungsparteien im Koalitionsübereinkommen dazu verpflichtet haben, alle zwei Jahre dem Tiroler Landtag einen „Bericht über Widmungsbilanz und Bodenverbrauch“ vorzulegen.
widmungsbilanz
Für den Jahreswechsel 2020/2021 ergibt sich für Tirol ein Gesamtwert von vorwiegend für intensive bauliche Nutzungen gewidmeten Flächen von knapp über 23.000 ha, wovon etwa 3/4 als Bauland definiert ist, während das andere Viertel auf verschiedenste Sonderflächen entfällt, etwas über 800 ha hiervon (ca. 15 % der Sonderflächen) auf solche für landwirtschaftliche Zwecke.
Bezogen auf den Dauersiedlungsraum stellen die vorwiegend für intensive bauliche Nutzungen gewidmeten Flächen einen Anteil von ca. 15 % dar. Je Einwohner*in ergibt sich damit landesweit eine durchschnittliche „Widmungsquote“ von 306 m2, wobei sich regional relativ starke Unterschiede zeigen.
Die jährlichen Zuwächse an Widmungsflächen für vorwiegend intensive bauliche Nutzungen (Bauland und Sonderflächen) betrugen in den letzten zehn Jahren zwischen 48 ha und 340 ha pro Jahr. Erfreulicherweise zeigt sich über diesen Zeitraum eine fallende Tendenz. Aufgrund starker jährlicher Schwankungen handelt es sich hierbei aber nicht um einen sehr kontinuierlichen Trend.
entwicklung der baulandreserven 2005 – 2020
Untersuchungen zum Ausmaß der Baulandreserven können – dies ist der Verfügbarkeit der Daten und unterschiedlicher Methoden geschuldet – nicht mit derselben Präzision durchgeführt werden wie jene zur Widmungsbilanz. Die Zahlen zu den Baulandreserven müssen deshalb im Sinne einer Näherung an die Realität betrachtet werden, sie geben allerdings ein relativ verlässliches Bild von der Größenordnung wieder, in der sich der Baulandüberhang bewegt.
Der über Tirol kumulierte Gesamtstand an Baulandreserven im Ermittlungszyklus 2015 – 2020 beträgt ca. 3.418 ha.3 In Relation zur gesamten Baulandfläche mit Ende 2020 entspricht dies einem Anteil von etwa 21 %. Seit der ersten Erhebung der Baulandreserven (2005 – 2010) hat sich die Gesamtfläche der Reserven um ca. 517,6 ha verringert, das entspricht etwa 13 % des Ausgangswerts.
bodenverbrauch
Nach einer auf Basis von Gebäudeerhebungen, Landnutzungsinformationen der digitalen Katastralmappe und Satellitenbildern durchgeführten Erhebung kann für den Zeitraum 2018 – 2020 ein Gesamtausmaß von ca. 215 – 225 km2 an versiegelten Flächen in Tirol geschätzt werden, wobei hiervon etwa die Hälfte auf Verkehrsflächen entfällt und ein Drittel auf mit Gebäuden überbaute Flächen. Der Rest betrifft sonstige versiegelte Flächen (z. B. Lager- und Manipulationsflächen). Die gesamte versiegelte Fläche Tirols entspricht etwa 1,75 % der Landesfläche, wobei 95 % der versiegelten Flächen innerhalb des Dauersiedlungsraums liegen, wo sie einen Anteil von knapp 14 % ausmachen.
Was die räumliche Verteilung der versiegelten Flächen betrifft, zeigt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen einer höheren Bevölkerungsdichte und einer niederen Versiegelungsquote. Je geringer die Einwohnerdichte und je disperser die Siedlungsstruktur, um so höher die versiegelte Fläche pro Einwohner*in. Die Spreizung der diesbezüglichen Werte auf Ebene der Planungsverbände Tirols (inklusive Innsbruck) reicht von etwas über 100 m2/EW bis über 650 m2/EW.
