rainer köberl: "sündhaft teurer marmor für alle"
Freiluftfoyer am Birkenberg, Tiroler Volksschauspiele Telfs 2023
Theater passiert entweder an improvisierten oder an zeitlich begrenzten oder an dauerhaft geschaffenen Orten. Für den Theatersommer in der Stadt Haag entwarfen „nonconform“ zusammen mit dem Statiker Reinhard Schneider 2000 eine spektakuläre rote, gewagt sich aufstelzende, regalartige Tribüne, die – in Holz konstruiert – jedes Jahr den Stadtplatz verwandelt und mittlerweile zu einer Ikone geworden ist.
Ganz anders bei den Volksschauspielen Telfs: Seit ihrem Bestehen1 wird fast jedes Jahr ein anderer Spielort gewählt und dieser in zumeist hoher architektonischer Qualität in eine Bühne verwandelt – was auch eine wesentliche Charakteristik dieses Festivals ist.
Für Michael Steinlechner, der schon vor fast 40 Jahren im Innsbrucker Kellertheater, dann ab 1990 in Telfs mit Karl Heinz Steck2 Bühnenbilder auf Berggipfeln, in Steinbrüchen, Industriehallen und Glashäusern oder auf einem romantischen Bauernhausanger realisierte, ist dieser Teil des Architekturschaffens, der durch das schnelle Ent- und kurze Bestehen ganz eigene Möglichkeiten und Potenziale enthält, eine seiner freudigsten und spannendsten Herausforderungen.
Heuer beauftragte Gregor Bloeb, der künstlerische Leiter der Volksschauspiele, Jonathan Raphael Hanny3 damit, am großen, merkwürdig leeren, geschotterten Vorbereich der Mariahilfkapelle – bis vor gar nicht so langer Zeit bestand hier, frei über dem Tal am Fuß der hohen Munde, ein wunderbares Ensemble mit dem einstigen Gutshof der Auftraggeber des barocken Kirchleins – einen Ort des Treffens und des Austauschs als Foyer für das hinter der Kirche stattfindende Theaterstück „Die sieben Todsünden“ zu schaffen.
Am Rande eines „Würstel-Standl-Biers“ erzählte mir Michael Steinlechner von dieser Arbeit und ich hatte sogleich das „leise Gefühl“, dass darüber mein nächster Text entstehen könnte. Vor Ort, an einem heißen Nachmittag, lagen dann diese weißen Marmorblöcke gar nicht so verzaubernd im Schotter. Anderntags jedoch, in der Dämmerung, mit den zarten „Lichtscheinen“ darauf und den Besucher*innen, für die sie ja erdacht wurden, erwachten sie, diese schweigenden Mitspieler, Begleiter und Anreger.
