20 jahre architektur und tirol
ausstellungEin Einblick in die 20-jährige Geschichte des aut. architektur und tirol bzw. des Architekturforum Tirol mit Daten und Fakten, Überraschungen und „Schätzen“.
weiterlesen …manuskript des vortrags von rudolf scholten am 7. november 2014 im aut
Kann die Kunst, was man sich von ihr erwartet? In der Antike hatte sie die Götterwelt zu versöhnen und sie tat es, in der Renaissance dem Papst und den Fürsten zu dienen und sie tat es auch, am Aufbruch zur Moderne diente sie der Neugestaltung der Gesellschaft. Und heute? Den Sponsoren?
Was hat das alles für die Autonomie der Kunst, für ihre Unabhängigkeit bedeutet? Die persönliche Abhängigkeit von einem einzelnen Auftraggeber ist der Abhängigkeit von einem System gewichen. Der Markt und der Staat haben die Fäden in die Hand genommen. Die Marionetten der Kunst sehen über sich nicht einzelne erkennbare Schnüre, die über jede Bewegung entscheiden, sondern einen mit dem freien Auge nicht mehr entwirrbaren Knäuel, der sie fest in der Hand hält.
Erkennbare Feudalherren werden abgelöst von einer scheinbaren Vielfalt, in letzter Konsequenz aber ziemlich konformen Summe mehr oder weniger anonymer Sponsorenentscheidungen.
Das hat zugegeben auch seine Vorteile, weil nicht nur persönliche Machtverhältnisse das Schicksal der Künstler bestimmen. Aber zugleich ist an die Stelle des alten Systems der feudalen Beherrschung ein kaum fassbares Netz getreten, das ohne Zögern und Hemmung bedingungslose Loyalität zu den Gesetzen des Marktes fordert.
Kunst und Wissenschaft gehen in Eifersucht aber auch enger Verwandtschaft verbunden, Hand in Hand oder besser Aug in Aug, den nur scheinbar hoffnungsvollen Weg vom Feudalismus zum selbstgerechten Maßstab einer kurzsichtigen Marktperspektive.
Dieses Geschwisterpaar „Kunst und Wissenschaft“ ist die einzige Instanz, die imstande ist, den verwucherten Urwald unserer Zeitumstände in ein rätselhaftes Labyrinth aufzulösen. Chaotische Unübersichtlichkeit wird in eine Landschaft verwandelt, die nicht vorgibt vorpaketierte Lösungen anzubieten, aber Perspektive und Möglichkeiten zeigt.
Der Staat, der die Aufgabe hätte, den Mankos der Gegenwart entgegenzuwirken und in sachter Korrektur gesamtgesellschaftliche Schieflagen auszubalancieren, beugt sich den kurzatmigen Marktgesetzen.
Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur wird ein Ausnahmestatus von der Generalregel des „Sparens“ zugestanden. Um zum Bild des alles verschlingenden Urwalds zurückzukehren, heißt dies buchstäblich: statt mit Kunst und Wissenschaft die inneren Verflechtungen des scheinbar chaotischen Systems zu überlegen, schlagen wir Schneisen durch das Gehölz und halten diese Kahlschlagpisten für Aufklärung.
Der sofortige Reflex zu glauben, bei uns sei es noch besser als anderswo gilt beileibe nicht, denn „besser als anderswo“ ist noch lange nicht gut.
Der Staat lässt sich ganz schön bitten und ziert sich wie eine Geliebte, der die Künste der Verführung nicht bedingungslos genug erscheinen, doch dabei unterliegt er einem eher peinlichen Rollenmissverständnis. Der Staat sollte sich auf das „Möglich Machen“ konzentrieren, Fehler und Niederlagen in Kauf nehmen und sich sicher sein, dass nur so Außergewöhnliches entstehen kann.
Nicht ein Gnadenakt für Anliegen, die sich nicht selbst zu finanzieren imstande sind, ist notwendig, sondern die Erkenntnis, dass die Verpflichtung zur öffentlichen Finanzierung von Kunst im tiefen Eigensinn der Gesellschaft liegt. Nicht die Künstler sollen den Staat verführen müssen, um an Geld heranzukommen, sondern die Gesellschaft sollte ihren Künstlern die Welt zu Füßen legen. Das ist nicht Träumerei, sondern ein Ziel, an dem wir die Spielregeln zwischen der Gesellschaft, dem Staat, auf der einen und Kunst und Wissenschaft auf der anderen Seite zu messen haben.
Denn sie sind die kostbaren Energiequellen unserer Zeit und nicht Öl und Gas. So wie wir die erkennbare Endlichkeit von Holz und Kohle durch neuere Stoffe wie Öl und Gas ersetzt haben, werden auch diesem Paar Nachkommen bereitgestellt werden. Die Neugierde und Nachdenklichkeit von Kunst und Wissenschaft hingegen ist aber ein buchstäblich archaischer Begleiter von Erfolgen der Menschheitsgeschichte.
