johannes wiesflecker: wider die zufriedenheit
Ein persönlicher Kommentar von Johannes Wiesflecker zur derzeitigen Architektursituation in Tirol. erschienen in der aut: info, Nr. 1/2006
weiterlesen …ein aut: feuilleton, erschienen in aut: info, nr. 2/2006
Lieber Johannes Wiesflecker,
du hast ja recht; der „harte Kampf der Bewusstseinsbildung“ (klingt gut) ist geschlagen und hat sich gelohnt für die relativistische Uniformität der Boxen, die zwischen den Bergen und am Hang vor sich hin (mehr oder weniger) grundeln und keine rückständigen Bürgermeister mehr hinter dem Ofen hervorlocken aus Protest gegen die Zerstörung der heiligen Landschaft (Bürgermeisterinnen?). Bis in den letzten Winkel des Landes wird tendenziell alles genehmigt, eben durch diesen gedankenlosen common sense aus den Büros und weil eben niemand mehr in der Stimmung ist, irgendwo anzuecken.
Das war eine formalisierende Phase – wir sind alle dankbar und fühlen uns zu wohl dabei, immer mehr darauf reduziert zu werden, über Inhalte gar nicht mehr nachdenken zu müssen. Ich denke, das könnte es sein, was dieses Gefühl verursacht.
In Einklang damit kommt der Architektur immer mehr jede soziale Funktion abhanden (ich meine nicht Architektur für soziale Zwecke). Für gerade 4 % (ich kenne die letzten statistischen Zahlen nicht) der gebauten Umwelt zeichnen wir verantwortlich – zufrieden kann man mit dieser Leistung nicht sein. Da fehlt doch auch ein Schritt, sich in Richtung der Demokratisierung der Wirksamkeit von Ideen zu engagieren – „After-Work-Hüllen“ für Rechtsanwälte und Chirurgen können im Detail sehr innovativ sein, sind in der Bedeutung für die Allgemeinheit jedoch irrelevant. Und niemandem fällt mehr auf, dass wir (Architekten) uns jedes konfliktreichen Inhaltes entledigen, letztlich um jene Uniformität zu erreichen, die nun bald jedem schon gefällt und keinen mehr aufregt.
Das ist es ja gerade, was dieses Gefühl hinterlässt. Undenkbar, ein inhaltlich nicht konformes Projekt in einem Wettbewerb als Sieger zu sehen (unabhängig vom Engagement der Jury (#1) – es gibt nämlich gar keines. Wir lassen uns mit dem kosmetischen Teil der Aufgabe befassen, feststehende Inhalte mit mehr oder weniger interessanten Hüllungen zu versehen. Bei deinem Lackner-Beispiel (Ursulinen-Schule) wurde noch sehr wohl über Inhalte und Hintergründe des Themas nachgedacht.
Wir nehmen wörtlich ernst, was uns Investoren und Politik als Lösungen anbieten; in der devoten und vorauseilend gehorsamen Kapitulation der Hülle vor dem Inhalt erreichen wir nur, dass wieder ein Teil des Ganzen abhanden kommt – gehört kritische Einstellung wirklich der Vergangenheit an? Vielleicht ist es dieses Gefühl: wir unterstützen diese Tendenz und die „Schönheit“ der Gebäude bleibt leer.
Dass sich gesellschaftliche Bedingungen rasant ändern, gilt als Gemeinplatz, dass sich in unserer Architektur nur die Einhausungen ändern, ist schade – Kapitulation der zeitgenössischen Fassade vor den Änderungen in der Welt. Vielleicht ist es dieses Gefühl?
Niemandem ist es mehr den Versuch wert, das Wohnen als Hauptthema inhaltlich zu hinterfragen – keine Wettbewerbsbearbeitung außerhalb der normativen Bedingungen; es ist niemandem den ernsten Versuch wert, Ideen zu entwickeln (über die 4 % hinaus); es ist niemandem den Versuch wert, städtebauliche oder regionalplanerische Überlegungen anzudenken.
Dazu fehlt uns im Überlebenskampf der Geist und der (die) Erfolgreiche fühlt sich in der breiten Zustimmung bestätigt; ist auch schön, sich zu sonnen im Kreis der Eingeweihten.
Aber ich kann das natürlich auch alles nicht / Frischluft / für den Mut / Tirol ist ... schön und eine Herausforderung.
#1 Die Ablehnung eines Projektes ist natürlich noch nicht Beweis für seine Güte; die Realisierung allerdings auch nicht.
peter mayrhofer
geb. 1957; Studium an der Technischen Fakultät der Universität Innsbruck; seit 1990 Architekturbüro in Innsbruck; diverse Kooperationen
bauten (Auswahl)
1990/1999 Einfamilienhaus und Arztpraxis, Bregenz; 1996 Psychiatrisches Krankenhaus – Stationen für Drogen und Alkohol, Hall i. T., gem. mit Martin Both; 2000 Wohnanlage Höhenstraße, Innsbruck; 2001 Vereinsheim St. Nikolaus, Innsbruck; 2003 Lernzentrum der Medizinischen Universität Innsbruck; 2004 Haus am Meer, Tristinika (GR); 2006 Tiroler Blinden- und Sehbehindertenzentrum, Innsbruck, gem. mit architektur.ps
aut: feuilleton
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Ein persönlicher Kommentar von Johannes Wiesflecker zur derzeitigen Architektursituation in Tirol. erschienen in der aut: info, Nr. 1/2006
weiterlesen …Ein Beitrag von Michael Pfleger, mit dem sich die Debatte über Inhalte der Architektur fortsetzt. erschienen in der aut: info, Nr. 4/2006
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