peter mayrhofer: replik
Replik von Peter Mayrhofer zu dem in der vergangenen Ausgabe der aut: info erschienenen Kommentar von Johannes Wiesflecker. erschienen in der aut: info, Nr. 2/2006
weiterlesen …ein aut: feuilleton, erschienen in aut: info, nr. 4/2006
Es stimmt schon dieser Eindruck eines gedankenlosen Common Sense: trotz großer Vielfalt wirkt alles irgendwie konform und regt niemanden mehr auf. Da stimmt etwas nicht. Woher kommt dieser diffuse Schleier einer neuen Orientierungslosigkeit?
In der aut: info 2/06 äußerte Peter Mayrhofer den Verdacht, dass „die Architekten sich jedes konfliktreichen Inhalts entledigen“ und „niemand mehr in Stimmung ist, irgendwo anzuecken“. Das glaube ich zwar nicht, möchte aber gerne diesen Ball aufnehmen und die Debatte über Inhalte der Architektur fortsetzen.
Inhalt und Form lassen sich nicht trennen, darum ist inhaltliche Auseinandersetzung nicht nur eine Frage des architektonischen Konzeptes, sondern auch der Ästhetik. Versteht man Architektur als gebaute Umwelt, dann geht es ums Bauwerk und wie es erlebt wird. Es interessiert nicht, welche Inhalte ein Architekt hat, sondern welche Inhalte die Gebäude vermitteln. Aber: wie werden diese verstanden oder gelesen?
An dieser Stelle muss an die Wirkungsweise der Semiotik erinnert werden. Die Verstehbarkeit von Formen und wie sie interpretiert werden ist nicht vom Gutdünken eines Gestalters abhängig, sondern wird durch Konvention gebildet. Wie allen Gegenständen sind auch den Bauformen Bedeutungen eingeschrieben, die mit ihrem Zweck oder ihrer Funktion nicht unbedingt etwas zu tun haben.
Interessanterweise sind durch das Kopieren von Formen diese Konnotationen nicht wiederholbar (Postmoderne); andererseits sind manche Formen nicht mehr verwendbar, weil ihnen eine besondere Bedeutung eingeschrieben ist (Axialität, Satteldach). Aus diesem Dilemma ergibt sich ein gewisser Innovationszwang. Nur die unbeschriebene Form eignet sich als Trägerin von (neuen, eigenen) Inhalten.
Das weiß natürlich auch die Architekturrezeption und stürzt sich mit Gier auf das Neue, eben weil es noch interpretierbar ist. Und weil als Erfolg eines Architekten – noch vor dem Honorar – sein Erscheinen auf den Glanzseiten diverser (Fach-) Zeitschriften gilt, wird aus dem Innovationszwang ein Wettlauf der neuen Einfälle. Wer eine Fassade aus einem, für Fassaden noch nie verwendeten Material baut, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Titelseiten der Gazetten schaffen und die „Kritik“ wird einen sofisticated Kommentar dazu liefern...
Aus der Architekturkritik hat sich durch Popularisierung und mediale Verbreitung ein selbstläufiges System abgelöst, das eigene Kriterien der Beurteilung bildet. Selbstreflexiv braucht dieses System keine Korrelation zu einer Lebenswirklichkeit, wie sie der Architektur immanent ist. Fundamentale Entwurfskriterien bleiben dabei leicht auf der Strecke.
Oft kann aus Grundriss und Schnitt mehr an Raumeindruck herausgelesen werden, als eine Fotografie wiederzugeben vermag. Jeder, der schon einmal in einem ernstzunehmenden Entwurfsprozess war, weiß wie entscheidend es sein kann, wie viel und wohin sich ein Raum öffnet, woher ein Weg kommt und wodurch er geführt wird etc. Manches davon ist gar nicht abbildbar.
Architektur und Architekturkritik standen in einem fachinternen Diskurs immer schon im Wechselspiel, aus dem sich jeweils gültige Qualitätskriterien bildeten. Geradezu auffällig ist, dass in Fachjurien in der Regel keine große Debatte notwendig ist, was als Qualität zu gelten hat. Fallweise dennoch stattfindende Auseinandersetzungen liegen auch in der Natur der Sache, weil der Diskurs ständig in Bewegung ist. Architektur kann man in diesem komplexen Spiel von Übereinkommen als ein eigenständiges System verstehen.
Dieses wird nun von einem genauso eigenständigen medialen System überlagert und dominiert. Das ist, meiner Meinung nach, durchaus unheilvoll: als würden einem beim Versuch, Qualität zu erkennen, die Augen trüb. Die schiere Masse an Publikationen führt zwangsläufig zu einer Unübersichtlichkeit, bei der Substanzielles nicht mehr von inszenierter Belanglosigkeit unterscheidbar ist.
Die Architekten wirken dabei selbst kräftig mit. Neue technische Möglichkeiten nutzend, stürzen sie sich in manischer Form auf die fotorealistische Darstellung des noch nicht Gebauten. Natürlich war das Schaubild neben Plan und Modell immer schon eine Darstellungsmöglichkeit, es blieb aber Abstraktion der Realität. Inzwischen ist weniger wichtig, was dargestellt wird, als dass es echt ausschaut. Dieses Vorgehen wird mit der Begründung gerechtfertigt, nur mehr durch perfekte virtuelle Animation Bauherren von Architektur überzeugen und einem Laienpublikum zugänglich machen zu können. Das schlägt unweigerlich auf die Fachjurien zurück: Ein Siegerprojekt muss durch seine Präsentation einer breiten Öffentlichkeit verständlich sein.
Ich will jetzt aber nicht in das übliche Lamento verfallen, das Bild der Realität sei wichtiger als die Realität selbst, was ja gewissermaßen Tatsache ist. Ich will nur auseinander halten, dass es sich um zwei unterschiedliche und eigenständige Systeme handelt: reale und mediale Architektur.
Es ist auch nichts gegen ein Schielen der Architektur auf mediale Wirksamkeit zu sagen. Aber nicht einzusehen ist, warum ein einigermaßen stabiles Gefüge von Kriterien schwabbelig – oder schlimmer noch – bedeutungslos werden soll.
Einer Sichtweise, die das Vorhandensein der beiden Systeme als Übergangsstadium sieht, bei dem am Schluss das mediale, weil dominante übrig bleibt, kann ich nichts abgewinnen.
Architektur, die den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verliert, wird zynisch.
michael pfleger
geb. 1956 in Schruns (Vlbg); Architekturstudium an der Technischen Fakultät der Universität Innsbruck; 1997 – 2004 Bürogemeinschaft mit Helmut Reitter, Innsbruck; 2005 Gründung des Ateliers „architektur.ps“ gem. mit Maria Schneider; seit 2004 Lehrtätigkeit am Institut für Städtebau und Raumplanung der Universität Innsbruck
bauten und projekte (Auswahl)
1998 Bank- und Wohnhaus Schneeburggasse, Innsbruck; 1999 MPREIS, Zams; 2000 Zu- u. Umbau Bergstation Horbergbahn, Schwendau; 2001 MPREIS und Cantina, Jenbach; 2003 MPREIS, Rum (alle gem. mit Helmut Reitter); seit 2006 Verbandshaus des Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverbandes (gem. mit Maria Schneider und Peter Mayrhofer)
aut: feuilleton
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Replik von Peter Mayrhofer zu dem in der vergangenen Ausgabe der aut: info erschienenen Kommentar von Johannes Wiesflecker. erschienen in der aut: info, Nr. 2/2006
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