rainer köberl: eine kleine holzkapelle in der tatra
das karierte notizbuch und eine fuge über das thema der diagonale
Die weiten Wälder um Poprad wurden ausschließlich forstwirtschaftlich genutzt, es gab kaum Wege und keinerlei Infrastruktur. Durch das zufällige Zusammentreffen eines Architekten, eines Pfarrers und einiger VertreterInnen der örtlichen Politik entstand 2011 die Idee, diese Wälder in ein Naherholungsgebiet zu verwandeln. Doch fast wäre das „öffnende“ Pilotprojekt eines Kreuzwegs und einer kleinen Kapelle gescheitert, hätte nicht ein privater Spender 2/3 der Kosten für den Bau übernommen, der ausschließlich durch Spenden finanziert wurde.
Für viele am Land aufgewachsene ArchitektInnen sind Städel mit ihren offenen und sonnigen Ritzen zwischen den Brettern oder Rundhölzern prägende Erinnerungen, die einem bei solchen Aufgaben in den Sinn kommen. Zahlreich sind formale Interpretationen dieser, oft aber werden auch einfache Typologien für kleine Sakralbauten übernommen. Auf dem Hügelgrat in der Tatra, nicht an dessen höchsten Punkt, ist vielleicht aus ähnlichen Erlebnissen etwas ganz „eigenes“ geboren worden.
Es begann wahrscheinlich mit dem, im Prinzip „schneckenförmigen“ Grundriss, dem fließenden Übergang zwischen innen und außen, und den hüllenden Schichten von stehenden Kanthölzern. Und dann gab es das karierte (!) Notizbuch und darin die zentrale Idee, die Kanthölzer nämlich diagonal zu stellen, um der mehrschichtigen und offenen Kantholzwand Transparenz wie Transluzenz zu geben. Der Wunsch, alles aus diesen Holzbalken zu konstruieren und diese durch CNC-gefräste Zapfen zu verbinden, führte dann folgerichtig zu den „Mann an Mann“ gelegten, teilweise verschraubten Boden- und Dachbalken. Jene lagern auf 162 verschieden hohen Stehern und bilden einen fallenden, diagonal verlaufenden First sowie eine sta-tisch steife Struktur gegen die Windkräfte. Manche Fixierung an den 17 blockartigen Einzelfundamenten, die die diagonalen Anordnungen weiterführen und im Randbereich, mit den Stehern korrespondierend, sichtbar werden, waren notwendig. Diese Mischung aus Logik und Intuition, aus Konsequenz und Ausnahme, der fast ornamentalen Stellung der Steher in den verschieden breiten Wandschichten wie deren Zusammenwirken mit Boden und Deckenbalken, macht es zusammen mit den unterschiedlichen Licht- und Wetterstimmungen fast unmöglich, diesen „Holz-Licht-Raum“ in seiner Struktur zu erfassen, woraus dieser Ort seine geheimnisvolle Stimmung erhält.
Abgedeckt und gegen Regen geschützt, wurde dieses hölzerne „Gebinde“ durch einfache, in Abstand montierte transparente Wellfieberglasplatten, einem häufig verwendeten Material in den Dörfern der Slowakei. Samuel Netocny schreibt: „Das leichte Dach verwandelt die große Skulptur in ein kleines Stück Architektur“.
anmerkungen
Die „Kapelle der Auferstehung“ auf einem kleinen Hügel zwischen „hoher“ und „niederer Tatra“, in der Nähe von Poprad gelegen, habe ich im Zuge meiner Jurytätigkeit für den Architekturpreis der slowakischen Zeitschrift ARCH im Herbst 2017 besucht.
Mein damaliger Text zum „Siegerprojekt“:
am ende eines weges, auf einem grat,
ein kleiner ort der andacht.
der wind bläst durch. sonnenstrahlen
dringen durch die ritzen. den regen hört man.
bei jedem wetter völlig anders.
ein einfachster grundriss.
doch: nur schwer zu fassen, nur mit
mühe nachzeichenbar.
rätselhaft. geheimnisvoll.
doch: bis ins kleinste konsequent
und logisch.
unvergleichlich!
samuel netocny
geb. 1986 in Popgrad (SK); Architekturstudium an der TU Brno (CZ), der School of Architecture in Brighton (UK) und der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in Wien, u. a. juri troy architects, BEHF und Riepl & Riepl.
bauten
2010 Kleinwasserkraftwerk 120 kW, Nordslowakei; 2011 – 2017 Kreuzweg und Holzkapelle, Popgrad (SK) – Nominierung Mies van der Rohe Award 2017, EU ARCH Award 2017; 2012 Ortsbetonkreuz, Olomouc (CZ) mit V. Jemelka; 2013 Holzkreuz, Zlamana (SK) mit V. Jemelka
statiker
Ing. Vít Svoboda, Spisská Nová Ves (SK)
„Er war fantastisch!“
ausstellungsempfehlung:
Mit dem Projekt einer Wald-kapelle nimmt der Vatikan erstmals an der Architektur-Biennale in Venedig teil. Internationale ArchitektInnen wie Eduardo Souto de Moura oder Terunobu Fujimori waren eingeladen, zehn Kapellen zu planen, die nun vom 26. Mai bis 25. November 2018 in einem Wald auf der Lagunen-insel San Giorgio Maggiore zu sehen sind.