rainer köberl: zur abwechslung – zwei zitate von paul nizon und hermann czech
ein "small is beautiful"-beitrag, erschienen in aut: info, nr. 2/2015
paul nizon: die gerettete parzelle (1)
Mein Credo habe ich neulich in Kervoyal einem ziemlich stutzigen Jean-Luc Flohic vorgetragen, der davon ausging, Künstler und Schriftsteller vermittelten dem Publikum in erster Linie Ideen, die mit brauchbarer, anwendbarer Utopie zu tun haben. Ich versuchte ihm klarzumachen, daß nur der Stil oder die Wortmagie oder noch besser das künstlerische Gewebe zählen. Worte zu finden zu dem, was ist oder vorliegt. Ich gehe davon aus, daß die Wirklichkeit, oder was man so nennt, eine undurchsichtige Größe ist, bestimmt von Tausenden oder Millionen Faktoren auf den verschiedensten Ebenen, und daß der Lebende oder Sterbliche dieser undurchsichtigen Größe ausgesetzt ist, von Dunkelheit und Blindheit geschlagen und dazu bestimmt, von ihr verschlungen und zerrieben zu werden. Und daß der Künstler sich momentweise auflehnt gegen die Finsternis und unter Aufgebot all seiner Empfindungs- und Denkfähigkeit, vor allem aber mit seinem künstlerischen Instrument bewaffnet, winzige Lichtungen (Verdichtungen) kreiert, die dem Dunkel mit dem Blitz und der Wucht der Erleuchtung trotzen. In diesen Lichtungen wird Leben oder Dasein wirklich, weil erlebbar, anschaubar, sichtbar, riechbar – unmittelbar. Es ist vollkommen unwichtig, was der Gegenstand ist. Wenn ein echtes künstlerisches Erlebnis zugrunde liegt und wenn die künstlerische Verwandlung gelungen sein sollte, dann wird die erwähnte Lichtung im Licht der Authentizität erstrahlen, worin das Heutige und ein Anteil Neusicht selbstredend enthalten sein werden (sonst wäre das Ganze nicht echt, denn zum Echten zählt ja, daß der Autor ein Kind seiner Zeit und neuschöpferisch ist). Und die künstlerische Wirklichkeit oder Verwandlung kommt eben nicht in Ideen, sondern im künstlerischen Gewebe, in der stilistischen Struktur zum Ausdruck. Hier sitzt das Lebensspendende. Es spielt keine Rolle, ob diese Schöpfungen ein weiteres Publikum unmittelbar erreichen. Sie bleiben Strahlpunkte und üben auf vielfältigen Absickerungswegen (oder Reproduktionsmechanismen) Wirkungen aus. Bei echter und das ist immer bedeutender Kunst fallen in der Zeit alle Einstiegsmöglichkeiten über den zeitgeschichtlichen Kontext weg, diese Hilfestellung einstiger Aktualität entfällt. Was bleibt, ist das aus dem künstlerischen Gewebe im Glanz des Schöpfungswunders erstrahlende Stückchen Wirklichkeit, die gerettete Parzelle. In dieser Parzelle ist ein ganzes Universum von Gedanken und Traum und Menschsein eingeflossen, darum das unversiegliche Lebenabgeben der echten künstlerischen Leistungen. Das einst Moderne, Aktuelle, Zeitgemäße, Spekulative etc. ist verblichen. Was uns erreicht, ist der Pulsschlag des Kunstwerks, es erreicht uns mit Donner und Blitz, es macht uns sehend und – steckt uns mit Leben an.
(1) Paul Nizon „Die Zettel des Kuriers. Journal 1990?–?1999“, Suhrkamp Verlag, 2008, Journaleintragung vom 3. August 1993, S. 84–85
Dank an den Suhrkamp Verlag für die Abdruckgenehmigung und an Matthias Breit, der diese erwirkt hat.
paul nizon
geb. 1929 in Bern; ab 1961 leitender Kunstkritiker der NZZ; seit 1962 freier Schriftsteller; lebt seit 1977 in Paris; zahlreiche Bücher, erschienen bei Suhrkamp; 2010 Österreichischer Staatspreis für Europäische Literatur
„Man braucht nur ein paar Sätze zu lesen. Der Rhythmus, die Bilder, die Innigkeit, die Dringlichkeit, die Aufmerksamkeit – er ist für mich ganz unvergleichlich. Paul Nizon zieht wirklich vom Leder – vom Lebensleder“ (Peter Handke über Paul Nizon, aus: Paul Nizon und Peter Handke im Gespräch, www.3sat.de)
hermann czech: raum – oder doch was andres (2)
Die „Zwecke“, die als Zwangsvorgabe von außen kommen, sind freilich ein Missverständnis. Die „Funktion“ ist dem Entwurf nicht vorgegeben, sondern immer erst im Entwurf vermittelt. Vorher ist sie nicht da; wie Raum und Konstruktion wird sie erst durch die Architektur geschaffen. Wie Musik mit Ohren vernehmbar ist, so ist der Bau seinem Wesen nach benutzbar.
Ja, das eigentliche künstlerische Material der Architektur ist nicht der Baustoff, die Konstruktion, die skulpturale Form, nicht einmal der Raum oder das Licht – es ist das lebendige Befinden und Verhalten von Menschen. Das ist nicht linear kontrollierbar – schon deshalb hat Architektur weitgehend mit nicht oder nur beschränkt kontrollierbaren (Form-) Prozessen zu tun.
Sie kann sich darin der theoretischen Traditionen anderer Metiers bedienen, denen der Umgang mit ganz oder teilweise außerhalb ihrer Kontrolle liegenden Wirkungen geläufig ist: vor allem der Gartenkunst und der Schauspielkunst.
(2) Text von Hermann Czech, gefunden in einem Ordner auf meinem Computer
hermann czech
geb. 1936 in Wien; für mich der bedeutendste zeitgenössische Architekt Österreichs; Autor zahlreicher kritischer und theoretischer Schriften zur Architektur
buchempfehlung Hermann Czech „Zur Abwechslung. Ausgewählte Schriften zur Architektur“, Löcker Verlag, Wien
vorankündigung ausstellung „Josef Frank – Against Design“, 16. Dez. 2015 bis 3. Apr. 2016 im MAK, Wien Gastkurator: Hermann Czech
Bild:
Sabine Jelinek „Höhere Wesen befahlen“, 2011 Weißes Quadrat aus Farbpigment auf Erde, ca. 18 x 18 m
sabine jelinek
geb. 1969 in Wien; 1993-99 Studium für Malerei und Fotografie, Akademie der Bildenden Künste Wien und UDK Berlin; Zahlreiche Ausstellungen im In-und Ausland; seit 2008 Assistenz und Lehrauftrag an der Kunstuniversität Linz
www.sabinejelinek.at
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 2/15