rainer köberl: eine stadt in den bergen. versuch über die geometrischen zusammenhänge zwischen landschaft und stadtstruktur
ein "small is beautiful"-beitrag, erschienen in aut: info, nr. 4/2016
Dieser Text entstand anlässlich der Neubesetzung des Amtes für Stadtplanung, Stadtentwicklung und Integration der Stadt Innsbruck durch Wolfgang Andexlinger, den ich als Herrn Andechslinger – als direkten Nachkommen der Grafen von Andechs, die Innsbruck gründeten – begrüßen möchte.
Manfred Sandner (1) und ich hatten den Auftrag das „Schlössl“ neben dem Treibhaus (2) aufzumessen, um exakte Pläne zu erstellen. Bauaufnahmen waren damals lukrative und lehrreiche Arbeiten während und kurz nach dem Studium. Diese Arbeit in den gotischen Gewölben führte uns zur Auseinandersetzung mit der heute nur mehr schwer nachvollziehbaren Lage und Orientierung des Gebäudes im Hinterhof der Museumstraße. Weiters führte diese Auseinandersetzung zu völlig subjektiven „Empfindungsbefragungen“, in welchen Straßen oder vor welchen Gebäuden wir denn folgendes Gefühl äußern würden: „Hier stimmt der Bezug zur Nordkette“.
Auslösend für diese „Spaziergänge“ – dieses Wort kommt ja von „spacio“ –, war der Nordflügel der alten Fennerkaserne, den wir in seiner Lage als „nicht stimmig“ zur Nordkette empfanden, als wir uns mit der Ausschreibung für den Wettbe-werb der „SOWI“ auseinandersetzten. (3)
Diese Stadtwanderungen führten dazu, dass ich eine große Landkarte organisierte, auf Aquafixpapier die bestimmenden Gebirgszüge rund um Innsbruck durch das Verbinden markanter Gipfel in Linienstrukturen verwandelte und ähnlich vorgehend, Schwerlinien (4) durch die Täler zog, um diese abstrahierten Gebirgszüge dann in Beziehung zur Stadtstruktur zu setzen.
Merkwürdig ist, dass die Schwerlinie des Wipptals direkt in die nördliche Maria-Theresien-Straße und in die Herzog-Friedrich-Straße „mündet“ und sich vor dem Goldenen Dachl rechtwinkelig mit der Achse zwischen Kellerjoch und Rosskogel kreuzt. Jene Achse, parallel zur Schwerlinie des Inntals, teilt das Tal in 2/5 und 3/5 und liegt genau in der Universitätsstraße.
Vor allem die Rechtwinkligkeit zwischen Herzog-Friedrich-Straße und Universitätsstraße, diese primäre Richtungskreuzung der Stadtstruktur, wird in der Stadt nur mehr schwer als solche empfunden, da die Museumstraße – im 19. Jahrhundert entstanden – eine dominante Verbindung Richtung Osten darstellt. Ihre Orientierung entstand eigentlich durch die Linienführung der Eisenbahn Richtung Süden, die eine weitere Richtungserzeugende in der Stadtstruktur darstellt und parallel zur Sill in Richtung Serles führt.
Wirklich verwunderlich ist, dass sich diese beiden Richtungssysteme – jenes aus den Tälern und jenes aus der Eisenbahntrasse sich entwickelnde – im Herz der Stadt, in der sich aufweitenden Herzog-Friedrich-Straße derart zeigt, dass sich die raumerzeugenden Baublöcke gegeneinander leicht verdrehen und je einem der Richtungssysteme entsprechen.
Weitere „Spaziergänge“ am Stadtplan ließen uns immer wieder entdecken, dass viele alte markante Bauten, selbst außerhalb der engeren Stadtstruktur, im primären Richtungssystem verankert sind. (5)
(1) Architekt in Innsbruck
(2) Gastspieltheater in Innsbruck
(3) Die Lage bzw. Richtung dieses Baukörpers findet sich später im Nordtrakt der SOWI Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck wieder.
(4) Als Schwerlinie eines Tales bezeichne ich die in Längsrichtung verlaufende Mittellinie zwischen zwei talbildenden Gebirgszügen.
(5) Weiters taucht die Winkelhalbierende des primären Richtungssystems im Innverlauf und den daraus entstehenden Stadträumen auf.
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 4/16