rainer köberl: ein gotischer kachelofen oder ein „schönes hohes haus“
ein "small is beautiful"-beitrag, erschienen in aut: info, nr. 3/2012
Eigentlich rümpfen wir Architekten normalerweise die Nase bei „versetzten“ Originalen, Höfemuseen oder sonstigen Wiederaufbauten. Trotzdem besuche ich solche Orte ganz gern, ist doch dort stets etwas zu entdecken. Außerdem ist z. B. das Aus- und Einbauen von Stuben – meist hölzerne Etuis in steinernen Häusern, zusammengefügt aus demontierbaren Holzverbindungen – durchaus nicht verwerflich.
Fast alle Stuben im Innsbrucker Volkskunstmuseum wurden vor 1914 erworben und ab 1928 im Museum eingebaut. Dabei wurden die Originale teilweise leicht verändert, die Gegebenheiten des alten Klosters berücksichtigt, und auch deshalb etwas größere Fenster eingebaut. Zudem wird vermutet, dass man mit Hilfe dieser Veränderungen mehr Licht in die ausgestellten Stuben bringen wollte, um in diese keine künstliche Beleuchtung einbauen zu müssen.
Diese Eingriffe, die uns heute absurd erscheinen, sind handwerklich perfekt ausgeführt und in keinster Weise spürbar. Sie waren insofern gar nicht so „falsch“, als im Fensterbereich auch in „echten“ Stuben immer wieder Vergrößerungen stattfanden.*
In einer quadratischen Stube, jener aus dem Gerichtshaus in Niederndorf im Pustertal, steht ein gotischer Kachelofen aus dem 16. Jahrhundert, der ursprünglich aus Kufstein stammt. Eine dunkle, steile Stufenpyramide, klar rechteckig, 106 x 144 cm auf weißem Sockel und 144 cm hoch. „Graphitiert“ steht in der Beschreibung und meint wohl die Behandlung der Kacheloberfläche.
Für mich ein „Hohes Haus“: Modern, cool, unheimlich stark – ein Modell 1:33. Auf einem 60 cm hohen, weiß verputzen Sockel, leicht auf- und zurückgesetzt zwei recht exakt quadratische 20 x 20 cm, quasi fugenlos versetzte Kachelreihen mit flachem Relief und extra produzierten Ecksteinen. Darüber sechs Stock unexakte, ca. 19 x 19 cm große Kacheln ohne Eckstücke, „Schüsselkacheln“ mit tiefen runden Höhlen.
Die Rücksprünge sind stockwerksweise unterschiedlich, ebenso die Stockwerksabstände, die durch die angeschrägten Rücksprünge entstehen, aber nicht immer in logischer Abhängigkeit von deren Maßen. Die verschieden breiten, mit gröberem Putz verschlossenen Fugen bilden eine Beziehung zu den einfach seitlich zugeputzten Kacheln an den Ecken jeder zweiten Reihe. Die Abschlussreihe enthält eine schmälere, nur 12 cm breite „Ausnahmekachel“. Der Abschluss des Körpers nach oben ist eine ganz flache gerundete Pyramide, hin zum „Lichtschacht“ in der Mitte.
Wäre es ein Haus, dann würde der Sockel ca. 20 Meter hoch sein, so hoch wie die Häuser in einer „normalen“ Straße. Jede Kachelreihe entspräche zwei Geschoßen – das neue „Hohe Haus“ wäre ca. 66 m hoch.
* apropos Fenstervergrößerung:
Im Zuge unseres „Dämmwahns“ werden Fenster zunehmend kleiner. Hermann Czech hat vor gut fünfzehn Jahren eine kleine Wohnanlage gebaut. Damals musste er – aus Kostengründen – relativ kleine Fenster einplanen. Weiter als bis heute in die Zukunft schauend, sich dessen bewusst, dass im Lauf der Zeit im Fensterbereich immer wieder Änderungen vorgenommen werden, hat Czech im Betonrohbau die Fensteröffnungen größer ausgespart und mit nicht tragendem Ziegelmauerwerk aufs „gewünschte“ Maß verkleinert. So kann man irgendwann – nach einer Weiterentwicklung der Fenstertechnologie – die Fensteröffnungen aufs vorgesehene Betonrohbaumaß vergrößern – und das ohne großen Aufwand!
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 3/12