rainer köberl: die unsichtbare brücke
Karl Sporschill: Brücke über den großen Gröben bei Bschlabs
Die Idee, die Brücke für diesen Text auszuwählen, entstand bei einem der „Stiegenhausgespräche“ mit Architekt Robert Rier.
Bschlabs im Tal des Streinbachs ist entweder von Imst über das im Winter gesperrte Hanntennjoch oder vom Lechtal, zwischen den Orten Elmen und Häselgehr, erreichbar. Vom breiten Lechtal nach Bschlabs musste die Hanntennjochstraße an einigen Stellen durch Tunnel vor Lawinen gesichert werden.
Im Bereich des „Großen Gröben“ wurden zwei Varianten untersucht: Ein den Graben ausfahrender Tunnel, in etwa auf der Trasse der alten Straße, oder eine, vor Staublawinen zu schützende, ihn querende Brücke. Die extreme Topografie und geologische Beschaffenheit des Geländes ermöglichten nur eine grobe Kostenschätzung. Die Entscheidung für die Brückenlösung (1) traf dann letztendlich das „Herz“ der Brückenbauabteilung des Landes. (2)
Da sich diese geschlossene Betonrohrbrücke zwischen zwei kurzen Tunnelstücken, dem gekrümmten Straßenverlauf folgend, organisch entwickelt und auf Grund der Gefahren von Staublawinen keinerlei Öffnungen aufweist, ist sie für den Passierenden in keinster Weise spürbar. Erst durch einen Spaziergang, der von einem kleinen Parkplatz (3) vor dem Westportal des Tunnels über den Brückenansatz hinüber zur alten Straße in den Graben führt, wird diese große gespreizte „Skulptur“, ein rätselhaftes Wesen ohne offensichtlich ergründbaren Zweck, erlebbar. Hier herrscht im Sommer – wie verzaubert – eine ungewohnt angenehme Stille, denn das Betonrohr verschluckt den höllischen Lärm der Autos und vor allem der Motorräder, der entlang der Hanntennjochstraße dröhnt.
Die mangelnde Reaktion eines abstrakten Rohrs auf die Landschaft sowie die statisch ungünstige Krümmung der Trasse ließen Sporschill von einer einfachen Rohrbrücke Abstand nehmen. Die spannweitenverkürzenden, schrägen Pfeiler unter stützen seinen Wunsch, dem „Überspannen“, dem „Überspringen“ der Schlucht Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig entsteht damit das gestalterische Problem, Pfeilerstützen mit einem Rohr zu verbinden. Fast wie mit einem schützenden Überwurf, der bogenförmig die schrägen Pfeiler verbindet, wird das Rohr im oberen Bereich verstärkt und die Pfeiler so fast unabhängig vom eigentlichen Rohr eingebunden. Überprüfungen an einem Modell – von einem nebenberuflich tätigen Feuerwehrmann gefertigt – führten in weiterer Folge zu einer wesentlichen Änderung der Unterkante des Mantels zwischen Pfeilereinbindungen und Auflager. Er reicht nun nicht mehr bis an die Fahrbahnunterkante, wodurch er sich einerseits vom Rohr freispielt und andererseits ermöglicht, die Pfeiler den auftretenden Kräften entsprechend auch gestalterisch einzubinden.
Schon nach dem Bau der Fundamente der Pfeiler musste sich eine große deutsche Baufirma durch die Schwierigkeiten der Baustelle im Gebirge geschlagen geben und die Firma Innerebner und Mayr übernahm die weitere Ausführung: Zuerst die Pfeiler, diese provisorisch zurückverankert, dann jene auf diese auflastenden hangseitigen „Fahrbahnplatten“ und danach ein etwas mehr als tunnelhohes fachwerkartiges Gerüst zwischen diesen beiden fertigen „Plattformen“, ermöglichte nun den Bauablauf auf einer Ebene.
Nicht nur, aber auch um Rissbildungen vorzubeugen, ist das Rohr in Querrichtung vorgespannt. Weitgehend wartungsfrei, ermöglicht dies eine gleichmäßige Verwitterung der Betonoberfläche – die Haut des Elefanten, die das Bauwerk immer mehr zu einem Teil der Landschaft werden lässt.
(1) Auftraggeber: Land Tirol, Brückenbauabteilung (erst später wurde diese Abteilung mit der Tunnelbauabteilung zusammengelegt), damals zuständiger Sachbearbeiter Martin Aschaber, Fertigstellung 1989
(2) Orginalton Karl Sporschill
(3) An dieser Stelle wäre ein Hinweis auf dieses Werk der Ingenieurbaukunst wünschenswert.
karl sporschill
geb. 1941 in Feldkirch, Bauingenieurstudium an der TU Wien; 1969 – 76 Mitarbeiter in Ingenieurbüros in Innsbruck, Johannesburg und Kapstadt; 1976 – 2010 eigenes Zivilingenieurbüro in Innsbruck
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 2/17