rainer köberl: als wären‘s zwei und sind doch eins
Kleine Entdeckungen in Innsbruck und Mailand
Nachdem mir heuer im Sommer ein Bus im neuen, in den Medien bereits kontrovers diskutierten Design der Agentur Circus1 am Bahnhof aufgefallen war, schickte ich eine SMS an Andreas Schett: „Erstmals soeben einen Circus-Bus gesehen! Gratulation! Die Maßstabsverkleinerung dieser Ungetüme tut gut – ein Beitrag für Städtebau – lieben Gruß“.
2021 hatte der VVT2 einen Wettbewerb unter dem Vorsitz von Angelika Burtscher3 zwischen sieben Gestaltungsbüros zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugdesigns für die gesamte Mobilitätsflotte ausgeschrieben, den Circus gewann. Die Aufgabenstellung bestand darin, im wohl auch umkämpften Bereich des öffentlichen Nahverkehrs ein Design zu entwickeln, das „positiv“ auffällt und „unverwechselbar“ ist. Bereits vor 30 Jahren gab es ähnliche Bestrebungen in Feldkirch, die von innovativen Grafiker*innen umgesetzt wurden. Es waren damals gelbe Busse mit einem neuen geometrischen Stadtlogo und einer einfachen Blockschrift mit in auffällig unterschiedlichen Abständen gesetzten Buchstaben. Dieser Ansatz eines neuen Grafikdesigns wurde dann auch weitum in unterschiedlichen Variationen umgesetzt.
Einen Bus aber farblich quasi einfach senkrecht in zwei Teile zu schneiden und diese jeweils mit zwei – insgesamt gibt es fünf Farben – aus den 1950er-Jahren kommenden Pastelltönen zu gestalten, ist eigentlich „Antidesign“. Dieses Konzept hat doch eigentlich mehr mit Häusern bzw. mit Architektur zu tun, als mit dem Thema der Bewegung – besonders wenn man sich die unterschiedlichen Versuche in der Geschichte der Farbgebung von Fahrzeugen vor Augen führt, die Geschwindigkeit, Schnelligkeit und „das Moderne“ ausdrücken wollten.
Mich freut es merkwürdigerweise jedes Mal, wenn ich diese Busse sehe, und von meinen Kindern bekomme ich ähnliches erzählt. So zum Beispiel letzthin zwei in der Nähe eines Schrottplatzes parkende Busse, bei denen man auf einmal nicht mehr weiß, wie alt sie sind und warum sie denn dort stehen. Überhaupt entsteht trotz ihrer Neuheit – je nach Sichtwinkel auf diese Busse – immer wieder eine Unsicherheit ob deren Alters. Das liegt einerseits natürlich an der Farbwahl, aber auch an der Teilung, die genauso von einer missglückten Ausbesserung herrühren könnte. Oft treten die Busse in Dialog mit der Stadt, am auffälligsten, wenn sie die Innbrücke überqueren, im Zusammenspiel mit den bunten Häusern von Mariahilf. Ja, die „Circus-Busse“ wären eine gute Antwort auf meinen Freund Manfred Sandner4gewesen. Er hatte sich fürchterlich über die Unmaßstäblichkeit der damals neuen großen Gelenkbusse im Straßenraum echauffiert, und ich wusste nicht wirklich, was ich darauf erwidern sollte.
Zufällig stieß ich bei meiner Auseinandersetzung mit den „geteilten“ VVT-Bussen auf ein scheinbar zweigeteiltes Gebäude in Mailand. Dort erscheint ein mit einem Stiegenhaus und Mittelgang von Luigi Caccia Dominioni5 geplantes Haus im Grundriss als ein Bauwerk, von außen aber als zwei Häuser, die nur durch die einheitliche Gestaltung der Geschäftszone im Erdgeschoß von der eigentlichen Ganzheit erzählen – im Entferntesten ähnlich der verbindend wirkenden Befensterung bei den VVT-Bussen.
Das Gebäude entstand 1960 im Bereich eines Bombentreffers neben der Kirche Santa Maria alla Porta aus dem 17. Jahrhundert. An der einen, der Kirche zugewandten Seite, sitzen tief eingeschnittene französische Fenster mit Läden und feinen Geländern in einem schwer wirkenden Körper mit grobem braunem Verputz. Der andere Teil nimmt mit seiner um die Ecke greifenden Verkleidung aus Trachytplatten und sogar braunen Fliesen sowie der in der Fläche sitzenden Befensterung aus Opalglas-Schiebeläden in einer komplett anderen Architektursprache Bezug auf die benachbarte Fassade eines Art-Déco-Hauses aus den 1920er-Jahren. Abgesehen von der offensichtlichen Absicht, auf das unterschiedliche Umfeld zu reagieren, ist der erzielte harmonische Zusammenklang dieser so gegensätzlichen Gestaltungen sicherlich die herausragende Qualität dieser Arbeit.
1 Circus ist ein Büro für Kommunikation und Gestaltung in Innsbruck und Wien. Inhaber ist Andreas Schett, der auch das Musiklabel „col legno“ und die „Musicbanda Franui“ führt und mit Markus Hatzer die Tiroler Kulturzeitschrift „Quart“ herausgibt. Verantwortliche Mitarbeiter*innen am Projekt VVT sind die Grafik-Designer*innen Klaus Mayr, Michaela Posch, Christina Wieser, Barbara Buchhhammer. >> www.circus.at
2 VVT – Verkehrsverbund Tirol „Wir gestalten die Zukunft unseres Landes. Als modernes Dienstleistungsunternehmen für nachhaltige Mobilität planen, koordinieren, finanzieren und bestellen wir den öffentlichen Nahverkehr in Tirol.“
>> www.VVT.at
Information zum Wettbewerbsverfahren >> www.weissraum.at/projekte/redesign-regiobus-tirol
3 Angelika Burtscher, Designerin, Bozen
>> www.lungomare.org
4 Manfred Sandner, Architekt in Innsbruck
5 Luigi Caccia Dominioni (1913 – 2016), Architekt in Mailand; Haus Vicolo Santa Maria alla Porta 1 in Mailand, 1960Im Werk Luigi Caccia Dominionis gibt es zahlreiche weitere Projekte, die versuchen in unterschiedlichen Bestandssituationen im Neubau in „uneinheitlicher“ Gestaltung aus dem Umfeld weiter zu musizieren. Auf der Website von Marco Introini findet man viele Beispiele dieser Arbeiten in s/w-Aufnahmen:
>> www.marcointroini.net/architecture/architects/architects_c_d/caccia/
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 1/24