rainer köberl: der "westernsaloon" tirols
Vom Goldrausch heimgekehrt, dann in Kasern gebaut
Im Mittelalter wurden die Toten des hintersten Zillertals über das Tuxerjoch ins Schmirntal und weiter ins Wipptal zum Friedhof in Mauern1 getragen. Die durch die Besiedelungsgeschichte bedingte intensive Verbindung dieser beiden Täler ließ am Schmirner Talschluss in Kasern beim letzten Hof, dem Steidlhof, eine Art von Raststation, fast eine Herberge entstehen.
Johann Zingerle, der Sohn dieses Hofes, arbeitete jenseits des Jochs im Goldbergwerk in Zell am Ziller, bis es durch den Niedergang des Goldbergbaus und die daraus folgenden Entlassungen zu mehreren Auswanderungswellen nach Amerika kam. Von 1881 bis 1889 war Zingerle in Colorado. Einige Jahre später – über-all hörte man vom Goldrausch – verschlug es ihn 1896 mit einer größeren Gruppe aus Mayrhofen nach Yukon in Alaska. Es wurde wohl wirklich Gold gefunden und so baute Zingerle nach der Heimkehr 1900 in angemessener Entfernung zur elterlichen Gastwirtschaft das Gasthaus Zingerle. In den „Innsbrucker Nachrichten“ wurde durch eine Anzeige am 26. Juni 1903 zur Eröffnung der „neuerbauten Glasveranda“ geladen und St. Jodok als nächste Bahnstation genannt.
Ein amerikanisch anmutender, zweigeschoßiger Holzbau mit recht steilem untypischem Satteldach, oben Zimmer mit Mittelgang und im erhöhten Erdgeschoß vor den Wirtschaftsräumen eine in den holzverschindelten Baukörper sturzlos eingeschobene, fast drei Meter hohe Glasveranda, die außen mit amerikanischen Stoffrollos beschattet werden konnte, die vermutlich in dieser Gegend erst in den 1960er-Jahren verwendet wurden.
Leider wurden bisher keine Pläne gefunden, aber sicher war es kein amerikanischer Architekt. Zingerle wusste scheinbar sehr genau, was er wollte und konnte dies dermaßen klar übermitteln, dass es von einem offensichtlich talentierten Planer umgesetzt werden konnte. Bisher weiß man nur von einem Innsbrucker Baumeister, vermutlich war er der Planer, und einem Zimmermann aus dem Nachbartal. Nach dem frühen Tod von Johannes Zingerle 1912, wurde das Gasthaus von seiner Frau und seiner Tochter geführt, bis es 1936 an eine Cousine in Mayrhofen – auch Tochter eines Goldgräbers – verkauft wurde.2
Damals geschah auch der Umbau zum heute noch existierenden Zustand. Die große Befensterung der Glasveranda wurde entfernt und durch kleinere Fensteröffnungen ersetzt. Es begegnet einem nun ein großer heller, recht hoher, an drei Seiten befensterter Raum. Die Fenster, wie auch die hölzerne Kassettendecke und die ähnlich strukturierte Rückwand sind recht ungewöhnlich in einem cremigen, kräftigen Gelb gestrichen. Die Farbgestaltung wirkt, als wollte man die grünen Wiesen und die gelb blühenden Blumen ins Innere holen.
„Steht das Haus unter Denkmalschutz?“ fragte ich die Wirtin. „Nein, wir passen selbst darauf auf“, klang es selbstbewusst, freundlich und wahr. 1964 hatte der Vater von Gabriela Eller, der Urenkelin von Johann Zingerle, den Alpengasthof Kasern wieder zurückgekauft. Erst 2007 waren die Fenster neu zu streichen, aber eigentlich hasste Gabriela dieses Gelb. Trotzdem suchte und suchte sie, um genau dieses Gelb zu finden. Schließlich fand sie über das Internet in Schweden eine Leinölfarbe. „Sonnengelb“ war diese und wurde mit etwas „Weiß“ gemischt. Anfang des 20. Jahrhunderts wollte man offensichtlich Farbe, wohl eine Mode, vermutet Frau Eller. Auch die Tische waren eigentlich in einem kräftigen Grün gestrichen. Das habe sie aber in der Coronazeit, als keine Tischdecken erlaubt waren, abgeschliffen.
Also, schauen Sie einfach vorbei, denn auch die Kuchen sind weit mehr als „Tirolerisch“!
Der Titel (Der "Westernsaloon" Tirols) stammt von Lies Bielowski, als Reaktion auf meinen Instagram-Post zum Alpengasthof Kasern.
1 Das kleine romanische Kirchl St. Ursula über Steinach
2 Seit 1912 wurde das Gasthaus immer von Frauen geführt.
Vielen Dank an Gabriela Eller, Urenkelin von Johann Zingerle, Wirtin und guter Geist des Alpengasthof Kasern
>> www.alpengasthof-kasern.at
allbekannt und nebenbei
Adolf Loos war in der Zeit zwischen 1893 und 1896 in Philadelphia, Chicago, New York und St. Louis. Die Weltausstellung in Chicago war ein Grund dorthin zu reisen. Er arbeitete als Hilfsarbeiter, Tellerwäscher, Musikkritiker, Möbelzeichner und Architekt.
Amerika, die Architektur Louis Sullivans und dessen Satz „Es wäre wünschenswert, während einiger Jahre völlig auf Ornamente zu verzichten, so dass unser Denken sich auf die Konstruktion von Bauten konzentrieren kann, die nur durch ihre Nacktheit wirken“ sowie das Kennenlernen der Shaker-Architektur prägten Loos wesentlich.
1903 erschien die Zeitschrift „Das Andere“ mit dem Untertitel: „Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“.
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 3/24