parabeton - pier luigi nervi und römischer beton
Regie: Heinz Emigholz. Deutschland. 2012. 100 min. Farbe. DF
aus: Themenbereich I - Passagen der Moderne
Die Leichtigkeit von Nervis industriellen Betonbauten verschlägt einem den Atem, diese Schwerelosigkeit und Freiheit der Formen. Konkrete Poesie. Ganze 26 Bauwerke hat Heinz Emigholz, der sich seit vielen Jahren in seinen filmischen Erkundungen mit zeitgenössischer Architektur beschäftigt, für seinen letzten Dokumentarfilm PARABETON über die Bauten des italienischen Bauingenieurs Pier Luigi Nervi (1891-1979) ausgewählt. Nervi ist als Erfinder stilbildender Konstruktionen der Großmeister des Betonbaus und der "architect’s architect" des 20. Jahrhunderts. Der faszinierende Dokumentarfilm vergleicht die Bauten von Nervi, die zwischen 1932 und 1971 in Italien erbaut wurden, mit den antiken römischen Vorbildern und stellt die noch existierenden Ruinen den Stahlbetonbauten von heute gegenüber. Zwar pflegten die alten Römer eine andere Art von monolithischer Zementbauweise als wir es heute kennen, doch hat die Gegenüberstellung seinen Reiz. Heinz Emigholz beginnt seine Dokumentation mit dem ersten, noch existierenden Kuppelbau aus römischem Beton in Baiae bei Neapel, erbaut im 1. Jahrhundert vor Christi. Dann folgen in chronologischer Abfolge siebzehn in Italien und Frankreich noch erhaltene Bauwerke des italienischen Bauingenieurs. Unterbrochen wird die Abfolge der Nervi-Bauten durch filmische Studien antiker Bauten aus römischem Beton aus den ersten Jahrhunderten nach Christi. Der Film verbindet damit Nervis kühne Konstruktionen mit den bahnbrechenden römischen Erfindungen von vor zweitausend Jahren. Der 100-minütige Filmessay ist der erste des mehrteiligen autobiographischen Projektes "Aufbruch der Moderne", mit dem Emigholz seine Filmserie "Architektur als Autobiographie" vor beinahe 30 Jahren begann, mit dem ambitionierten Ziel über die Ursprünge, das Schicksal, den Triumph und das Zerbrechen der architektonischen Moderne zu informieren. PARABETON bildet mit seinem Rückbezug des Konstruktionskerns der Moderne auf die Betonbauten der Antike das vorweggenommene Finale der Serie. Diese filmische Lichtbildschau ist ebenso ein Abgesang auf Nervi, vierzig Jahre nach seinem Tod, und zurück bleibt - in Angesicht des schlechten Zustands vieler Bauten des italienischen Rationalismo, wie etwa die Salzlagerhallen (1951) von Tortona, die Tabakfabrik (1953) in Bologna oder der grandiosen Palazzo del Lavoro/ Palast der Arbeit (1961) in Florenz - eine Spur von italienischer Morbidität und Melancholie.Ein Text von Helmut Weihsmann