rainer köberl: ein „zu breites“ türblatt zwischen zwei oberlichträumen
verborgenes von manfred sandner
Anlässlich der aut-Vortragsreihe „meins“, die „das Werden“ als Architekt zum Thema hat, erinnerte uns Manfred Sandner an einen Text von Louis Kahn: „Die Quelle dessen, was ein Ding sein will, ist der Anfang der Form. Form umgibt eine Harmonie von Systemen, ein Gefühl für Ordnung und das, was eine Existenz von der anderen unterscheidet. Form hat weder Gestalt noch Dimension. Unterscheidet man zum Beispiel einen Löffel von dem Begriff ‚Löffel‘, dann charakterisiert ,Löffel‘ eine Form, die aus zwei zusammengehörigen Teilen – Griff und Höhlung – besteht; ein Löffel hingegen ist ein spezifischer Entwurf aus Silber oder Holz, ein kleiner oder großer, tiefer oder flacher Gegenstand. Form ist ,was‘. Entwurf ist ,wie‘. Form ist unpersönlich. Entwurf gehört zum Entwerfer.“
Dieser Auszug eines Textes von Louis Kahn ist bekannt. Weniger bekannt und vielleicht kaum zu vermuten, ist der abschließende Satz dieses Textes: „Ich möchte aber mit all dem, was ich gesagt habe, kein Denk- und Arbeitssystem schaffen, das von der Form zum Entwurf führt. Entwürfe können ebenso gut zu einer Form führen. Diese Wechselbeziehung bedeutet für den Architekten eine dauernde Spannung.“ Als teilweise „Umbauende“, oft mit Beschränkungen unterschiedlichster Weise konfrontiert, sind wir Architekten aktuell mit dem letzten Satz fast öfter befasst als mit Kahns bekanntem Statement.
Karl Gostner wollte ursprünglich nur sein Büro aus dem Obergeschoß ins Erdgeschoß des Renaissance-Schlössls verlegen. Eine stimmige Lösung war vorerst nicht möglich, doch entstand die Idee, die erdgeschoßige Säulenhalle durch die Verlegung des Stiegenzutritts von ihrer Verteilerfunktion freizuspielen. Daraus ergab sich die Frage: Was machen wir im Hinterhof, der an die Halle anschließt?
Der Ansitz Angerzell im Hinterhof der Museumstraße war einst im gleichen Besitz wie das ehemalige Modengeschäft Hepperger in der Museumstraße und war durch einen zweigeschoßigen Zwischenbau und einer Stiegenbrücke miteinander funktionell verbunden. Er bestand aus einem kleinen Büro mit verglaster Decke und einem Müllkeller darunter, beides eigentlich nicht sinnvoll nutzbar. Es reifte daher die Idee umzubauen und eine Privatgalerie zu errichten, die bis heute von Karl Gostner als solche bespielt wird.
Die Decke zwischen Müllraum und Büro wurde entfernt, die Glasdecke belassen, die Brücke über den Hinterhof abgebrochen, seine noch offene Seite mit einer neuen Mauer geschlossen und dieser Zwischenraum mit Glas überdeckt. So entstand ein zusammenhängendes Raumgefüge zwischen der strengen, recht dunklen Renaissancesäulenhalle, dem zufällig entstandenen glasgedeckten Hof und dem prismatischen hohen Raum (5,5 m x 3,0 m x 5,5 m) mit Licht von oben – „der leere Raum, der Raum für ein Kunstwerk, der Raum für einen Betrachter“(1). Alles ungefärbt verputzt und mit einem neuen Betonboden versehen.
„Wie verbindet man zwei kleine Oberlichträume, die durch eine Mauer getrennt sind?“ Dies, so scheint mir, war Manfreds größte „architektonische“ Herausforderung, ergab sich doch das Weitere aus dem geschickten und auf minimale Eingriffe beschränkten Umgang mit dem Bestand. Abgesehen von der Öffnungshöhe, die auch zu „finden“ war, liegt der Kunstgriff paradoxerweise in der Wahl der Türblattbreite. Die Maueröffnungsbreite beträgt 120 cm, das Türblatt – aus Schwarzstahl gefertigt – hat eine Breite von 150 cm, seine Angeln – bei 120 cm seitlich auf das Blatt und die innere Ecke des Türstocks geschweißt – teilen das Blatt in eine 120 cm und eine 30 cm breite Fläche. Die kürzere ragt in den Oberlichtraum, die längere in den Hof. Im geschlossenen Zustand schließt die eine ans Schloss, die andere schwenkt hinter die Mauer. Ein fließender Übergang statt einer Trennung ist entstanden. Heute erlebt man die Lösung „als selbstverständlich“. Sie konnte jedoch nur in dieser speziellen Situation entstehen, und ist doch ein „allgemein gültiger“ Beitrag. Ich vermute, dass man diese Lösung nirgendwo sonst finden wird.
(1) Manfred Sandner
manfred sandner
geb. 1957 in Innsbruck; 1978 – 95 Architekturstudium in Innsbruck und Wien; seit 1992 Zusammenarbeit mit Gerhard Manzl und Johann Ritsch; Bauten mit Manzl Ritsch Sandner (Auswahl) 2000 Zielhaus und Zielstadion Alpine Ski WM St. Anton; 2001 Bahnhof St. Anton; 2001 Mehrfamilienhaus Mayr, Innsbruck; 2005 Hotel am Bahnhof, Innsbruck; 2009 Wohn- und Bürohaus Höttinger Au, Innsbruck; Eigene Projekte 1986 Garage „Span“, Innsbruck; 1998 – 2012 Revitalisierung Ansitz Angerzell, Innsbruck; 1997 – 2000 Karls kleiner Raum für Kunst, Innsbruck; 2018 Raum für Tourismusinformation mit Bettina Hanel, Innsbruck
garage „span“, innsbruck
In der Angerzellgasse, gegenüber vom „Treibhaus“, in Manfred Sandners erstem Raum, einer gemauerten Betonsteinellipse mit kreisrundem Oberlicht, verborgen in einer alten Garage, entwirft und schneidert Hermine Span seit gut 30 Jahren ihre Mode.
karls kleiner raum für kunst
In der Angerzellgasse, neben dem „Treibhaus“, im Erdgeschoß des Ansitz Angerzell, organisiert seit fast 20 Jahren Karl Gostner kleine Ausstellungen, u. a. mit Georg Herold, Martin Kippenberger, Christoph Hinterhuber, Addie Wagenknecht, Christine Prantauer, Thomas Palme. Der Raum der „Galerie A4“ kann während der Öffnungszeiten der „Garage Span“ besucht werden.
siehe mode.garagespan.at
tourismusinformation innsbruck
Vor kurzem wurde der Raum der Tourismusinformation am Innsbrucker Burggraben eröffnet. Auch hier war Karl Gostner, nun Obmann des Tourismusverbandes Innsbruck, der Bauherr. Hinter der alten Brecciemauer am Burggraben, in der die ehemals herausgebrochenen Fenster, durch „transluzente“, fast orientalisch anmutende Ornamentsteine verschlossen wurden, verbirgt sich ein neu gestalteter Gewölbesaal.
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 3/18