rainer köberl: im kleinen grenzabstand. überlegungen zur änderung der tiroler bauordnung §6 (3)
ein "small is beautiful"-beitrag, erschienen in aut: info, nr. 5/2013
In diesem Sommer traf ich auf der „Centralterrasse“ zwei geschätzte Kollegen zum Mittagessen. Margarethe Heubacher-Sentobe erzählte von ihrer Tochter, die sich – da die Mieten in Innsbruck zu teuer sind – nun in Schwaz, im ehemaligen „zu Hause“, den hochliegenden Keller durch eine kleine Gartenabgrabung zu einer schönen Wohnung ausgebaut hat. Dieter Tuscher war HTL-Professor, sein Atelier in Innsbruck wollte er schon länger aufgeben, da es zu kostspielig war und außerdem wollte er nicht mehr täglich mit dem Auto pendeln. Aber im eigenen Haus, in einem Dorf nahe Innsbruck, war ursprünglich kein Platz.
Ein Zubau zum westlich gelegenen Garten wäre zwar behördlich denkbar, widerspräche jedoch seiner Meinung nach der inneren Hausstruktur und würde den schönen, aber kleinen Garten zerstören. Ein paar Jahre dachte er über verschiedene Lösungen nach, doch nichts erschien sinnvoll. Bei einem Grillfest einer in der Nähe lebenden albanischen Großfamilie erfuhr er zufällig, dass der Nachbar sich für seine, seit kurzem stark gehbehinderte Mutter einen kostspieligen Treppenlift anbieten hat lassen. In Kenntnis der Tiroler Bauordnung, die (nur) bei gegenseitigem Einverständnis eine Bebauung des vier Meter breiten Mindestabstandes möglich macht, schlug er dem Nachbarn vor, die jeweiligen Raumprobleme gemeinschaftlich zu lösen. An der Ostseite, zwischen dem Haus und einer Mauer an der Grundstücksgrenze, gedeckt mit einem leicht schrägen Dach, nach beiden Schmalseiten voll ins Grüne verglast, mit einem kleinen nicht bis zur Decke reichenden WC-Körper, alles in Weiß, entstand so Dieters wunderschönes Atelier. Ganz ähnlich reagierte er auf der anderen Seite der Mauer, indem er einen Wohnschlafraum mit behindertengerechtem Bad für die Mutter des Nachbarn plante.(1)
In Zeiten, in denen in den Ballungsräumen die Wohnungsmieten ständig steigen, sich die öffentlichen Verkehrsmittel verbessern, viele Menschen aus Kostengründen in die ländlichen Gebiete „ausweichen“ und man überall von Verdichtung spricht, stellt sich die Frage (2), ob der §6 (3) der Tiroler Bauordnung, der im Grenzabstand zwar bauliche Anlagen für „Sachen“ und „Tiere“, also z. B. Autos und Kühe, nicht aber für den Aufenthalt von Menschen wie der lieben Oma erlaubt, derart geändert werden sollte, dass jeder – ohne sich mit dem manchmal auch „schwierigen“ Nachbarn einigen zu müssen – im gesetzlich zulässigen Ausmaß (max. 15 % der Grundstücksfläche, max. die Hälfte der gemeinsamen Grenze) die Mindestabstandsfläche, grob eingeschossig, bebauen und „bewohnen“ darf. Abgesehen von neuen Zubauten ermöglichte dies auch die sinnvolle Umnutzung so mancher ehemaligen Doppelgarage (3), nachdem man auf Grund hoher Treibstoffpreise und im Sinne der Umwelt auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen ist.
(1) Diese Geschichte entspricht nicht in allen Teilen der Wahrheit, Abweichungen davon dienen der Verdeutlichung der Problematik.
(2) Ich habe diesen Änderungsvorschlag zur Tiroler Bauordnung bereits 1999 im Rahmen der Ausstellung „Enzianhaus“ im Architekturforum Tirol präsentiert und mit dem damaligen obersten Beamten der Raumplanung Hofrat Spörr besprochen. Damals wollte man solchen „Wildwuchs“ nur bei „Verordnung durch einen Bebauungsplan“ ermöglichen. Nach wie vor fände ich es sinnvoll, dies den Leuten, eben im Rahmen der bereits existierenden Gesetze (mit der kleinen Änderung), selbst zu überlassen, wie sie mit der jeweils speziellen Situation der „Wohn- und Arbeitswünsche“ umgehen, was ihnen ja bereits bei der Unterbringung von Sachen und Tieren erlaubt ist.
(3) Eine derartige Umnutzung einer Garage verwirklichte Dieter Tuscher 2006 für den Fotografen Klaus Defner in Igls (BTV Bauherrenpreis 2007)
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 5/13