rainer köberl: um- und zubau basilika ettal
ein "small is beautiful"-beitrag, erschienen in aut: info, nr. 3/2016
Im Studium erfuhren wir von den bekannten Bayrischen Barockkirchen, von „Vierzehnheiligen“ und von der „Wieskirche“. Im Laufe der Zeit hatte man diese Sakralbauten aus der Baukunstvorlesung auch besucht – ich einmal die Wieskirche, an einem „oberhellen“ Wintertag bei frischem Schnee; in besserem Licht kann man sie wohl nicht erleben.
Nie hörten wir von der Ettaler Basilika. Zufällig bin ich vor kurzem dem „Klosterwegweiser“ hinter Garmisch gefolgt und habe an einem Sonntag Vormittag dieses völlig überraschende Raumgefüge während einer Messe erlebt.(1)
Gegründet wurde das Kloster 1330. Es entstand der gotische zwölfeckige Zentralbau mit einer Mittelsäule, die wie ein Baum, ein sternförmig ausstrahlendes Rippengewölbe trug, und an der der Altar stand. Ab 1710 kommt es zu unterschiedlichen Baumaßnahmen im Zuge der Barockisierung. Die ersten an der Fassade sind eigentlich nicht besonders geglückt – sie ziehen sich bis ins 20. Jahrhundert. Im Inneren ist jedoch in mehreren Schritten eine neue, bemerkenswerte und völlig untypische Raumkonfiguration entstanden. Zuerst wurde der kleine östlich angefügte Chorraum abgebrochen und mit einem überkuppelten Zentralraum – eigentlich ein Queroval mit den Achsen von 3/5 bzw. 1/2 des Zentralraumdurchmessers – ergänzt und durch ein hohes „Tor“ mit dem Hauptraum verbunden.
Sicher ein spannender Zeitpunkt – der gotische Raum mit der Mittelsäule und dem Tor zum neuen barocken Chor, der jedoch noch nicht fertig gestaltet war.
Nach ruhiger, durch Geldmangel begründeter Zeit, zerstörte 1744 ein Brand die im Umbau begriffene Kirche. In der Zeit bis 1762 wurde aus dem ursprünglich gotischen Raum mit Mittelsäule ein sehr hoher, durch elf Fenster und eine Mittellaterne belichteter, barocker Kuppelraum. (2)
In heller, gelblich-weißer, leicht bläulicher Atmosphäre(3) steht man nun fast im „Freien“ und blickt durch das hohe Tor auf das „kirchliche Theater“ im und an der Schwelle der etwas dunkleren leicht bräunlichen „Chorwelt“.
(1) Einen Besuch würde ich jedenfalls während einer Messe empfehlen, weil diese „Zwei-Raumkonfiguration“ so wesentlich stärker erlebt werden kann als im leeren Zustand.
(2) Ob das alles genau so „passierte“, kann ich nicht sagen. Die groben Informationen stammen aus dem kleinen Kirchenführer von Laurentius Koch und wurden ohne wissenschaftliche Untersuchung von mir zumindest teilweise interpretiert – weil ich glaube, dadurch das Wesentliche gesagt zu haben.
(3) Das große Deckenfresko stammt von Johann Jakob Zeiler, der in der Reuttener „Tafelmalerschule“ ausgebildet wurde – ja, das gab es damals in Reutte!
Auf die Ähnlichkeit mit dem Doppelkuppelbau des „Johannesbau“, dem ersten Goetheanum Rudolf Steiners, hat mich Manfred Sandner hingewiesen. Sehr entfernt „verwandt“ ist das wunderbare Haus von Konstantin Melnikow in Moskau.
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 3/16