Es gab und gibt auch heute in pragmatischer Sicht erfolgreiche Gesellschaften, die keinen Blick für erhellende Wissenschaft und Kunst hatten und sich nicht oder kaum an dieser immerwährenden und großartigen Entdeckungsreise der Menschheit beteiligt haben.
Und so manche künstlerisch mutige Veränderung hat der Gesellschaft, in der sie gelang, nicht zu wirtschaftlichem Ruhm verholfen.
Aber die meisten künstlerischen Geburtsstätten der Menschheit waren auch in den anderen Fragen des Lebens erfolgreich, vom alten Ägypten über die Perser, die Griechen und Römer, bis zu den italienischen Städten, den Niederlanden, England oder dem Amerika der Nachkriegszeit. Dass diese Reihe unvollständig ist, spricht nur für diese Beispiele als besonders augenfällig.
Sie werden mir keinen größeren gemeinsamen Nenner von Erfolgsgeschichten der Menschheit nennen können, als den, dass die Gesellschaften, die die Kapiteln der Kunstgeschichte geschrieben haben und die Meilensteine der wissenschaftlichen Entdeckungen gesetzt haben, auch in wirtschaftlicher und politischer Sicht erfolgreich waren.
Kunst ist also nicht das nette Beiwerk einer Wohlstandsgesellschaft sondern eine Voraussetzung von Wachheit, Aufmerksamkeit und Neugierde – ähnlich dem Rückgrat als Voraussetzung für aufrechten Gang.
Diesen Umstand darf man wissen, sich spekulativ darauf verlassen, darf man sich keinesfalls. Um auf das vorher erwähnte Beispiel der verführten Geliebten zurückzukommen: wenn die im Verführer nicht Liebe, sondern Mitgift als Triebfeder entdeckt, ist die Rache fürchterlich.
Kulturpolitik ist letztlich die begeisterte Parteinahme für das Grundrecht gegen die einschränkenden Launen der öffentlichen Tagesstimmung.
Wie jede zivilisierte Gesellschaft dem Recht auf Leben auch ein Recht auf ökonomische Grundlagen beistellt, gilt das auch für die Kunst.
Sein dürfen ohne wirtschaftlich sein zu können, ist zynisch, so wie das Argument „Natürlich darf man Kunst nicht verbieten, aber muss man sie unbedingt öffentlich finanzieren?“
Außerdem begegnet man in der Debatte zur öffentlichen Kunstfinanzierung noch häufig dem romantisch, menschenunfreundlichen Vorwand, dass eine gewisse Bedürftigkeit die Kreativität fördere.
Die brutale Boulevard-Fassung lautet „nur der hungrige Künstler sei schöpferisch“. Abgesehen davon, dass die meisten Beispiele hierzu bei genauerem Studium der jeweiligen Biographie sich als durchaus finanziell gesicherte Laufbahnen herausstellen, würde ich das Argument einmal probeweise auch auf andere Karrieren anwenden.
Kaufmännische Angestellte, die auf die Möglichkeit verwiesen werden, am Ende des Monats durch Ausfüllen von mehrseitigen Antragsformularen um ein Gehalt ansuchen zu dürfen. Ärzte oder Lehrer, die per Juryentscheidung mitgeteilt bekommen, ob ihre Arbeit konkret als förderwürdig eingestuft wird.
Auch Beamte, die statt sich auf ein fixes Gehalt verlassen zu können, den Hinweis erhalten, sich gegen Vorlage von umfangreichen Unterlagen um ein Stipendium bewerben zu können. Garantie gäbe es dafür natürlich keine. Dafür können sie danach verlässlich mit dem Vorwurf rechnen von der Allgemeinheit durchgefüttert zu werden.
Nicht ohne Selbstbewusstsein ist auch eine Gesellschaft, die gerade in der jüngsten Krise buchstäblich nachhaltig bewiesen hat, ungeheure Vermögen verspielt zu haben, dass die gleiche Gesellschaft Kunst, aber auch Wissenschaft den latenten Vorwurf bereitet, nicht gesichert genug Erfolge hervorzubringen. Weder die Kunst noch die Wissenschaft haben die historischen Katstrophen der menschlichen Zivilisation verhindern können, aber angerichtet haben sie beileibe andere.
Ein intelligenter Staat erkennt die Verpflichtung zur öffentlichen Finanzierung von Kunst an, so wie auch andere Aufgaben als Verpflichtung respektiert werden und nicht nur als Freibrief für Gnadenakte. Nicht Unterstützung ist gefordert, sondern die Anerkenntnis der Notwendigkeit.
Ein intelligenter Staat erkennt aber an, dass es im Interesse einer modernen Gesellschaft liegt, in die Nachdenklichkeit aktiv und bewusst zu investieren.
Dass der Ankauf von Eisenbahnschienen eine Investition ist, die das vieldiskutierte Maastricht Defizit nicht betrifft, Ausgaben für Bildung, Kunst oder Wissenschaft aber schon, ist kein Argument gegen den Ankauf von Schienen, aber gegen derartige Regeln.