„MENSCHEN ZUSAMMENBRINGEN – DER TISCH ALS ERSTE VERKNÜPFUNG – EINE GESTE DES ANFANGS – EINTRITT IN EINE SPEZIELLE, FÜR GESCHICHTEN ERSCHAFFENE WELT – VORFREUDE, PROSECCO, WEIN, APEROL SPRITZ – SEHEN UND GESEHEN WERDEN … EDLE MATERIALIEN – ABENDGEWÄNDER – LANGE, KURZE ODER SMALLTALKGESPRÄCHE IN GEDÄMPFTEM LICHT … RAUHE UND GLATTE FLÄCHEN – IRREGULÄRE ANORDNUNG DER STEINE … DAS UNVORHERSEHBARE, JEDER STEIN KANN BÜHNE WERDEN, EINER IST JEDOCH DER GRÖSSTE … HOCHMUT, TRÄGHEIT, HABGIER, ZORN, WOLLUST, NEID, VÖLLEREI ... „SÜNDHAFT“ TEURER MARMOR VERKÖRPERT ALLES ... 7 SITZSTEINE UND 13 STEHTISCHE – EIN CHANGIERENDES BILD ZWISCHEN FRIEDHOF UND STEHBAR … GEFUNDENE TISCHE UND BÄNKE IN HOHER QUALITÄT OHNE ANSPRUCH AUF PERFEKTION … NICHTS SPEZIELL FÜR DIE AUFGABE PRODUZIERTES – KEINE MATERIALVERSCHWENDUNG FÜR DIE DAUER VON ZWEI MONATEN … STUNDENLANGES BETRACHTEN ODER FÜHLEN MÖGLICH … DER WEISSE MARMOR IST AN HEISSEN TAGEN KÜHL, AM ABEND HANDWARM“4
So entstand die Idee zu den Marmorblöcken aus Laas, wenngleich nicht ganz so direkt, wie es erscheinen mag. Man dachte nie an weiße „Hussen-Stehtische“, aber durchaus auch an Gebautes. Ein erlebtes Missgeschick war dann Auslöser dafür, nach Laas zu pilgern. Denn auf einer Baustelle färbte das Schalungsöl die marmormehlgefärbten weißen Fertigteile gelblich und Laas war in Erinnerung geblieben. Dort suchte man dann nach Begegnung mit der so großzügigen Frau Patscheider die verschiedenen Blöcke aus, wobei deren unterschiedliche Charaktere auch Einfluss auf die Anordnung am Birkenberg hatten.
Auf der Suche nach dem richtigen Licht kamen ursprünglich die schwebenden Lampions des Loy Krathong Fests in Thailand ins Gedächtnis – das war dann doch zu viel Kindergeburtstag. Fackeln wären zu martialisch und Windlichter zumeist verrust. Weiß man „beim Licht“ nicht mehr weiter, dann hilft – wie so oft – Ernst Mitterndorfer. So auch hier mit der kleinen, mit Batterien betriebenen, den Marmor erhellenden Stehleuchte „Elena“.
1 Die Volksschauspiele Telfs begannen 1981 ursprünglich in Hall mit Franz Kranewitters „Die sieben Todsünden“ und übersiedelten 1982 dauerhaft nach Telfs, nachdem die Aufführung von Felix Mitterers „Stigma“ in Hall auf Grund von Blasphemievorwürfen untersagt, in Telfs jedoch mit offenen Armen begrüßt wurde.
www.volksschauspiele.at
2 Karl Heinz Steck (geb. 1962; Bühnenbildner)
3 Jonathan Raphael Hanny arbeitete dann gemeinsam mit Michael Steinlechner am „Marmorfoyer“. Tatkräftige Unterstützung und wichtiger Diskussionspartner war Walter Prenner.
4 aus dem Konzeptpapier
freiluftfoyer am birkenberg
auftraggeber Tiroler Volksschauspiele Telfs
konzept, entwurf, umsetzung Jonathan Raphael Hanny und Michael Steinlechner, Walter Prenner und Tobias Hartung von Hartungen (technischer Leiter der Volksschauspiele)
dauer der installation Juli und August 2023
mit großzügigster unterstützung durch Sabine Patscheider (Lasa Marmo GmbH), Ernst Mitterndorfer (Lichtfabrik Halotech), Michael Koll (Doka Österreich GmbH)
jonathan raphael hanny
geb. 1987; Architekturstudium in Innsbruck; seit 2011 columbosnext; seit 2015 Ausstellungsaufbau im aut; 2017 – 22 Assistent am studio3 der Universität Innsbruck
michael steinlechner
geb. 1963; Architekturstudium in Innsbruck; 1984 – 97 verschiedene Bühnenbildarbeiten 1995 – 2001 Assistent am Institut für Hochbau der Universität Innsbruck; seit 2006 selbständiger Architekt
walter prenner
geb.1976, Architekturstudium in Innsbruck; seit 2005 selbständig als columbosnext; seit 2005 Assistent am studio3 der Universität Innsbruck
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 3/23