rainer köberl: „home-for-all“ – der japanische beitrag zur biennale 2012
ein "small is beautiful"-beitrag, erschienen in aut: info, nr. 1/2013
Unmittelbar nach der Tsunamikatastrophe im März 2011 entstand Toyo Ito’s Vorschlag, in den betroffenen Gebieten sogenannte „Orte des Treffens“ zu installieren, um den Menschen, die ihre Häuser oder Wohnungen verloren hatten, ein entspanntes Zusammensein zu ermöglichen. In gewisser Weise verband Ito mit dieser Aufgabenstellung durchaus eine grundlegende Fragestellung über das Entstehen von Architektur. Denn so elementare Themen wie „warum überhaupt“ oder „für wen“, seien – so Ito – seit der „Moderne“, welche eher die „Originalität“ in den Vordergrund rückte, fast verloren gegangen. Katastrophenzonen ermöglichen oder zwingen gerade dazu, neu darüber nachzudenken, was Architektur eigentlich ist und was sie leisten kann. Das Projekt „Home-for-All“ sollte das Thema des gemeinsamen Zusammenlebens mit der Diskussion über den „Entwurf“ und das „Bauen“ verknüpfen.
Rikuzentakata, eine völlig zerstörte Stadt 750 km nördlich von Tokio, wurde dazu von Ito ausgewählt. Zusammen mit drei jungen ArchitektInnen – Kumiko Inui, Sou Fujimoto, Akihisa Hirata – und Vertretern der dortigen Bevölkerung sollte ein Projekt entstehen, das sich jenseits „individueller“ Lösungen, ganzheitlich im Kollektiv verankert. Nach anfänglich eher erfolglosem, weil „eitlem“ Theoretisieren begaben sich die ArchitektInnen im November 2011 vor Ort und trafen mit Frau Mikiko Sugawara zusammen. Sie hatte bereits mit einigen Leuten begonnen nahe ihrer notdürftigen Behausungen einen Treffpunkt zu installieren, der aus einem Zelt und provisorisch verschraubten, nicht mehr gebrauchten Rettungsgeräten bestand.
Zurück in Tokyo arbeitete man an zahlreichen Modellen, die von den vorgefundenen primitiven Architekturen in Rikuzentakata inspiriert waren, mit Satteldächern und Zelten, aus Ästen und Baumstämmen. Jeder Architekt versuchte an den Varianten des anderen weiterzuarbeiten und man verstrickte sich in endlose Diskussionen. Nichts schien der Aufgabe gerecht zu werden und man besuchte erneut den Ort. In Rikuzentakata empfing Frau Sugawara die ArchitektInnen begeistert mit einem neuen Bauplatz. Nicht mehr in der Nähe der Ansammlungen von Notunterkünften hatte sie eine leichte Anhöhe mit Blick auf das Meer, am Rande der total zerstörten Ebene, als übergeordneten Ort gewählt. Lang blieb diese Kuppe in Sicht, als die ArchitektInnen nach einem Tag mit Tee und Gesprächen um einen Gasofen vor dem neuen Zelt sitzend, zum Abschied winkten. Nach Tokyo zurückgekehrt wurde spürbar, dass sich all die verstreut in Notunterkünften Hausenden gut „dort oben“ treffen könnten. Ebenso klärte sich das Herangehen an den Entwurf, der sich durch den neu gewählten Platz und all die Geschichten langsam tiefer mit der Situation verknüpfte. Für Frau Sugawara war der Aufenthalt im Freien ebenso wichtig wie unterschiedliche Innenräume. Sie erzählte von einer einzigen Zeder, die stehen geblieben war sowie vom großen Zedernwald an der Küste und meinte, das neue Zentrum könne doch mit diesen Zedernstämmen gebaut werden.
Ein Gebäude, das aufrecht steht wie ein Leuchtturm, aus Reihen von aufgestellten Baumstämmen, mit dazwischen gespannten Räumen, Balkonen, Terrassen und Vordächern, entstand nun in den Entwürfen, die den einheimischen Fotografen Hatakeyama an die Floße aus Baumstämmen beim traditionellen „Sternenfest“ der Stadt erinnerten, die mit leuchtenden Turmkonstruktionen bestückt sind – Zedernstämme, Leuchttürme, Vordächer, verschiedene Plätze und die Landschaft. Eines zum andern ergab langsam ein Bild und Frau Sugawara beschrieb die Modellvarianten als wären es ihre eigenen Entwürfe und lud danach zu einem bescheidenen Fest.
Nach langen Detaildiskussionen entschied man sich dazu, dass diese Ansammlung von Ideen in ihrer Unterschiedlichkeit und Dissonanz beibehalten und dieses Spiel von „trial and error“, dieses Improvisieren und Basteln, das Alltägliche in dieser Gegend nach der Katastrophe, kontrolliert spürbar bleiben soll. Ein halbes Jahr nach dem ersten Besuch begann der Bau –neben dem Zelt, der inzwischen entstandenen kleinen Hütte für einen Friseur und einem Container mit Duschen.
„Home-for-All“
Der japanische Beitrag zur Architektur-Biennale 2012 in Venedig „Architecture possible here? Home-for-All“ wurde nicht „unterbelichtet“, sondern eigentlich „falsch belichtet“. Mir selbst ist es beim ersten Besuch ebenso passiert, dass ich in den ca. 200 kleinen Häuslein, teilweise in kompliziertester „Machart“, keinen Beitrag für Häuser der Tsunamiopfer sehen konnte. Ein zweiter Besuch klärte den wirklichen Inhalt des Beitrags. Alle angetroffenen, oft verärgerten Kollegen, sowie das gesamte Feuilleton – außer der Süddeutschen Zeitung – haben den Beitrag falsch verstanden. Die NZZ machte gar aus „Home-for-All“ „Homes for All“, damit der Beitrag zu ihrem falschen Verständnis passte. Gelobt hatte sie trotzdem.
Alle in diesem Text verarbeitete Information stammt aus der im japanischen Pavillon aufgelegten kleinen Broschüre, Wandtexten und Videointerviews.
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 1/13