Da wird schnell beim Sparen auch die Zukunft miteingespart. Die Zukunft können wir uns gleich sparen, dann kann sie uns auch nichts kosten. Wir wollen keine Schulden hinterlassen, dann können wir gleich bei der Zukunft beginnen und sie soweit kürzen, dass wir kaum mehr etwas hinterlassen. Jeder ist seines Glückes Schmied, dann soll sich die Zukunft auch um sich selbst kümmern, wir haben schon genug mit der selbstangerichteten Vergangenheit zu tun.
Das alte Europa ist schon alt genug. Doch dieses alte Europa ist eben nicht zu alt, um auf seine Zukunft zu bauen; Gerade das Wissen um die lange, menschheitsprägende Vergangenheit sichert den Mut zur Zukunft. Wenn wir diese verraten, beweisen wir zugleich unsere Untreue zum Erbe. Wir brauchen keinen Ruck, keine Agende 2020 oder 30 oder sonst eine, keinen neuen Anlauf oder sonstige Kapriolen, die nur placebohaft Entschlossenheit simulieren.
Wir brauchen eine simple Entscheidung, nämlich ein gezieltes budgetäres Privileg für eine verbesserte Bildung und für eine von Freiheit, Neugierde und Leidenschaft begleitete Wissenschaft und Kunst.
Die Menschheit hat seit je her Innovation und Erfindungslust als Voraussetzung für zukünftiges Glück erkannt. Von den griechischen Philosophen über die großen Entdeckungsreisen bis zur modernen Physik, war immer die Sehnsucht nach Neuem die Antwort auf das Warum unserer Existenz.
Kunst und Wissenschaft sind ein siamesisches Artistenpaar, die als Seiltänzer hoch über dem Boden auf dem Faden der Ariadne die unbekannten Gänge des Labyrinths menschlicher Entdeckungen entlang gehen, sie kommen voran und doch sind sie für immer auf Reisen, weil sich das Zentrums des Labyrinths weiterbewegt und immer neue Wege und Gänge frei gibt.
Das ist nicht die Geschichte eines nie endenden Albtraums, sondern das Perpetuum Mobile menschlicher Entdeckungsfreude.
Dieses wundersame Artistenpaar dient nicht der Umweg-Rentabilität des Fremdenverkehrs auch nicht dem vielzitierten Standortfaktor. Wir schulden auch nichts der gern beteuerten Kulturnation, sondern wir schulden unserer eigenen Zukunft, die Gläubiger sind unsere Kinder.
Und diese Kinder verlangen viel von der Kunst. Sie verlangen Qualität, wollen keine Kapriolen, keine Wortspielerein, die ungenügenden Inhalt verpacken. Sie wollen eine substantielle Auseinandersetzung mit den Phänomenen unserer Zeit, kein geübtes Herunterbeten von Zeitgeistvokabeln, die mit lähmender Routine auf Veränderung spielen. Und diese Kinder wollen vor allem ernst genommen werden. Sie sind nicht unbedingt in den gewohnten Kunstquartieren der Vergangenheit anzutreffen. Gehen wir an die Ränder unserer Städte, die in vielerlei Hinsicht ohnehin ihre Mitte sind. Fordern wir vom Staat und den Sponsoren, was sie schulden. Bekennen wir uns zur Verpflichtung dieser unsicheren Gesellschaft nicht intellektuell verpackte Wellness-Gefühle zu erzeugen, sondern sie mit Kunst an ihrer lähmenden Selbstberuhigung zu hindern.
Von einem Renaissancefürst wird die Geschichte erzählt, dass er von seinem Finanzminister ermahnt wird, in einer für den Staatshaushalt schwierigen Situation nicht noch in die Kunst und Universität zusätzliche Mittel zu geben. Der Fürst antwortet seinem Minister: „Das versteh ich nicht, wenn wir schon verarmt sind, warum sollen wir auch noch verblöden.“
In vielen Fragen heißt Risiko zu vermeiden, sich für einen sicheren Weg zu entscheiden, vielleicht manche Chance zum Erfolg zu versäumen, aber den Fall, vor allem den freien Fall zu vermeiden. In der Kunst hingegen, wo es ständig um das Verlassen von Bekanntem und die Suche nach Unbekanntem geht, heißt ohne Risiko auch ohne Chance zu sein. Wer in der Kunst den Schritt ins Unbekannte scheut, wird immer nur auf der Stelle treten. Vielleicht nett, aber sinnlos. Für die Forschung gilt, dass sie gleichsam von Haus aus dem unbekannten Terrain gewidmet ist.
Manuskript des Vortrag von Rudolf Scholten am 7. November 2014 im aut
Ein Einblick in die 20-jährige Geschichte des aut. architektur und tirol bzw. des Architekturforum Tirol mit Daten und Fakten, Überraschungen und „Schätzen“.
weiterlesen …Aus Anlass des 20-Jahr-Jubiläums lädt das aut Rudolf Scholten zu einem Vortrag ein, in dem er das Verhältnis zwischen Politik und Kunst thematisieren wird.
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