Obwohl die Gesamtausmaße der Widmungsflächen für vorwiegend intensive bauliche Nutzungen (ca. 232 km2) und der versiegelten wie bebauten Flächen (ca. 220 km2) eine ähnliche Größenordnung aufweisen, zeigt eine räumliche Überlagerung, dass sich diese Flächen zu weniger als 50 % überdecken. Das bedeutet zum einen, dass lediglich etwas weniger als die Hälfte der versiegelten Flächen für vorwiegend intensive bauliche Nutzungen gewidmet sind. Zum anderen sind etwas weniger als die Hälfte der Bauland- und Sonderflächen für vorwiegend intensive bauliche Nutzungen tatsächlich versiegelt oder bebaut.
Ausgehend davon, dass sich jede Art des Bodenverbrauchs auf die Nutzung für Bedürfnisse der volkswirtschaftlichen Akteure zurückführen lässt, besteht die naheliegendste Strategie zur Reduktion des Bodenverbrauchs darin, brach liegende Ressourcen für diese Bedürfnisse zu verwenden. Diesbezüglich ist die Aktivierung von Gebäudeleerständen anzusprechen. Im Wege der Inwertsetzung ungenutzter Gebäude kann jener Teil des Flächenverbrauchs, der ansonsten für die Errichtung von Bauwerken – für Wohnungen oder für betriebliche Nutzungen – erforderlich wäre, eingespart werden.4
Diesbezüglich sind nicht nur die Netto-Gebäudeflächen zu betrachten, sondern auch andere zusätzlich versiegelte Flächen, wie jene für den fließenden und ruhenden Verkehr. Hieraus ergibt sich die Bedeutung der Baulandmobilisierung für das Bodensparen. Bereits gewidmetes Bauland liegt – im Vergleich zu Neuwidmungen – tendenziell in zentraleren Lagen und die bauliche Inwertsetzung führt zu kompakteren Siedlungsstrukturen. Mit der Nutzung bestehender Baulandreserven – gegenüber einer Ausdehnung der Siedlungsräume durch Neuwidmungen an den Rändern – kann insbesondere der Flächenverbrauch für technische Infrastrukturen reduziert werden.
Sowohl Leerstandaktivierung als auch Baulandmobilisierung erfordern politische Weichenstellungen, besonders hohe Effektivität kann in diesem Kontext von fiskalischen Maßnahmen erwartet werden. Vorhandene Bedenken in Bezug auf eine Gewährleistung von Eigentumsgarantien verlieren zusehends an Gewicht, zumal den hinter der Reduktion des Bodenverbrauchs stehenden Klima- und Umweltzielen hohe Priorität für die langfristige Erhaltung der Lebensgrundlagen zuzumessen ist. Darüber hinaus sind die Nutzung bereits bestehender Gebäude bzw. gewidmeter Flächen vergleichsweise gelinde Mittel für die Eindämmung des Bodenverbrauchs. Das Heranziehen brachliegender Ressourcen für Wohnzwecke kann außerdem dazu beitragen, die Wohnungskosten zu reduzieren.
1 Der durchschnittliche Flächenverbrauch pro Tag in Österreich soll bis 2030 auf 2,5 ha reduziert werden (Programm der Bundesregierung 2020 – 2024 „Aus Verantwortung für Österreich“, S. 104)
2 Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Brüssel, 2011; S. 18
3 ohne Innsbruck
4 Als periodische Teilleerstände gilt dies insbesondere auch für Freizeitwohnsitze, auch diesbezüglich erfordert das Ziel einer Reduktion des Bodenverbrauchs eine ausgesprochen restriktive Handhabung.
hermann öggl
geb. 1968 in Hall; Geografie- und Geschichtestudium in Innsbruck; 1996 – 2007 Mitarbeit in verschiedenen Raumplanungsbüros; seit 2007 Sachverständiger für örtliche Raumordnung beim Amt der Tiroler Landesregierung
Eine Ausstellung des Az W Architekturzentrum Wien über den sorglosen und kapitalgetriebenen Umgang mit der kostbaren Ressource Boden.
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